Neuntes Kapitel
Noch mehr Größe bei Wild. Eine häßliche Szene zwischen Mistreß Hartfree und ihren Kindern, nebst einem Plan unseres Helden, der die höchste Bewunderung, ja, sogar Erstaunen verdient.

[76] Als Wild seine Geliebte oder vielmehr (um unsere Metapher fortzusetzen) sein niedliches Wildpret nach Hause führte, fiel es ihm zuvörderst ein, sie in eins von den Speisequartieren in Coventgarden zu bringen, wo man die jungen Herren mit köstlich zubereitetem Weiberfleisch zu bedienen pflegt; weil er aber befürchtete, er möcht nicht bald genug zum Zwecke kommen oder sich wohl gar durch allzuvoreilige Hitze um seine künftigen Erwartungen bringen, ihn auch noch überdem ein edler Plan beifiel, durch den er zu gleicher Zeit sein Vergnügen und seinen Vorteil sichern könne, so begleitete er Mistreß Hartfree geradewegs nach Hause und nahm Abschied von ihr nach vielen Freundschaftsversicherungen und mit dem Versprechen, morgen in aller Frühe bei der Hand zu sein, um sie wieder zu ihrem Manne zu führen.

Wild begab sich nun in einen Schlafkeller, wo er verschiedene seiner Bekannten antraf, mit denen er den Überrest der Nacht verschwelgte; auch störte ihn kein Gedanke an Hartfree in seinem Vergnügen. Seine Seele war so groß, daß nichts ihren Frieden unterbrach, außer der Furcht, Miß Lätitia möchte eine Entdeckung machen; denn er wußte, daß sie nicht gut auf ihn zu sprechen war. Dies allein unterbrach die vollkommene Heiterkeit des Geistes, die er sonst würde genossen haben. Weil er sie nun diesen Abend nicht mehr sehen konnte, so schrieb er ihr einen Brief voll tausend Beteuerungen seiner Liebe und ebensovielen Versprechungen, auf die er übrigens am meisten baute; alles nur, um die Dame wieder in gute Laune zu bringen; denn von seinem Verdacht ließ er sie nicht das mindeste merken, empfahl ihr auch keine Vorsicht und Verschwiegenheit, weil es seine beständige Maxime war: Bringe[76] keinen Menschen auf den Gedanken, dir zu schaden, indem du ihn merken läßt, daß es in seiner Gewalt stehe.

Wir müssen uns nun wieder nach Mistreß Hartfree umsehen, die eine schlaflose Nacht unter ebenso großem Schmerz und Verzweiflung wegen der Abwesenheit ihres Mannes zubrachte, als ein wohlerzogenes Frauenzimmer fühlen würde, wenn der ihrige unvermutet von einer langen Reise wieder nach Hause käme. Als ihre Kinder am Morgen zu ihr gebracht wurden, fragte der ältere, wo der liebe Vater wäre? Sie konnte nicht umhin, in Tränen auszubrechen. Das Kind ward dies gewahr und rief: »Weinen Sie nicht, Mutter! Ich weiß gewiß, Vater würde nicht ausbleiben, wenn er nicht müßte!« Bei diesen Worten schloß sie das Kind in ihre Arme, warf sich in einem Anfall von Verzweiflung in einen Stuhl und rief: »Nein, mein Kind, die ganze Bosheit der Hölle soll uns nicht länger trennen!«

Dieser Umstände würden wir gar nicht gedacht haben, da sie doch höchstens sechs bis sieben Lesern Unterhaltung gewähren können, hätten wir dadurch nicht beweisen wollen, daß es Schwachheiten im gemeinen Leben gibt, die großen Seelen so fremd sind, daß sie sich nicht einmal eine Vorstellung davon machen können, und wäre es ferner nicht unsere Absicht gewesen, durch die Darstellung solch einer armseligen Kreatur die Größe desto besser ins Licht zu setzen, von der wir in dieser Geschichte ein so interessantes Gemälde zu geben suchen.

Als Wild in die Stube trat, fand er die Mutter mit dem einen Kinde im Arm, das andre kniete zu ihren Füßen. Nachdem er ihr die gewöhnlichen Komplimente gemacht, bat er sie, doch die Kinder nebst der Magd aus der Stube zu schicken, weil er ihr etwas von Wichtigkeit anzuvertrauen habe.

