Elftes Kapitel
Beschluß von Mistreß Hartfrees Bericht.

[161] »Wenn ich nicht irre, ward ich unterbrochen, als ich anfing, einige Komplimente zu wiederholen, die der Eremit mir gemacht.« – »Gerade als Sie damit am Ende waren«, sagte der Richter. – »Desto besser«, antwortete Madame Hartfree, »es ist mir wahrhaftig keine Freude, sie zu wiederholen. Er schloß mit den Worten, wäre ich gleich in seinen Augen das schönste Frauenzimmer der Welt und könnte ich gleich einen Heiligen bewegen, den Pfad der Gottseligkeit zu verlassen, so flöße ihm meine Schönheit doch eine zu zärtliche Neigung ein, als daß er die Befriedigung derselben auf Kosten meiner Ruhe und Glückseligkeit suchen solle; darum, wäre ich grausam genug, seine ehrliche und aufrichtige Bewerbung auszuschlagen, könnte ich mich nicht zu einem einsamen Leben mit einem Manne bequemen, der alles, was in seiner Macht stände, anwenden würde, mich glücklich zu machen, so hätte ich von Gewalt nichts zu fürchten, ich sei bei ihm ebenso frei, wie in Frankreich, England oder an irgendeinem Orte der Welt. Ich wies ihn mit eben der Höflichkeit ab, mit welcher er sich antrug, und sagte ihm, da er so viele Achtung vor der Religion bezeuge, würde er gewiß von seinem Vorsatz ablassen, wenn ich ihm sagte, der einzige Grund, warum ich seine Bewerbungen nicht annehmen könnte, sei der, daß ich verheiratet sei. Bei diesen Worten fuhr er ein wenig zurück und schwieg eine Zeitlang; dann kam er wieder zu sich selbst und stellte mir vor, wie ungewiß, ja wie unwahrscheinlich es sei, daß mein Mann noch lebe; die Ehe sei bloß ein politisches Institut. Dies suchte er durch viele Gründe zu beweisen, die ich aber hier nicht wiederholen darf; und endlich wurde er so ungestüm und dringend, daß ich nicht sagen kann, wozu seine Leidenschaft ihn verleitet haben würde, hätten sich nicht zum Glück drei von unsern Matrosen, und zwar wohlbewaffnet, am Eingang der Höhle sehen lassen. Kaum hatte ich sie erblickt, so sagte ich ihm in der Freude meines Herzens, meine Gefährten seien da und ich müsse jetzt Abschied von ihm nehmen; er könne versichert sein, ich würde seiner gedenken, solange ich lebte, und die Gefälligkeiten nimmer vergessen, die er mir erwiesen hätte. Er holte einen tiefen Seufzer, drückte mir zärtlich die Hand und küßte meine Lippen mit größerer Wärme, als unsre Mode es eigentlich erlaubt, indem er sagte, meine Ankunft in seiner Höhle werde ihm ebenfalls unvergeßlich sein; ›ach!‹ fügte er hinzu, ›könnte ich doch mein ganzes[161] Leben in Ihrer Gesellschaft zubringen! Sie haben eine Flamme in meinem Busen angezündet –‹ Doch ich übergehe diesen Punkt mit Stillschweigen, Sie, mein Herr, möchten mich sonst wieder für eitel halten. Kurz, ich verließ ihn in Gesellschaft der Matrosen, und zwar nicht ohne eine Anwandlung von Mitleid über den Widerwillen, den er äußerte, sich von mir zu trennen.

Wir waren erst einige Schritte vorgerückt, als einer von den Matrosen zu seinen Kameraden sagte: ›Hols der Teufel, Jakob! Wer weiß, was für Raritäten der alte Sünder in seiner Höhle haben mag?‹ Ich antwortete ganz unbefangen: ›Der arme Mann! Er hat nichts als eine Flasche mit Branntwein.‹ – ›Hat er die?‹ rief der Matrose; ›zum Henker! Die müssen wir probieren.‹ Mit diesen Worten kehrten sie alle wieder um, und ich folgte ihnen. Wir fanden den armen Unglücklichen auf dem Boden ausgestreckt, mit allen Zeichen der Verzweiflung in seinem ganzen Benehmen. Ich sagte ihm in französischer Sprache (denn diese verstanden die Matrosen nicht), was ihr Begehren sei. Er zeigte auf den Ort, wo die Flasche stand, und sagte, sie sei ihnen gerne gewährt, wie alles, was er habe, und fügte hinzu, er mache sich nichts daraus, wenn sie ihm auch noch obendrein das Leben nähmen. Die Matrosen durchsuchten die ganze Hütte, und weil sie nichts weiter fanden, was der Mühe wert war, zogen sie mit der Bouteille ab, die sie auch in einem Augenblick leerten, ohne mir auch nur einen Tropfen anzubieten.

