Siebentes Kapitel
Mistreß Hartfree erzählt ihre Abenteuer.

[146] Mistreß Hartfree fuhr fort: »Die Rache, welche der französische Kapitän an dem Bösewicht genommen, ließ mich hoffen, daß ich einem Manne von Ehre in die Hände gefallen sei, und in der Tat konnte man mir auch nicht mit mehr Achtung und Höflichkeit begegnen. Doch linderte alles dies meinen Kummer nicht, wenn ich an die Lage dachte, worein mich der Verräter gestürzt hatte; eine Lage, die mich von allem trennte, was mir lieb war. Vielweniger konnte das Benehmen des Kapitäns mich beruhigen, weil ich bemerkte, daß ich meine gute Behandlung bloß einer Leidenschaft verdankte, die mich viele Ungelegenheiten erwarten ließ, vorzüglich, da sie binnen kurzem heftig wurde und ich mich ganz in der Gewalt des Mannes befand, in dessen Herzen sie sich entzündet hatte. Doch muß ich ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ich meinen Verdacht weiter trieb, als ich nötig hatte. Freilich bekannte er mir seine Liebe und bediente sich aller sanften Mittel, die sonst so viel Eindruck auf unser Geschlecht machen, um zu seinem Zwecke zu gelangen; aber niemals hat er mir gedroht oder zu gewaltsamen Mitteln seine Zuflucht genommen. Er ließ es mich nicht einmal mit einem Worte merken, daß ich in seiner Gewalt sei, welcher Umstand mit am bedenklichsten schien, weil ich wohl wußte, daß es brutale Menschen gibt, deren Grausamkeit ihre Freuden nur noch würzt, und daß selbst delikatere Seelen zuletzt auf gewaltsame Mittel verfallen, wenn sie verzweifeln, dasjenige, worum es ihnen zu tun ist, durch Güte von uns zu erlangen. Glücklicherweise war ich in der Gewalt eines besseren Menschen. Mein Kapitän war einer von denen, über welche das Laster nur eine beschränkte Macht ausübt und die sich freilich nur zu leicht zu einem Fehltritt verleiten lassen, aber dennoch jede Reizung zu einem groben Verbrechen glücklich zu bekämpfen wissen.[146]

Wir hatten beinahe zwei Tage hindurch gänzliche Windstille gehabt, als sich ein frischer Wind erhob und wir in der Nähe von Dünkirchen ein Schiff mit vollen Segeln auf uns zukommen sahen. Der Freibeuter war stark genug, um sich vor keinem Feinde zu fürchten, es hätte denn ein Kriegsschiff sein müssen, und die Matrosen sahen bald, daß dies nicht der Fall war. Er senkte daher seine Flagge, zog die Segel ein, um jenes Schiff zu erwarten, in der Hoffnung, es möchte eine gute Prise sein. (Hier lächelte Hartfree; seine Frau hielt inne und fragte ihn nach der Ursache; er sagte, er wundere sich, daß sie in den Schifferausdrücken so erfahren sei; sie meinte, er werde schon aufhören, sich zu verwundern, wenn er vernommen, wie lange sie an Bord gewesen; dann fuhr sie fort.) Dies Schiff kam uns nun näher und grüßte uns, weil es ein französisches war. Zu gleicher Zeit bat uns der Kommandeur, wir möchten doch nicht in Dünkirchen einlaufen, sondern gemeinschaftlich mit ihm auf ein großes englisches Kauffahrteischiff Jagd machen, das wir leicht einholen und zusammen auftreiben könnten. Unser Kapitän nahm diesen Vorschlag willig auf und ließ sogleich alle Segel aufsetzen. Dies war für mich eine sehr unangenehme Neuigkeit; indessen versicherte er mir, ich hätte nichts zu befürchten; er sei so weit entfernt, mir übel begegnen zu lassen, daß er mein Leben mit Gefahr seines eigenen verteidigen wollte. Diese Versicherung gab mir so viel Trost, als meine gegenwärtige Lage und die schrecklichen Vorstellungen, die ich mir über deinen Zustand machte, nur erlauben konnten. (Bei diesen Worten warfen sich die beiden Eheleute die zärtlichsten Blicke zu.)