Sie ließ ihm seinen Willen, und als die Tür abgeschlossen war, fragte sie ihn mit großer Ängstlichkeit, ob es ihm geglückt sei, ihrem Manne einen Bürgen zu schaffen? Er antwortete, er habe sein Heil noch nicht versucht; aber er sei auf ein Mittel gefallen, wodurch sie ihren Mann, ihre Familie und sich selbst gewiß würde retten können. Demzufolge sollte sie sich stehenden Fußes mit ihren kostbarsten Juwelen nach Holland machen, und zwar ehe noch eine Bankerottstatute sie daran hindern könnte; er selbst wolle sie dahin begleiten, sie in Sicherheit bringen und dann zurückkommen, um ihren Mann zu befreien, der seine Gläubiger alsdann sehr leicht würde befriedigen können. Er sagte, er komme geradewegs von ihrem Manne, dem er diesen Entwurf mitgeteilt, der ihn auch außerordentlich gebilligt habe und sie bitten lasse,[77] ihn so bald als möglich auszuführen, weil jeder Augenblick kostbar sei.

Der Umstand, daß ihr Mann dies Mittel gebilligt, ließ keinen Zweifel bei dem armen Weibe übrig: sie bat sich nur einen Augenblick Zeit aus, um ihn zu besuchen und Abschied von ihm zu nehmen. Aber dies schlug ihr Wild rund ab; durch den kleinsten Aufschub, sagte er ihr, beschleunige sie den Ruin ihrer Familie; sie solle sich ja nur auf einige Tage von ihm trennen, denn sobald er sie sicher nach Holland geschafft, wolle er zurückkommen, ihrem Manne zu seiner Freiheit verhelfen und denselben zu ihr bringen. »Ich war die unglückliche, obgleich unschuldige Ursache des Unglücks meines lieben Thomas, und ich will entweder mit ihm sterben oder ihn wieder herausreißen.« Mistreß Hartfree äußerte den lebhaftesten Dank für seine Güte, bat aber noch immer um eine kurze Unterredung mit ihrem Mann. Wild bestand darauf, jede Minute sei kostbar, und fügte mit einem mehr gerührten als ärgerlichen Ton hinzu, wenn sie nicht Entschlossenheit genug habe, dem Willen ihres Gemahls nachzukommen, so würde sie an seinem Unglück schuld sein; denn was ihn beträfe, so müsse er es verschwören, sich wieder in seine Angelegenheiten zu mischen.

Dann tat sie ihm den Vorschlag, sie wolle ihre Kinder mitnehmen. Auch dies schlug Wild ihr ab, unter dem Vorwand, sie würden sie nur auf ihrer Flucht aufhalten und es wäre schicklicher, wenn ihr Mann sie nachbrächte. Die gute Frau mußte sich endlich zum Ziele legen und sie packte also ihre besten Sachen zusammen, nahm den zärtlichsten Abschied von ihren Kindern und empfahl sie der Sorgfalt ihrer sehr treuen Wärterin. Dann riefen sie eine Mietkutsche, welche sie nach einem Gasthof brachte, woselbst sie eine Kutsche mit Sechsen nahmen und immer nach Harwich zueilten.

Wild war unterwegs froh und guten Mutes: schon glaubte er sich im Besitze seiner Geliebten und der reichen Ladung, die sie führte. Kurz, er empfand schon den Vorgeschmack aller der Glückseligkeit, die zügellose Lust und unersättliche Habsucht ihm versprechen konnten. Das liebenswürdige Geschöpf, das diese Leidenschaften befriedigen sollte, dachte an nichts, als an den unglückseligen Zustand ihres Mannes und ihrer Kinder. Kaum ein Wort kam über ihre Lippen, obwohl viele Tränen ihrem strahlenden Auge entquollen, die (wenn wir uns anders so einen groben Ausdruck erlauben dürfen) bloß zur Sauce dienten, den Appetit unseres Wild zu erhöhen.[78]

Quelle:
-, S. 76-79.
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