Viertes Kapitel

[189] So sehr auch Genf der Stimmung meines Gemüths zusagte: so eilte ich dennoch, sobald meine Gesundheit nur einigermaßen wieder hergestellt war, unsere Reise nach Avignon zu beschleunigen.

Aber bey unsrer Ankunft, war Sophie verschwunden. Ich verwünschte mich und meine Reise – faßte und verwarf alle Augenblicke einen andern Entschluß, als Heinrich mir mit einem offnen Briefe entgegen kam.

»Tröste dich!« – sagte er – »ich weiß wo sie ist.«

»Wo, wo?« – rief ich. –

[189] Er. In Berlin! Dort erwartet dich ein Glück, auf das du gewiß nicht mehr rechnest. –

Ich. Ein Glück! – welch ein Glück? – erkläre dich!

Er. Raube dir und mir nicht die Freude der Ueberraschung, und sorge jetzt für deine Gesundheit! –

Ich. Peinige mich nicht! die Freude der Ueberraschung kann nicht so groß als die Quaal der Ungewißheit seyn.

Warum glänzt dein Auge so freudig? – warum siehst du mich so bedeutend an? – Heinrich! wenn du jemals mich liebtest, sage was weißt du!

O Gott! wäre es möglich! darf ich ihn nennen den Nahmen! – weißt du wo...

»Marie ist« – fiel er ein; und wir lagen einander sprachlos in den Armen.

»Erzähle! erzähle! – rief ich, als ich mich wieder erholt hatte – »wer fand sie?[190] wo war sie in der langen schrecklichen Zeit? –

Er. In Hamburg. Wir hatten richtig vermuthet: sie ist eine Engländerin, aber von deutschen Aeltern gebohren.

Ihr Vater, ein reicher Banquier aus Yarmouth, verlor durch den Sturz eines Londner Handelshauses sein ganzes Vermögen, nur der Mutter ihres ward gerettet. Diese eilte auf Befehl ihres Mannes, mit Marien nach Deutschland. Hierher wollte der Vater, sobald seine Angelegenheiten nur einigermaßen geordnet seyn würden, ihnen folgen. Aber nagender Gram und übermäßige Arbeit, warfen ihn aufs Krankenlager – er mußte sie schleunig wieder zurück rufen, und starb nach wenig Tagen in ihren Armen.

Nun würden sie die Ruhestätte des geliebten Mannes nicht verlassen haben, wenn ihre Freunde in Deutschland sie[191] nicht vermocht hätten, einen Ort zu verlassen, wo sie nur Ursach zu Thränen fanden.

Jetzt leben sie in Berlin, und Sophie, die sie in dem Hause ihres Bruders kennen lernte, und durch die Beschreibung ihrer ersten Reise aufmerksam gemacht wurde, entdeckte bald, daß sie sich nicht in ihren Vermuthungen geirrt, und daß sie jetzt wirklich die Marie vor sich hatte, mit der ein gewisser junger Mann so oft ihre Einbildungskraft beschäftigte.

Marie bedurfte einer Freundin, wie konnte sie eine edlere als Sophie finden? bald hatten sie kein Geheimniß mehr vor einander, und Sophie ward von Allem unterrichtet.[192]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 189-193.
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