Nachdem wir zwölf Stunden gesegelt waren, bekamen wir das Schiff, dem wir nachsetzten, zu Gesicht; auch würden wir es vermutlich eingeholt haben, hätte es uns nicht ein dicker Nebel aus den Augen gerissen. Dieser Nebel hielt einige Stunden an, und als er sich verzog, wurden wir unseres Gefährten in einer großen Entfernung von uns gewahr; was unsere Unruhe aber noch vermehrte, war, daß wir in der Entfernung von einer Meile ein großes Schiff sahen, das uns sogleich mit einem Kanonenschuß begrüßte und wie wir nun wohl inne wurden, ein englisches Kriegsschiff vom dritten Range war. Unser Kapitän sah ein, daß es gleich unmöglich wäre, zu fechten oder zu entkommen; er strich also augenblicklich die Segel, ohne noch eine Ladung abzuwarten, die mich vielleicht außer stand gesetzt hätte, die Wonne zu genießen, die ich jetzt genieße. (Hier veränderte Hartfree seine Farbe; seine Frau eilte daher zu Begebenheiten, die kein so gräßliches Ansehen hatten.)

Ich freute mich sehr über diesen Zufall, weil er mir, meiner Meinung[147] nach, nicht nur wieder zu dem Besitz meiner Juwelen verhelfen, sondern mich auch zu dem Manne zurückbringen würde, der mir teurer ist, als alle Schätze der Welt. Was die ersteren anbetrifft, so sagte man mir, sie sollten mir sicher aufgehoben bleiben, nur müßte ich erst mein Recht darauf beweisen, ehe man sie mir verabfolgen ließe; und der Kapitän schien eben nicht sehr zu wünschen, daß mir dies gelingen möchte. Und in Rücksicht meines dringenderen Wunsches versicherte man mir, ich sollte auf das erste Schiff ausgesetzt werden, das man auf dem Wege nach England antreffen würde: unser Schiff aber ging nach Westindien.

Hier war ich noch nicht lange gewesen, als ich fand, daß ich eher Ursache hatte, mit meinem Tausch unzufrieden als zufrieden zu sein. Ein anderer Liebhaber trat auf in der Person des englischen Kapitäns, und zwar weit ungestümer als der vorige. Er behandelte mich kaum mit gewöhnlicher Höflichkeit; worüber ich mich freilich nicht allein zu beklagen hatte, denn auch gegen seine Offiziere betrug er sich schlechter, als ein Mann von guter Lebensart sich gegen seine Bedienten zu betragen pflegt, selbst dann, wenn sie ihm wirklich Gelegenheit zum Zorn gegeben haben. Mich behandelte er, wie ein Pascha seine zirkassische Sklavin, bediente sich Ausdrücke gegen mich, dergleichen sich nur die ausgelassensten Wüstlinge gegen die Töchter der Freude erlauben und die jedes sittsame Frauenzimmer, ohne eben überdelikat zu sein, abscheulich finden muß. Er küßte mich oft mit plumper Vertraulichkeit, und eines Tages versuchte er sogar Gewalt; aber zum Glück rettete mich noch ein fremder Herr, der mit mir in einer Lage, das ist von einem Freibeuter gefangen und durch die Engländer wieder befreit war, aus den Klauen dieses Halbmenschen. Dafür legte ihn der Kapitän auf drei Tage in Ketten, obgleich er ihm nichts zu befehlen hatte; und als er endlich wieder loskam, ging ich zu ihm (denn während seiner Gefangenschaft durfte ich ihn nicht besuchen) und dankte ihm aufs höflichste für alles, was er für mich getan und gelitten hatte.

Der gute Mann betrug sich bei dieser Gelegenheit außerordentlich artig gegen mich und sagte mir, er schämte sich in der Tat, daß ich einen so kleinen Dienst so hoch aufnähme, wozu ihn schon seine Pflicht als Christ und ehrlicher Mann verbunden hätte. Von dieser Zeit an lebte ich mit ihm auf einem sehr freundschaftlichen Fuß und sah ihn als meinen Beschützer an, und dafür bekannte er sich auch bei jeder Gelegenheit, indem er den größten Abscheu gegen das Benehmen des Kapitäns äußerte und mit wahrhaft väterlicher Zärtlichkeit für die Erhaltung meiner Tugend sorgte, die mir[148] selbst nicht mehr am Herzen liegen konnte, als sie ihm am Herzen zu liegen schien. In der Tat war er der einzige Mensch, den ich seit meiner unglücklichen Reise angetroffen, der nicht durch alle seine Blicke, Worte und Gebärden eine Leidenschaft für mich zu erkennen gab. Die übrigen suchten alle nur ihre Begierden zu befriedigen, ohne auf meine Ruhe und meine künftige Glückseligkeit zu achten, die, wie ich ihnen sagte, auf immer durch ihr frevelhaftes Beginnen leiden würde.