Unterwegs bemerkte ich, daß einer von ihnen dem andern etwas ins Ohr flüsterte und dabei seine Augen starr auf mich gerichtet hielt. Dies beunruhigte mich außerordentlich. Der andere aber antwortete: ›Nein – der Kapitän würde es uns nimmer vergeben. Überdem haben wir ja Wildpret genug unter den schwarzen Weibern, und meiner Meinung nach ist eine Farbe so gut wie die andere.‹ Dies war genug, mir eine außerordentliche Furcht einzujagen; aber ich hörte doch nichts mehr, was mich hätte beunruhigen können. Auch kamen wir binnen einigen Stunden glücklich in die Stadt.

Sobald der Kapitän mich sah, fragte er, was aus meinem Freunde, dem verräterischen Grafen, geworden sei. Als ich ihm Auskunft darüber gegeben hatte, wünschte er mir von Herzen Glück zu meiner Befreiung, äußerte den größten Abscheu gegen solche Niederträchtigkeit und schwur, ihm den Hals zu brechen, wenn er ihm jemals in den Wurf kommen sollte. Aber die Wahrheit zu sagen, so glaubten wir beide, daß er an dem Schlage gestorben sei, den der Eremit ihm versetzt.[162]

Man brachte mich nun vor die erste Magistratsperson dieses Landes, die mich zu sehen begehrte. Ich will Ihnen eine kurze Beschreibung von diesem Manne geben. Man hatte ihn, wie es dort Sitte ist, seines Muts und seiner Weisheit wegen zu diesem Platze erhoben. Seine Gewalt ist völlig uneingeschränkt, solange sie dauert; aber sobald er nur im geringsten von dem Pfade der Billigkeit und Gerechtigkeit abweicht, kann das Volk, dessen Älteste sich alle Jahre einmal versammeln, um seine Aufführung zu untersuchen, ihn absetzen und bestrafen. Außer dieser gefährlichen Probe liegen ihm noch solche Pflichten ob, daß nur die rastlose Liebe zur Gewalt, die den Menschen so allmächtig beherrscht, ihn bewegen kann, sich diesem schweren Amte zu unterziehen; er ist in Wahrheit der einzige Sklave seiner Untertanen. In Friedenszeiten muß er die Klagen des Geringsten anhören und ihm Recht verschaffen. Darum ist es auch einem jeden vergönnt, sich ihm zu nahen und um eine Audienz zu bitten, außer um die Stunde des Mittagessens; dann sitzt er allein zur Tafel und wird mit mehr als europäischem Pomp bedient. Dadurch will man ihn beim Volke im Ansehen und Respekt erhalten. Doch damit er sich dessen nicht zu sehr überhebt, bekommt er alle Abend ganz insgeheim von einem seiner Bedienten einen sanften Tritt auf den Hintern. Überdem trägt er noch einen Ring in der Nase und eine Kette um seinen Nacken, die ungefähr wie die Kette unsrer Aldermänner aussieht; ich glaube, beides ist allegorisch, habe aber nicht erfahren können, worauf es sich eigentlich bezieht. Diese Nation hat noch mehrere Eigentümlichkeiten, die ich Ihnen ein andermal erzählen will. Den zweiten Tag nach meiner Ankunft besuchte mich einer von seinen Offizieren, den sie Schach Pimpach nennen, und tat mir durch einen französischen Dolmetscher, der sich hier aufhielt, zu wissen, das Oberhaupt der Nation liebe mich und lasse mir ein ansehnliches Geschenk anbieten, wenn ich mich ihm hingeben wollte (dies scheint die gewöhnliche Art ihrer Bewerbung zu sein). Ich schlug das Geschenk aus und hörte kein Wort mehr von dem ganzen Handel; denn wie es dort den Weibern keine Schande macht, gleich auf den ersten Vorschlag einzuwilligen, so wird ihnen auch nie ein zweiter gemacht.

