Achtes Kapitel
Mistreß Hartfree fährt mit der Erzählung ihrer Begebenheiten fort.

[151] Kaum waren wir einen Tag auf diesem Schiffe gewesen, so erhob sich ein fürchterlicher Sturm aus Nordwest, worin wir sogleich unsere beiden Masten verloren. Wir mochten ungefähr in der Gegend von Madeira sein, und unser Untergang schien unvermeidlich. Ich darf dir wohl nicht sagen, lieber Thomas, was sich mir bei dieser Gelegenheit für schreckliche Gedanken aufdrängten. Unsere Gefahr war so groß, daß selbst der Schiffskapitän, ein erklärter Atheist, seine Zuflucht zum Gebet nahm, und alle Matrosen, weil es nun doch einmal gestorben sein mußte, über ein großes Stückfaß mit Branntwein herfielen und schworen, es solle nicht ein Tropfen davon in der See umkommen. Ich merkte, daß mein alter Freund hier weniger Courage zeigte, als ich ihm zugetraut hatte. Er schien gänzlich in Verzweiflung versunken. Indessen wurden wir, Gottlob! alle gerettet. Nachdem der Sturm elf Stunden angehalten hatte, legte er sich ein wenig und ließ endlich ganz nach. Aber noch immer trieben wir, ein Spiel der Wellen, auf offener See herum und wurden viele Meilen nach Südwesten verschlagen. Unsere ganze Mannschaft war besoffen; aber wäre sie auch nüchtern gewesen, sie hätte doch nicht helfen können; denn wir hatten unser ganzes Takelwerk verloren.

In dieser Verfassung trieben wir beinahe dreißig Stunden umher, bis wir endlich bei stockfinsterer Nacht ein Licht erblickten, das sich uns zu nähern schien und endlich so groß wurde, daß die Matrosen es für eine Laterne auf einem Kriegsschiff hielten. Aber als wir uns schon mit der Hoffnung schmeichelten, bald aus dieser unglücklichen Lage erlöst zu werden, verschwand das Licht mit einem Male, und wir versanken wieder in Verzweiflung, die durch die angenehme Aussicht auf Rettung, womit wir uns so bitter getäuscht hatten, nur noch vermehrt wurde. Wir brachten den übrigen Teil der Nacht unter traurigen Mutmaßungen über das Licht zu, das uns erschienen und wieder verschwunden war, und jedermann hielt es für einen Meteor. Einen Trost hatten wir noch in diesen bedrängten Umständen, nämlich einen großen Vorrat von Proviant; das erhielt unsere Matrosen bei so gutem Mute, daß sie erklärten, hätten sie nur noch Branntwein genug, so fragten sie den Teufel danach, ob sie in einem Monat Land sähen oder nicht; aber bei Tages Anbruch fand sich, daß wir weit näher am Lande[151] waren, als wir vermutet hatten. Einer von den erfahrensten Seeleuten erklärte, wir wären nahe an der Küste von Afrika; aber als wir kaum noch drei Meilen vom Lande entfernt waren, erhob sich ein zweiter Sturm aus Norden, so daß wir alle Hoffnung auf unsere Rettung aufgaben. Dieser Sturm war freilich nicht so heftig wie der vorige, aber dafür hielt er um so länger an; denn er dauerte beinahe drei Tage und trieb uns viele Meilen südlich. Wir waren nur eine Meile vom Ufer und befürchteten mit jedem Augenblick, unser Schiff würde in Stücke zerschmettert werden, als der Wind sich plötzlich legte. Aber die Wellen gingen noch so hoch wie Berge, und bevor die See wieder ruhig ward, wurde unser Schiff so nahe ans Land geschleudert, daß der Kapitän das Boot auswerfen befahl und erklärte, er gebe alle Hoffnung auf, das Schiff zu retten. Kaum hatten wir es auch einige Minuten verlassen, so sahen wir seine Prophezeiung bestätigt; denn das Schiff stieß auf einen Felsen und ging sogleich zugrunde. Das Betragen, welches die Matrosen bei dieser Gelegenheit äußerten, rührte mich unbeschreiblich. Mit der Zärtlichkeit eines Liebhabers oder eines Vaters sahen sie das Schiff versinken und sprachen davon, wie der zärtlichste Gatte von seinem Weibe spricht. Einige von ihnen, die sonst eben nicht sehr geneigt zum Weinen schienen, vergossen sogar Tränen. Selbst der Kapitän rief aus: ›Adieu denn, liebe Maria! Die See verschlang niemals einen so herrlichen Bissen! Sollt ich noch fünfzig Schiffe wiederbekommen, keines werde ich so lieben wie dich, armes Geschöpf! Bis an meinen Tod werd ich deiner gedenken!‹