Ich brachte nun verschiedene Tage zu, ohne daß mir der Kapitän mit seinem Ungestüm zur Last fiel, bis auf eine unglückliche Nacht –«

Bei diesen Worten ward Hartfree totenbleich, und kaum merkte sie dies, so tröstete sie ihn durch die Versicherung, der Himmel habe ihre Keuschheit erhalten und sie unbefleckt wieder in seine Arme geliefert; dann fuhr sie fort:

»Vielleicht drückte ich mich falsch aus; ich hätte eine schreckliche Nacht sagen sollen; denn gewiß niemals war ein tugendhaftes Weib in größerer Gefahr. Eines Abends also hatte sich der Kapitän in Punsch toll und voll gesoffen und ließ mich zu sich rufen; mocht ich wollen oder nicht – ich mußte gehorchen und zu ihm in die Kajüte gehen. Kaum waren wir allein, so ergriff er meine Hand, und nachdem ich einen plumpen Diskurs hatte anhören müssen, welchen ich durchaus nicht wiederholen kann, schwor er einen fürchterlichen Eid, er sei kein Dummkopf und wolle auch nicht so behandelt sein. ›Nichts von euern Koketterien, Madame! Keine weiblichen Künste, kein Sträuben – denn alles würde zu nichts helfen. Dem ersten, der es wagt, den Fuß in die Kajüte zu setzen, will ich das Fell über die Ohren ziehen lassen.‹ Dann wollte er mich mit Gewalt auf sein Bette schleppen. Ich warf mich ihm zu Füßen und bat ihn mit Tränen und Seufzen um Mitleid – aber vergebens; selbst mein Drohen vermochte nichts über ihn. Zuletzt besann ich mich auf eine List, von der ich mir einen gewünschten Erfolg versprach, vorzüglich da ich inne ward, daß er taumelte. Ich bat nur um eine Minute Aufschub; dann sammelte ich alle meine Lebensgeister, nahm eine fröhliche Miene an und sagte ihm mit gezwungenen Lächeln: er sei der plumpste Liebhaber von der Welt, ich glaubte wahrhaftig, ich sei das erste Frauenzimmer, um dessen Gunst er gebuhlt hätte. ›Was Buhlen‹, sagte er, ›hol der Teufel euer Buhlen. Genießen will ich euch.‹ Nun bat ich ihn, doch zuvor ein Glas Punsch mit mir zu trinken; denn ich hätte einen Schluck ebenso gern wie er, und könne keiner Mannsperson eine Freiheit erlauben, bis ich nicht zuvor wacker mit ihr gezecht. ›Ist das alles‹,[149] meinte er, ›so sollt Ihr Punsch genug haben, so viel, daß Ihr Euch darin ersäufen könnt.‹ Bei diesen Worten zog er die Glocke und bestellte eine große Bowle Punsch. Während dieser Zeit mußte ich mir seine plumpen Küsse und einige Freiheiten gefallen lassen, die ich nur auch mit Mühe in den gehörigen Schranken hielt. Als der Punsch hereinkam, nahm er die Bowle vor den Kopf und trank meiner Gesundheit, und zwar so wacker, daß ich um so eher darauf rechnen konnte, meinen Plan auszuführen. Ich folgte seinem Beispiel und tat ihm Bescheid, und zu jeder anderen Zeit würde ich so viel nicht haben vertragen können; aber jetzt schadete es mir nicht im geringsten. Als er sich zuletzt einige Schritte von mir entfernt hatte, nahm ich mein Tempo wahr und flog aus der Kajüte mit dem festen Entschluß, mich in die See zu stürzen, wenn ich kein anderes Mittel zu meiner Rettung fände. Aber der Himmel war so gnädig, mich vor diesem übereilten Schritte zu bewahren. Denn als mir der Kapitän nacheilte, stürzte er die Kajütentreppe zurück, verrenkte sich die Schulter und richtete sich so zu, daß ich nicht nur diese Nacht, sondern auf immer vor seinen Angriffen auf meine Tugend sicher war; denn dieser Vorfall verursachte ihm ein Fieber, das sein Leben in Gefahr setzte. Ja, ich kann nicht einmal sagen, ob er wieder davon genesen ist oder nicht, denn während seiner Krankheit kommandierte sein Premierleutnant. Dies war ein braver, tugendhafter Mann, der diesen Posten schon zwanzig Jahre bekleidet und kein eigenes Schiff hatte erhalten können, während einige Buben, die aber das Glück hatten, Bastarde von Edelleuten zu sein, ihm vor der Nase weg avanciert waren. Während dieser Zeit segelte ein englisches Schiff, das nach Cork befrachtet war, bei uns vorüber; ich und mein Freund, der um meinetwillen in Ketten gelegen hatte, gingen an Bord dieses Schiffes, und zwar mit Bewilligung des guten Leutnants, der uns noch etwas Proviant, soviel er nämlich entbehren konnte, mit auf den Weg gab und uns eine glückliche Reise wünschte.[150]

Quelle:
-, S. 146-151.
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