Ich hatte mich ungefähr eine Woche in dieser Stadt aufgehalten, als der Kapitän mir meldete, man hätte eine große Anzahl Sklaven, die zu Kriegsgefangenen gemacht worden, ans Ufer geschafft, um sie dort an die Kaufleute zu verschachern, die nach Amerika handelten. Wenn ich mich also dieser Gelegenheit bedienen wollte, so könnte ich leicht nach Amerika und von da nach England kommen.[163] Zu gleicher Zeit sagte er mir, er selbst sei entschlossen, mitzureisen. Ich nahm seinen Vorschlag mit Freuden an. Als der König dieses Völkchens von unserer Absicht unterrichtet war, ließ er uns beide an seinen Hof rufen, und ohne mir ein Wort von Liebe zu sagen, beschenkte er mich mit einem sehr reichen Juwel, das, wie er sagte, weniger wert sei als meine Keuschheit. Dann nahm er sehr höflich von uns Abschied, empfahl mich dem Schutze des Himmels und gab uns eine große Menge Proviant mit auf den Weg.

Wir hatten uns mit Maultieren für uns und unsere Bagage versehen, und in neun Tagen erreichten wir das Ufer, wo wir auch ein englisches Schiff antrafen, das uns und die Sklaven sogleich aufnahm. Wir gingen an Bord und segelten den folgenden Tag mit gutem Winde nach Neu-England, wo ich bald eine Gelegenheit nach meinem Vaterlande zu bekommen hoffte. Aber die Vorsehung war noch gütiger, als ich erwartet hatte; denn kaum waren wir drei Tage in der See gewesen, so trafen wir ein englisches Kriegsschiff an, das nach Hause segelte. Der Kapitän desselben war ein sehr guter Mann und nahm mich gleich an Bord. Nun nahm ich Abschied von meinem alten Freunde, dem Herrn des gescheiterten Schiffes, der nach Neu-England und von da nach Jamaika gehen wollte, wo seine Reeder wohnten. Man behandelte mich mit großer Höflichkeit. Ich hatte eine eigene Kajüte, speiste alle Tage mit dem Kapitän, der ein sehr artiger, galanter Herr war und mich auch nicht undeutlich merken ließ, daß ich ihm gefiel; aber als er fand, daß ich durchaus nur für den besten Mann leben wollte, ward er kälter und erwies mir nur diejenige Achtung, die meinem Geschlechte zukommt und die es sich auch nur zu gerne zollen läßt.

Unterwegs begegnete mir nichts Merkwürdiges. Wir landeten in Gravesand, und von da brachte mich der Kapitän in seinem eigenen Boote nach dem Tower. Gleich nach meiner Ankunft fiel die Szene vor, die allem Vermuten nach, so schrecklich sie mir auch anfangs schien, durch den Beistand des besten Mannes, den Gott auf immer segnen wolle, zu unserm Glück ausschlug und einen neuen Beweis von der großen Wahrheit abgeben wird, daß die Vorsehung früher oder später die Tugend und Unschuld zu beglücken weiß.«

Hier endete Mistreß Hartfree ihre Erzählung und überlieferte ihrem Mann die Diamanten, die der Graf ihm gestohlen, und das Juwel, welches der afrikanische König ihr geschenkt hatte; letzteres war von unermeßlichem Werte. Der gute Richter war außerordentlich gerührt, teils durch die Leiden, die sie ausgestanden, teils[164] durch die Leiden ihres Mannes, wovon er selbst das unschuldige Werkzeug gewesen war. Indessen freute sich der würdige Mann, daß er schon so vieles zu seiner Rettung getan, und versprach, mit allem Eifer dahin zu arbeiten, daß bald für Hartfree ein förmlicher Pardon ausgefertigt würde.

Quelle:
-, S. 161-165.
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