Fünftes Kapitel
Enthält verschiedene Vorfälle.

[141] Der Tag war nun da, an welchem Hartfree einen schmachvollen Tod leiden sollte. Freindly hatte ihm sein Versprechen, als Vater für seine jüngste Tochter zu sorgen und die älteste zur Frau zu nehmen, aufs feierlichste wiederholt. Dies richtete ihn außerordentlich auf, und er hatte den Abend zuvor von diesen kleinen Geschöpfen mit einer Zärtlichkeit Abschied genommen, die sogar dem Gefangenwärter Tränen auspreßte und doch mit einer Seelengröße gepaart war, der kein Stoiker sich hätte schämen dürfen. Als man ihm sagte, daß die Kutsche parat stände, die Freindly ihm besorgt hatte, und daß die übrigen Gefangenen schon fort seien, umarmte er seinen Freund mit der größten Wärme und bat ihn, er möchte ihn nun verlassen; Freindly aber bestand darauf, ihn zu begleiten, welches sich Hartfree auch endlich gefallen ließ. Nun wollte er in die Kutsche steigen, aber ach! Noch waren nicht alle Schwierigkeiten besiegt. Denn eine Freundin erschien, von welcher er noch den zärtlichsten, den schmerzlichsten Abschied nehmen mußte. Diese Freundin war Mistreß Hartfree selbst, die mit einem wilden, stieren, halb wahnsinnigen Blick auf ihn zulief und ihm ohmmächtig in die Arme stürzte, ohne nur ein Wort zu sprechen. Kaum konnte Hartfree bei dieser überraschenden Szene seiner Vernunft und seiner Sinne Meister bleiben. In der Tat – man hätte wünschen mögen, dies unglückliche Paar wäre hier lieber Arm in Arm gestorben,[141] als daß es leben sollte, den namenlosen Schmerz zu fühlen, der ihm bevorstand und den das unglückselige Weib, sobald sie nur wieder zu sich selbst kam, in folgenden halberstickten Akzenten zu erkennen gab: »O mein Gemahl! In diesem Zustande finde ich dich wieder – nach einer so langen, so grausamen Trennung. Wer hat dies getan? Schreckliches Verhängnis – was ist die Ursache? – Ich weiß – du kannst diese Strafe nicht verdienen. Sage mir doch – aus Barmherzigkeit, o sagt mir, so lange meine Sinne mich noch nicht verlassen, so lange ich noch hören, euch noch verstehen kann, (zu den Umstehenden) was ist sein Verbrechen?« Bei diesen Worten lachten einige; andere erwiderten: »Sein Verbrechen? Kleinigkeit! Er ist nicht der erste und wird auch nicht der letzte sein. Das Schlimmste bei der ganzen Sache ist, daß ich um mein Mittagessen geprellt bin, wenn ich hier den ganzen Morgen stehen muß.« Noch schwieg Hartfree, dann sammelte er sich plötzlich und rief: »Ich will alles mit Geduld ertragen.« Darauf wandte er sich an den kommandierenden Offizier und bat ihn, er möchte ihn doch einige Minuten mit seiner Frau allein lassen, denn er hätte sie seit seinem unglücklichen Schicksal nicht gesehen. Der große Mann antwortete: Er bedauere ihn und wolle mehr für ihn tun, als er mit Recht verantworten könnte; aber er halte ihn für einen honetten Menschen, der wohl wissen würde, daß eine Höflichkeit der andern wert sei. Bei diesen Worten zog Freindly, der selbst beinahe tot war, fünf Guineen aus der Tasche; der große Mann steckte sie ein und sagte, er wolle Hartfree zehn Minuten Frist lassen, konnte aber doch nicht umhin, zu bemerken, manch einer hätte wohl teurer für zehn Minuten bezahlt, die er bei einem hübschen Frauenzimmer zugebracht; und was dergleichen Possen mehr waren, die nicht hierher gehören. Hartfree erhielt nun die Erlaubnis, mit seiner Frau in die Stube zu gehen; der Offizier gab ihm aber die Warnung mit, er müsse sich fördern, denn die übrigen von der Gesellschaft würden schon vor ihm auf dem Richtplatz angelangt sein, und er besitze vermutlich zu viel Lebensart, um lange auf sich warten zu lassen.

