Siebentes Kapitel

[24] »Die Kammer linker Hand,« hatte mir meine Tante gesagt. Jetzt stand ich in der Kammer.

Ach, Marie sollte sie bewohnen! – hier ein Clavier, dort ein Sopha, gegenüber ein grünes, seidnes Bettchen. Lange schon hatte ich es mit trunknem Auge betrachtet – endlich wagte ich es, mich zu nähern, die Vorhänge zu öffnen, und – plötzlich von einer Menge unbekannter Empfindungen ergriffen – sank ich mit einem Strohme von Thränen darauf hin.

Ach, welche Thränen! – gehörten sie dem Schmerze? dem Entzücken? – Ihr, die ihr die wahre Liebe kanntet, ihr mögt entscheiden.[24]

Das Geräusch eines Wagens weckte mich endlich aus meinem Taumel. Es war meine Tante, die, mit einer wirklich rührenden Sorgfalt nun alles anwendete, das einfache Häuschen zu einem kleinen Elysium umzubilden.

Indessen durchlief ich das ganze Gebieth, umarmte den Pachter, seine Frau, und alles, was mir in den Weg kam, beschenkte die Kinder, liebkosete dem Hunde, lachte und weinte, fragte, und hörte keine einzige Antwort. Ach, ich war glücklich, unaussprechlich glücklich! was kann man mehr seyn? –

Aber nun kam es darauf an, einen Ort aufzufinden, von welchem aus ich Marie beobachten könnte. Nach langem Suchen fiel meine Wahl auf eine große dickbelaubte Eiche, Mariens Zimmer gegen über. Zwar trennte sie ein Bach von dem Häuschen, aber ich konnte von ihrem Gipfel[25] den Garten und beynahe das ganze Gütchen übersehen.

Mehr als einmal bestieg ich sie, und berauschte mich in der reinen Lust, die ihre Zweige belebte. Je höher ich stieg, desto mehr schienen sich meine Empfindungen zu läutern, desto ruhiger klopfte mein Herz, und desto fester ward mein Entschluß: nichts zu thun, wodurch ich mich Mariens Liebe unwürdig machen könnte.[26]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 24-27.
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