Zwölftes Kapitel
Einige Nachrichten über Miß Lätitia, die aber jetzt schwerlich noch überraschen werden. Beschreibung eines feinen Herrn. Ein Gespräch zwischen Wild und dem Grafen.

[36] Herr Snap hatte den Schlüssel kaum einige Minuten aus der Tür gezogen, als ein Bedienter vom Hause den Herrn Bagshot herausrief und ihm sagte, es wäre jemand da, der ihn sprechen wollte; dies war denn niemand andres als Miß Lätitia, für deren Bewunderer sich Herr Bagshot längst erklärt und in deren zärtlicher Brust er eine stärkere Leidenschaft angefacht hatte, als irgend einer von seinen Nebenbuhlern. In der Tat – sie war so verliebt in diesen Jüngling, daß sie ihren weiblichen Vertrauten öfters bekannte, wenn ihr je der Gedanke einfallen würde, nur für einen zu leben, so sollte es Herr Bagshot sein. Übrigens war sie nicht die einzige, die so dachte; manche andere junge Dame machte ihr diesen Liebhaber streitig, der auch alle notwendigen Eigenschaften eines Galanthommes in vollem Maß besaß, womit sonst die Natur so karg zu sein pflegt. Wir wollen also den Versuch machen, ihn hier so genau als möglich zu beschreiben. Er war sechs Fuß hoch, hatte dicke Waden, breite Schultern, ein bräunliches Gesicht, braunes und krauses Haar, eine bescheidene Zuversicht und sehr weiße Wäsche. Freilich hatte er auch seine kleinen Fehler, die diesen herrlichen Qualitäten das Gleichgewicht hielten; denn er war der dümmste Tropf von der Welt, konnte weder schreiben noch lesen und hatte keinen Funken von Ehre, Edelsinn und Gutmütigkeit in seinem ganzen Charakter.

Als Herr Bagshot das Zimmer verlassen, nahm der Graf unsern Wild bei der Hand und sagte, er hätte ihm etwas von Wichtigkeit[36] anzuvertrauen. »Ich bin überzeugt«, rief er aus, »Bagshot war es, der mich geplündert!« Wild fuhr voll Erstaunen über diese Entdeckung zurück und antwortete mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt: »Ich rate Ihnen, hüten Sie sich, solche Lästerungen gegen einen Mann von Bagshots Ehre auszustoßen; er ist in diesem Punkte sehr delikat und wird es gewiß nicht leiden.« – »Hol der Teufel seine Ehre«, rief der Graf, »auch ich kann es nicht leiden, daß man mich bestiehlt! Ich will mich an einen Friedensrichter wenden.«

Voll Unwillen gegenredete Wild: »Ich verschwöre allen Umgang mit Ihnen, wenn Sie solch einen Verdacht gegen meinen Freund hegen können. Herr Bagshot ist ein Mann von Ehre, mein Freund, und folglich keiner Niederträchtigkeit fähig.« Er fügte noch mehreres hinzu, das aber alles keinen Eindruck auf den Grafen machte; dieser blieb bei seiner Behauptung und war steif und fest entschlossen, sich an die Justiz zu wenden; denn dies, meinte er, wäre er sowohl sich selbst als dem Publikum schuldig.

Nun verzog Wild seine Miene zu einem höhnischen Lachen und redete folgendergestalt: »Angenommen, daß Herr Bagshot in einem Anfall von Mutwillen (denn anders kann ich es gar nicht nennen) diese Methode ergriffen hätte, Ihnen Ihr Geld abzuluchsen – was gewinnen Sie, wenn Sie ihm einen Prozeß an den Hals hängen? Ihr Geld – nicht; denn Sie haben ja gehört, daß er es am Spieltische wieder an den Mann gebracht (dies hatte ihnen Bagshot bereits erzählt). Im Gegenteil, der ganze Prozeß wird Ihnen nur noch mehr Geld aus dem Beutel locken. Indem können Sie alsdann sichere Rechnung machen, daß Sie in allen honetten Spielhäusern plantiert sind, und dann beruhigen Sie sich mit dem süßen Gefühl, Ihre Pflicht gegen das Publikum erfüllt zu haben. Ich Dummkopf, daß ich Sie auch für einen großen Mann hielt! Würde es nicht besser für Sie sein, wenn Sie schwiegen und durch eine kleine List wieder zu Ihrem Gelde zu kommen suchten? So arm Herr Bagshot auch immer sein mag, so ist doch Hoffnung, daß er mal bei Kasse sein wird; denn hat er Ihnen diesen Streich gespielt, wird er auch gewiß nicht ermangeln, sein Glück bei andern zu versuchen – und dann können Sie sich ja bezahlt machen. Zudem bleibt Ihnen die gerichtliche Hilfe immer noch, und dies ist doch nur die letzte Zuflucht, die ein ehrenhafter oder weiser Mann ergreifen wird. Überlassen Sie mir die ganze Sache; ich will Bagshot auf den Zahn fühlen, und finde ich, daß Ihr Verdacht gegründet ist, so geb ich Ihnen mein Ehrenwort, Sie sollen nicht zu kurz kommen.«