Das zärtliche, aber unglückselige Paar bediente sich nun dieser zehn Minuten, um Abschied zu nehmen, während der Offizier die Zeit aufs sorgfältigste nach seiner Uhr abmaß. Hartfree bot alle seine Entschlossenheit auf, sich von seinem Weibe zu trennen, an der seine ganze Seele hing; er beschwor sie, sich ihren Kindern zu erhalten und suchte sie durch die Versprechungen zu trösten, die Freindly ihm so feierlich getan: aber alles umsonst. Mistreß Hartfree erlag diesem grausamen Schlage des Schicksals und fiel von[142] neuem in eine solche Ohnmacht, daß man kein Zeichen von Leben an ihr gewahr wurde und Hartfree mit lauter Stimme um Hilfe rief. Freindly stürzte zuerst in die Stube, doch kamen noch verschiedene andere Leute darüber an; und merkwürdig war es, daß einer von ihnen, der sich die zärtliche Szene des Abschieds zwischen diesen beiden Unglücklichen ohne Rührung angesehen hatte, durch das totenbleiche Gesicht der Ohnmächtigen aufs empfindlichste gerührt wurde und in der größten Eile nach Hirschhorn, Wasser und anderen Erfrischungen lief. Die zehn Minuten waren nun verstrichen, und weil der Offizier sah, daß man gar keine Anstalten machte, Verlängerung der Frist zu erkaufen (denn Freindly hatte unglücklicherweise seine Taschen auf den ersten Griff ausgeleert), ward er ungestüm und sagte Hartfree, er sollte sich doch schämen, daß er sich so wenig männlich betrüge. Hartfree bat ihn um Verzeihung und sagte, er wolle ihn nicht länger warten lassen. Dann rief er mit einem tiefen Seufzer: »Ach, mein teures Weib!« schloß darauf seine Frau in seine Arme, küßte ihre blassen Lippen feuriger, als ein Bräutigam die blühenden Wangen seiner Braut, und rief wieder: »Gott der Allmächtige segne dich – und ist es sein Wille, so wecke er dich wieder zum Leben – wo nicht, so mögen wir uns in einer besseren Welt Wiedersehen.« Er wollte sich von ihr losreißen; aber als er merkte, daß sie wieder zu sich kam, erneuerte er seine Umarmung, drückte ihre Lippen, auf welche Leben und Wärme zurückkehrten, so fest, als wollte er seine ganze Seele in die ihrige aushauchen; dann bat er den Offizier flehentlich, ihm noch zehn Minuten zu vergönnen, weil er ihr noch vieles zu sagen hätte, was ihre Ohnmacht ihn zu sagen verhindert. Der würdige Diener der Gerechtigkeit fühlte sich vielleicht ein wenig gerührt bei dieser zärtlichen Szene; er nahm daher Freindly beiseite und fragte ihn, was er geben wollte, wenn er seinem Freund noch eine halbe Stunde erlaubte? Sein ganzes Vermögen, erwiderte Freindly; er habe freilich kein Geld mehr bei sich, aber er wolle ihn auf den Nachmittag gewiß bezahlen. »Nun – nun«, sagte jener, »ich will billig sein: zwanzig Guineen.« – »Schlagen Sie ein«, erwiderte Freindly. »Dann mögen Sie meinetwegen eine ganze Stunde beisammen bleiben«, sagte der Offiziant; »was hilfts, mit einer guten Nachricht heimlich zu tun? Der Herr hat von Gerichts wegen Aufschub bekommen.« Das hatte man ihm nämlich kurz vorher zugeflüstert. Die Freude, welche diese Nachricht den beiden Freunden und Mistreß Hartfree verursachte, geht über alle Beschreibung. Glücklicherweise war ein Chirurgus zugegen, der ihnen auf der Stelle zur Ader ließ. Der Offiziant, der sich die bewußten zwanzig[143] Guineen nochmals von Freindly versprechen ließ, wünschte ihnen allen Glück, schüttelte unserm Hartfree die Hand, schaffte ihm die Zuschauer aus der Stube und ließ die drei Freunde beieinander.

Quelle:
-, S. 141-144.
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