Drittes Kapitel
Enthält Szenen von Sanftmut, von Liebe und Ehre – und alles in großem Stil.

[56] Der Graf hatte sein Juwel für den völligen Wert losgeschlagen und diese Summe noch überdem durch seine Geschicklichkeit bis zu tausend Pfund erhöht. Dies Geld lieferte er verabredetermaßen an Hartfree ab und versprach ihm das übrige binnen einem Monat. Sein Haus, seine Equipage, sein Ansehen, vor allen Dingen aber das Imposante in seinem Ton und seinem ganzen Benehmen würde jedermann betrogen haben, es hätte denn einer sein müssen, der im Innersten seines großen und weiten Herzen etwas gefunden, das ihn vor Betrug von außen her gesichert hätte. Hartfree trug daher nicht das mindeste Bedenken, ihm Kredit zu geben; weil er aber diese Juwelen selbst aufgenommen hatte, so bat er den Grafen, er möchte doch die Güte haben, ihm einen Wechsel für diese Summe auszustellen, womit der Graf auch sogleich zufrieden war. Er zahlte ihm also tausend Pfund bar, und für zweitausendachthundert gab er ihm seinen Wechsel, und der arme Hartfree glühte vor Dankbarkeit gegen unsern Wild, daß er ihm einen so guten Kunden verschafft hätte.

Kaum war Hartfree fortgegangen, so trat Wild in das Zimmer und empfing das Juwelenkästchen aus den Händen des Grafen. Sie hatten nämlich die Verabredung getroffen, es sollte bei Wild, als dem Urheber des ganzen Projekts, dem auch der größte Teil der Ausbeute zufallen mußte, niedergelegt werden. Wild erbot sich nun, spät abends wiederzukommen, um den Raub zu teilen; aber der Graf setzte solch ein großes Vertrauen in die Ehre unseres Helden, daß er sagte: Wenn es ihm die geringste Ungelegenheit machte, so könnten sie es füglich bis morgen aufschieben. Dies behagte unserm Wild noch besser; und nachdem sie sich hierüber gründlich besprochen hatten, eilte Wild nach dem Orte, wo die beiden Ehrenmänner ihrer Ordre gemäß Hartfree anfallen und[56] plündern sollten. Diese Herrn entledigten sich denn auch ihres Auftrags mit vieler Entschlossenheit; sie griffen den Feind an und nahmen ihm die ganze Summe wieder ab, die er vom Grafen erhalten hatte.

Als das Scharmützel zu Ende war und Hartfree auf dem Boden zappelte, setzte unser Held den Siegern nach, weil er es eben nicht für gut befand, die Beute in ihren Händen zu lassen, ob er sie gleich sonst als Männer von Ehre kannte; und kaum waren sie mit ihrem Fang in Sicherheit gekommen, so nahm Freund Wild, weil sie es zuvor verabredet hatten, neun Zehntel von der Beute in Empfang. Die untergeordneten Helden äußerten zwar etwas mehr Widerspenstigkeit, ihren Kontrakt zu erfüllen, als nach den Gesetzen der Ehre erlaubt war; aber Wild wußte sie teils durch die Stärke seiner Gründe, aber bei weitem mehr durch Schwüre und Drohungen dahin zu vermögen, daß sie ihrem Versprechen nachkamen.

Als unser Held nun dieses große und rühmliche Abenteuer mit wunderbarer Geschicklichkeit bestanden hatte, beschloß er, sich bei dem schönen Geschlecht von so vielen Mühseligkeiten zu erholen. Er machte sich daher auf den Weg, um zu seiner liebenswürdigen Lätitia zu gehen, traf aber unterwegs eine liebenswürdige Dame seiner Bekanntschaft an, und zwar eine Miß Marie Stradle, die eben ein wenig frische Luft schöpfen wollte. Kaum war diese ehr- und tugendsame Dame unsern Wild gewahr, so ging sie auf ihn zu und schlug ihn mit einer gewissen Vertraulichkeit auf die Schulter und bat ihn zugleich, sie doch in einer benachbarten Taverne mit einem Nößel Wein zu traktieren. Liebte gleich unser Held die schöne Lätitia mit außerordentlicher Zärtlichkeit, so gehörte er doch nicht zu der niedrigen, kriechenden Menschenklasse, die sich, wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, einem Weibe an die Schleppe hingen und von jener armseligen Tugend, welche man Beständigkeit nennt, angesteckt sind. Er willigte daher den Augenblick ein und begleitete sie in die Taverne, die ihres trefflichen Weins wegen in sehr gutem Rufe stand, woselbst sie sich ein eignes Zimmer geben ließen. Wild war sehr dringend in seinem verliebten Stürmen; aber umsonst, die junge Dame erklärte, sie wolle ihm ihre Gunst durchaus nicht eher schenken, als bis er ihr ein kleines Präsent gemacht. Herr Wild sträubte sich keineswegs, worauf sie ihn denn so glücklich machte, als er nur wünschen konnte.

