Achtes Kapitel
Worin unser Held seine Größe zu einer außerordentlichen Höhe bringt.

[73] Fort also, sobald als möglich, mit diesem abscheulichen Gemälde menschlicher Undankbarkeit, und laßt uns dafür lieber bei der Darstellung der edlen Zuversicht verweilen, welcher die Franzosen nicht ohne Grund das Beiwort gut anhängen. Hartfree hatte kaum die obigen Briefe gelesen, als unser Held vor ihm erschien, und zwar nicht mit dem Blick, womit ein erbärmlicher Dorfpfarrer seinem Patron vor Augen kommt, wenn er ihm bei einer Parlamentswahl zuwider gewesen, oder den ein Doktor annimmt, wenn er von einer Türe wegschleicht, wo man ihm die tröstliche Nachricht von dem Tode seines Patienten gegeben; auch nicht mit der niedergeschlagenen Miene, die einen Menschen verrät, der nach einem langen Kampfe zwischen Tugend und Laster endlich für das letztere entschieden hat und der nun bei seinem ersten Schelmenstück entdeckt wird: nein – unser Held trat auf mit der edlen, kühnen und großen Zuversicht, womit ein Premierminister seinen Klienten versichert, das Amt, das er ihm versprochen, sei bereits lange zuvor vergeben worden.

Ebenso eine Unruhe, ebenso einen Kummer, wie dieser bei solchen Gelegenheiten äußerte, äußerte Wild auch gegen seinen Freund; und wie dickbesagter Premier euch der Nachlässigkeit zu bezichtigen pflegt, weil ihr ihn nicht früher um seine Verwendung angesprochen, ebenso fiel auch unser Held über den armen Hartfree her, daß er dem Grafen Kredit gegeben; und ohne ihn zu Worte kommen zu lassen, überhäufte er ihn mit Vorwürfen, welche, so gut sie auch übrigens gemeint waren, Hartfrees ärgster Feind nicht wütender hätte ausstoßen können. Hartfree, der sonst wohl einen kleinen Unwillen gegen Wilds Dienstfertigkeit, ihn dem Grafen zu empfehlen, geäußert haben möchte, ward hierdurch[73] außerstand gesetzt, dies zu tun, und gleich einem Eroberer, wenn er in seinem eignen Lande angegriffen wird, sah er sich genötigt, seine ganze Macht aufzubieten, um sich nur selbst zu verteidigen. Dies gelang ihm denn auch durch das Gewicht, das er auf das äußere Ansehn des Grafen und seine Equipage legte, so wohl, daß Wild nach und nach ruhiger wurde und endlich mit einem Seufzer sprach: »Ich muß bekennen, unter allen Menschen auf Gottes Erdboden habe ich das wenigste Recht, andern Leuten ihre Unvorsichtigkeit vorzuwerfen, da man mir selbst so leicht eine Nase drehen kann, was denn auch dieser Graf getan hat. Denn – kann er nicht bezahlen, so verlier ich fünfhundert Pfund durch ihn. Indes, was mich betrifft, so will ich nicht verzweifeln, und auch Sie verzweifeln nicht! Mancher findet für ratsam, sich eine Weile aus dem Staube zu machen oder sich irgendwo zu verbergen, bis er entweder seine Schulden bezahlt oder doch wenigstens mit seinen Gläubigern akkordiert hat. Und sollte dies der Fall sein, so verlier ich nur ganz allein bei dem Handel; denn meine Ehre verpflichtet mich, Sie so viel wie möglich schadlos zu halten, ob Sie gleich gestehen müssen, daß Sie allein an Ihrem Verluste schuld sind. Teufel! Hätte ich es für nötig gehalten, würde ich Sie zuverlässig gewarnt haben, aber ich dachte, das Viertel der Stadt, worin er lebte, wäre Warnung genug. Und solch eine Summe! Der Teufel muß Sie geritten haben.«