Der Graf erwiderte: »Wenn ich das nur gewiß wüßte, so wollte[37] ich den Teufel so ein Narr sein und einen Ehrenmann des allgemeinen Besten wegen vor Gericht ziehen. Das sind Modewörter, die uns auf eine lächerliche Weise geläufig werden und die uns oft entwischen, ohne daß wir etwas dabei denken. Mein Geld ist alles, was ich verlange, und kann ich das durch andere Mittel und Wege wieder an mich bringen, so mag das Publikum meinetwegen« – Er schloß mit einer Redensart, die die Sittsamkeit auszuschreiben verbietet.

Nun ward ihnen gemeldet, daß das Mittagessen fertig sei und die Tischgesellschaft sich unten bereits versammelt hätte. Der Leser mag sie also dahin begleiten, wenn er anders Lust und Belieben hat.

An der Tafel saßen nun Herr Snap und seine beiden Töchter, die ältere nebst dem jüngeren Herrn Wild; ferner der Graf, Herr Bagshot und ein sehr gravitätischer Herr, welcher vormals die Ehre gehabt, unter einem Infanterieregiment zu dienen, nun aber in einem weit vorteilhafteren Posten stand, der ihm die Pflicht auferlegte, dem Herrn Snapp bei Vollziehung der Landesgesetze hilfreiche Hand zu leisten.

Bei Tische ereignete sich nichts Merkwürdiges. Die Unterhaltung drehte sich vorzüglich, wie es denn in allen feinen Gesellschaften Mode ist, um die Gerichte, die sie jetzt aßen und die sie vor kurzem gegessen hatten. Der Herr vom Militär, der in Irland gedient hatte, gab ihnen eine sehr umständliche Nachricht von einer neuen Manier, Kartoffeln zu braten, und jeder von der Gesellschaft folgte seinem Beispiel. Kurz, ein unparteiischer Zuschauer hätte aus ihrer Unterhaltung schließen sollen, sie wären einzig und allein in die Welt gesetzt, um ihren Ranzen zu füllen; und, die Wahrheit zu sagen, mochte dies leicht die unschuldigste, wenn auch nicht die Hauptabsicht sein, die die Natur bei ihrer Hervorbringung gehabt hatte.

Als die Tafel abgetragen war und die Damen sich entfernt hatten, schlug der Graf ein Hazardspielchen vor. Die ganze Gesellschaft pflichtete ihm bei; man brachte Würfel, und der Graf nahm den Becher in die Hand und fragte, wer gegen ihn setzen wolle.

Aber niemand getraute sich zu antworten, in der festen Meinung, daß des Grafen Taschen noch leerer wären als ihre eigenen; denn er hatte auch wirklich gleich nach seiner Ankunft beim Herrn Snap ein Stück Silberzeug zu einem mitleidigen Wucherer schicken müssen, um sich die Summe von zehn Guineen zu verschaffen, ungeachtet er Wild zugeschworen, daß er keinen Schilling in der[38] Tasche hätte. Als er aber jetzt die Zurückhaltung seiner Freunde und zugleich die Ursache derselben bemerkte, zog er flugs die obgedachten Guineen aus dem Sacke und warf sie auf den Tisch, worauf denn auch (so groß ist die Macht des Beispiels) alle übrigen ihre Fonds produzierten, so daß binnen zwei Minuten eine beträchtliche Summe Geldes auf dem Tische glänzte und das Spiel augenblicklich begann.

Quelle:
-, S. 36-39.
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