Wilds unaussprechliche Zärtlichkeit für seine teure Lätitia erlaubte ihm nicht, sich lange bei Miß Stradle zu verweilen. Ungeachtet aller Liebkosungen dieser jungen Dame schützte er daher[57] bald eine Entschuldigung vor, stieg die Treppe hinab und begab sich stehendes Fußes zu Lätitien, und zwar ohne Abschied von Miß Stradle oder vom Aufwärter zu nehmen, mit welchem sich die Dame in der Folge wegen der Rechnung, so gut sie konnte, abfinden mußte.

Als Herr Wild bei Snaps ankam, fand er bloß Miß Theodosia zu Hause; diese junge Dame war wie Penelope mit Stricken beschäftigt, nur mit dem Unterschiede, daß, wie Penelope bei Nacht wieder aufriß, was sie bei Tage gewebt oder gestrickt hatte, unsre junge Schöne bei Nacht wieder anstrickte, was sie bei Tage abgerissen hatte. Kurz, sie flickte ein paar blaue Strümpfe mit roten Zwickeln. Ich würde diesen Umstand gewiß nicht berührt haben, wenn man daraus nicht sehen könnte, daß es zu unsern Zeiten doch noch Damen gibt, die die einfache Sitte des Altertums nachzuahmen belieben.

Wild fragte augenblicklich nach seiner Geliebten und erhielt zur Antwort, sie wäre nicht zu Hause. Dann fragte er, wo er sie finden könne, und erklärte zugleich, er wolle nicht von der Stelle gehn, bis er sie gesehen, was noch mehr – bis er sie geheiratet hätte: denn seine Leidenschaft für sie war in der Tat edel, oder mit andern Worten: er hatte solch ein unbezwingliches Verlangen nach ihrem Besitz, daß er alles mögliche angewendet hätte, dies Verlangen zu befriedigen. Dann zog er das Kästchen hervor und schwur, es sei voll feiner Juwelen, sie sollte sie alle haben – und noch tausend Versprechungen obendrein. Dies wirkte denn auch so mächtig auf Miß Theodosia, deren Fehler Neid gegen ihre Schwester nicht war, daß sie unsern Wild bat, sich ein wenig niederzulassen, bis sie ihre Schwester aufgefunden und zu ihm gebracht hätte. Der Liebhaber dankte ihr aufs höflichste und versprach, bis zu ihrer Rückkehr zu warten; Miß Theodosia aber überließ ihn seinen einsamen Betrachtungen, riegelte die Küchentür hinter sich zu (denn die meisten Türen dieses Hauses waren von der Art, daß sie von außen verriegelt werden konnten), öffnete die Haustür mit großem Geräusch, aber ohne hinauszugehn, und schlich sich ganz sachte die Treppe hinauf, wo sie wußte, daß Miß Lätitia ein kleines Rendezvous mit Herrn Bagshot hatte. Als Miß Lätitia nun vernommen, Herr Wild wäre unten und hätte solche großen Versprechungen getan, sagte sie Herrn Bagshot, eine junge Dame sei zum Besuch gekommen, die sie aber so bald als möglich abfertigen und dann wieder zu ihm kommen wolle. Sie bäte ihn daher, geduldig ihrer Rückkunft abzuwarten; sie wolle die Türe auch nicht abschließen, obgleich ihr Vater es ihr nimmer verzeihen würde, wenn dies herauskäme.[58] Bagshot versprach ihr auf seine Ehre, er wolle nicht aus der Stube gehn, und die beiden jungen Damen schlichen sich ganz sachte die Treppe hinab, stellten sich, als kämen sie eben erst ins Haus, gingen dann in die Küche, wo selbst die Anwesenheit der keuschen Lätitia die Gesichtszüge ihres Liebhabers nicht gleich wieder in die gehörigen Falten rücken konnte; denn während Theodosiens Entfernung hatte er die Entdeckung gemacht, daß die Börse mit neunhundert Pfund Banknoten, die er dem Herrn Hartfree hatte abnehmen lassen, zum Teufel sei; und die Wahrheit zu sagen, so hatte Miß Stradle sie ihm auch in der Hitze ihrer verliebten Umarmungen gar behende aus der Tasche praktiziert. Indessen, da er eine vollkommene Herrschaft über seine Empfindungen oder vielmehr über seine Muskeln besaß, die auch ebenso erforderlich zur Bildung eines großen Charakters wie zur täuschenden Darstellung desselben auf der Bühne ist, so zwang er bald ein Lächeln auf seine Wangen, verbarg sowohl sein Unglück wie seinen Schmerz und begann, Miß Lätitia seine Liebe aufs dringendste zu empfehlen.