Dieser Grad von Unverschämtheit ging über Mistreß Hartfrees Vorstellung. War sie gleich kurz zuvor in schreckliche Verwünschungen gegen Wild ausgebrochen, so glaubte sie ihn jetzt doch ganz unschuldig und bat ihn, ihrem Manne nur nicht länger so unbarmherzig zuzusetzen. Ohne Kredit, sagte sie, könne kein Handel bestehen, und wahrhaftig, niemand würde es ihrem Manne verdenken, daß er einem Kavalier von des Grafen Ansehn Kredit gegeben. Überdem: Vorwürfe über Dinge, die nicht zu ändern seien, könnten zu nichts helfen; jetzt müsse man nur daran denken, den üblen Folgen vorzubeugen, die ihnen drohten; vor allen Dingen aber müsse man ihrem Manne seine Freiheit zu verschaffen suchen. »Wie«, erwiderte Wild, »hat er sich nach keinem Bürgen umgesehen?« – »Freilich wohl«, antwortete sie, »aber vergebens; alle Leute unserer Bekanntschaft haben sich mit Entschuldigungen abgefunden.« – »Keinen Bürgen aufgetrieben!« schrie Wild in einem Anfall von Leidenschaft. »Nun, er soll einen Bürgen haben, wenn es noch einen auf der Welt gibt! Es ist für heute schon spät; aber bauen Sie auf mein Wort: morgen in der Frühe schaffe ich ihm einen Bürgen.«[74]

Mistreß Hartfree nahm diese Versicherung mit dankbaren Tränen auf und sagte, Wild sei in der Tat ein echter Freund. Dann wollte sie die Nacht bei ihrem Manne zubringen; aber er wollte dies seiner kleinen Familie wegen nicht zugeben, die er unter solchen bedenklichen Umständen nicht gerne den Händen der Domestiken überlassen wollte.

Man schickte nun sogleich nach einer Mietskutsche – aber vergebens, denn diese sind gleich Mietlingen von Freunden nur im Sonnenschein, selten aber, wenn ihr sie notwendig braucht, bei der Hand. Eine Sänfte hätte sie freilich aus der Verlegenheit reißen können, aber Herr Snap lebte in einem Viertel der Stadt, wohin sich Sänftenträger selten zu verirren pflegen. Die gute Frau sah sich also genötigt, den Weg nach Hause zu Fuße anzutreten, und Wild bot sich ihr sehr galant zum Begleiter an. Diese Höflichkeit schlug sie auch nicht aus, und nachdem die beiden Eheleute aufs zärtlichste Abschied genommen hatten, ließen die dienstfertigen Hände des Herrn Snap die Frau hinaus und schlossen den Mann ein.

Da dieser Besuch des Herrn Wild eine von den Stellen zu sein scheint, die ein Schriftsteller bloß darum seiner Geschichte einverleibt, weil es ihm niemand wehren kann; da es ferner die Größe unseres Helden beeinträchtigen und als ein Zug von Freundschaft, der zu sehr nach Schwäche und Unvorsichtigkeit schmeckt, seinen Charakter herabwürdigen könnte, so halten wir es für nötig, unsern scharfsichtigen Lesern, um deren Beifall es uns vorzüglich zu tun ist, von diesem Besuche Rechenschaft zu geben.

Kund und zu wissen denn, daß in dem Herzen unseres Wild gleich bei seiner ersten Zusammenkunft mit Mistreß Hartfree so eine Leidenschaft, Zuneigung oder so ein Verlangen nach dem Besitz dieses hübschen Weibes entstanden war, als dasjenige ist, welches man heutzutage Liebe nennt und welches man füglich mit dem Heißhunger vergleichen kann, den ein wohlzubereiteter Hammel- oder Rinderbraten einem feisten Dorfpfaffen einflößt, wenn ihm nach vollbrachtem Gottesdienst sein hocherbauter Patron in der Dankbarkeit seines Herzens so einen fetten Bissen vorsetzt, den er kaum gesehen hat, als er ihn auch schon (so heftig ist seine Liebe) in der Einbildung verschlingt. Ebenso glühend war der Heißhunger unseres Helden, der von dem Augenblick an, da ihm dieser Leckerbissen zu Gesichte gekommen, schon gleich auf Mittel und Wege gesonnen hatte, sich denselben zu Gemüte zu führen. Seiner Meinung nach ließ sich das am besten durch Hartfrees gänzlichen Ruin bewerkstelligen, den er überdies schon aus anderen Beweggründen beschlossen hatte. Aber alle Operationen dieser Art setzte[75] er beiseite, bis ihm erst der Coup gelungen wäre, der ihm den Weg zu dieser letzten Absicht bahnen sollte. Mit solcher Regelmäßigkeit führte unser Held seine Pläne durch, und so erhaben war er selbst über die Macht der Leidenschaft, die sonst bei anderen Menschen die größten und edelsten Entwürfe zu zerrütten und zu vernichten pflegt.

Quelle:
-, S. 73-76.
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