Das Boot brachte uns nun wohlbehalten ans Ufer, wo wir auch ohne Schwierigkeiten landeten. Es war ungefähr um Mittag, und die Sonne, die uns fast senkrecht auf den Kopf schien, brannte außerordentlich. Dieser Hitze ungeachtet gingen wir beinahe zehn Meilen über eine Ebene, durch diese Ebene gelangten wir in einen ungeheuren Wald, der sich rechts und links, soweit wir mit den Augen reichen konnten, verbreitete und uns den Weg gänzlich zu versperren schien. Wir beschlossen also, uns hier auszuruhen und etwas von dem Proviant zu uns zu nehmen, welchen wir aus dem Schiffe gerettet hatten und der noch ungefähr für einige wenige Mahlzeiten reichen mochte; denn unser Boot war so mit Menschen beladen, daß wir durchaus keinen Platz für viele Bagage finden konnten. Unser Essen bestand aus gesalzenem Schweinefleisch, welches der Hunger meinen Gefährten so würzte, daß sie außerordentlich wacker zulangten. Mich hatte Müdigkeit und Seelenangst so angegriffen, daß ich fast gar keine Lust zum Essen hatte. Wahrhaftig,[152] es hätte dem künstlichsten französischen Koch sauer werden sollen, mich durch die ausgesuchtesten Leckerbissen zum Essen zu reizen. Mir schien, als hätte ich durch dieses glückliche Entrinnen aus dem Sturm wenig oder nichts gewonnen, als hätt' ich bloß das Element verändert, wo ich sterben müßte. Nachdem unsere Begleiter es sich recht gut hatten schmecken lassen, beschlossen sie, tiefer in den Wald zu dringen, um zu sehen, ob sie sich nicht durchbrechen und irgendwo Menschen oder auch nur einige Nahrungsmittel auftreiben könnten. Wir rückten daher in nachstehender Ordnung fort.

Voran ging ein Mann, mit einem Beil bewaffnet, um uns den Weg zu hauen; ihm folgten zwei andere mit Flinten in der Hand, um uns vor wilden Tieren zu schützen; dann kam der übrige Teil unserer Gesellschaft, und unser Kapitän schloß den Zug, ebenfalls mit einer Flinte bewaffnet. So gingen wir, vierzehn an der Zahl, bis uns die Nacht überfiel, ohne daß wir etwas zu Gesicht bekamen außer einigen Vögeln und anderen unbedeutenden Tieren. Wir ruhten die ganze Nacht unter den Zweigen einiger Bäume; doch brauchten wir kaum in dieser Jahreszeit so ein Obdach; die Tageshitze war in der Tat die einzige Unbequemlichkeit, mit der wir in diesen Klimaten zu kämpfen hatten. Ich kann nicht umhin, zu bemerken, daß mein alter Freund sich dicht neben mich legte und erklärte, er wolle mein Beschützer sein, falls einer von den Matrosen sich unterfangen wollte, mir Gewalt anzutun. Aber ich muß sie von allen Versuchen dieser Art freisprechen; alles, was ich von ihnen zu dulden hatte, war dann und wann ein grober Ausdruck, der aber mehr von ihrer Unwissenheit und Roheit als von einem Mangel an menschlichem Gefühl herrührte.

Am folgenden Morgen waren wir kaum eine kleine Strecke vorgerückt, als einer von den Matrosen einen Hügel hinanstieg und uns durch ein Sprachrohr zurief, er sehe in einer kleinen Entfernung eine Stadt. Dies gab mir so viel Trost und stärkte mich so an Körper und Geist, daß ich mit Hilfe meines alten Freundes und noch eines anderen, an die ich mich anlehnte, mit großer Schwierigkeit den Hügel erstieg. Aber kaum hatte ich ihn erreicht, so fühlte ich mich so erschöpft, daß ich zur Erde niedersinken mußte; auch konnte man mich nicht dahin bringen, durch den Wald in eine Ebene zu gehen, an deren Ende man wirklich einiger Häuser oder vielmehr Hütten gewahr wurde; doch lagen sie in größerer Entfernung, als der Matrose geglaubt hatte, denn es mochten wohl an zwanzig Meilen bis dahin sein.[153]

Quelle:
-, S. 151-154.
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