Unter andern guten Eigenschaften hatte diese junge Dame drei herrschende Leidenschaften: nämlich Eitelkeit, Wollust und Geiz. Die erste von diesen befriedigte Herr Smirk und Compagnie; die zweite Herr Bagshot und Compagnie; aber unser Held hatte einzig und allein die Ehre, der dritten ein Genüge zu leisten. Diese drei Arten von Liebhabern wußte sie auf einem ganz verschiednen Fuß zu behandeln. Bei Smirk war sie mutwillig und kokett, bei Bagshot verliebt und nachgiebig, bei Wild aber kalt und zurückhaltend. Sie sagte ihm daher mit der ernsthaftesten Miene von der Welt, es sei ihr lieb, daß er das Unrechtmäßige in seinem Betragen bei ihrer letzten Zusammenkunft eingesehen hätte, wo er sich so unhöflich aufgeführt, daß sie schon willens gewesen wäre, ihn niemals wieder zu sehen; sie befürchtete, ihr eignes Geschlecht würde ihr kaum die Schwachheit verzeihen, die sie sich zuschulden kommen ließe, indem sie von diesem Entschluß abginge, was sie freilich nimmer getan haben würde, hätte ihre Schwester, die ihre Aussage bestätigen könnte (und das tat sie denn auch mit vielen Schwüren), sie nicht wieder in seine Gesellschaft gelockt mit dem Vorwande, es sei eine Fremde da, sie zu besuchen; indes, da er es jetzt für gut befinde, ihr überzeugende Beweise von seiner Liebe zu geben, und da sie merke, daß es nicht auf ihre Tugend gemünzt sei, so müßte sie gestehen – daß –

Hier begann sie zu stottern, und Theodosia nahm das Wort: »Nein, Schwester! Du sollst dich nicht länger verstellen. Ich versichere[59] Sie, Herr Wild: sie liebt Sie aufs feurigste. Und wahrhaftig, liebe Letti, wenn du nur Miene machst, fortzugehn, entdecke ich ihm alles, was du je zu mir gesagt hast, da ich merke, daß er es so ehrlich meint.« – »Wie, Schwester?« antwortete Lätitia, »du wirst mich doch nicht aus der Stube jagen wollen? Solch eine Behandlung habe ich nicht erwartet.«

Wild ließ sich nun auf ein Knie nieder, ergriff ihre Hand und wiederholte seine Beteuerungen, die ich mit Stillschweigen übergehe, weil der Leser sie sich leicht von selbst vorstellen kann. Dann legte er das Kästchen zu ihren Füßen, aber sie schlug es höflich aus; indessen, da er seine dringende Bitte, es anzunehmen, wiederholte, fragte sie mit niedergeschlagenen Augen und gedämpfter Stimme, was darin enthalten sei? Wild öffnete es auf der Stelle und langte (mit Kummer schreibe ich es nieder, und mit Kummer wird es jeder gutdenkende Leser vernehmen) eins von jenen schönen Halsbändern hervor, womit auf einem Jahrmarkt der weiße Busen einer Königin Talestris, Anna Bullen oder Elisabeth geziert zu sein pflegt. Die Wahrheit zu sagen, so bestand es aus dem Stoff, womit Dardäus Magnus, ein berühmter Tabulettkrämer, die Schönen vom zweiten Range um einen sehr zivilen Preis bedient. Denn um dem Leser mit einem Male aus dem Traume zu helfen, so sei hiermit kund und zu wissen, daß der vorsichtige Graf aus Furcht, irgend ein kleiner Umstand möchte den Herrn Wild morgen am bestimmten Ort zu erscheinen verhindern, die Juwelen sorgfältig in die eigne Tasche gesteckt und an ihrer Stelle diese falschen Steine in das Kästchen praktiziert hatte, welche freilich in den Augen eines wahren Philosophen, vorzüglich wenn er noch obendrein ein Kenner von recht künstlerischer Komposition ist, mehr Wert haben mußten, als in den Augen der keuschen Lätitia, die sich in der Tat sehr gut auf Juwelen verstand. Denn Herr Snap, von dem großen Vorteil überzeugt, den die Kenntnis dieser Dinge jungen Damen gewähren könne, hatte diesen Teil ihrer Erziehung beileibe nicht vernachlässigen wollen und sie zu dem Ende in einem Alter, wo die Mädchen gewöhnlicherweise nichts, als sich zu putzen, lernen, bei einem berüchtigten Pfandjuden als Stubenmädchen vermietet.

Der Blitz, der von den Juwelen flammen sollte, flammte eher aus den Augen der keuschen Lätitia, und der Donner ihrer Stimme folgte schnurstracks nach. Sie gab unserm Helden alle Ehrentitel, die ihr nur geläufig waren, und er stand schweigend vor Erstaunen und errötend vor Scham und Unwillen da, daß er sich hatte übertölpeln lassen. Endlich kam er wieder zu sich selbst, warf das Kästchen wütend zur Erde, nahm den Schlüssel vom Tische, flog aus[60] der Türe, ohne den Damen, die beide weidlich über ihn herfielen, eine Antwort zu geben oder um Abschied von ihnen zu nehmen, und eilte, was er konnte, der Behausung des Grafen zu.

Quelle:
-, S. 56-61.
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