Fünftes Kapitel

[193] »Wovon? wovon?« – rief ich. –

Er. Nun! daß sie einst dich geliebt habe. –

Ich. Ach geliebt habe! nicht mehr liebe! – nein! nein! sie kann mich nicht mehr lieben! sie kann einen Verworfnen nicht lieben, der sich ihrer unwürdig gemacht hat.

Er. Sey ruhig! fasse dich! die verlorne Unschuld kehret nie wieder, wohl aber die Tugend. Du wirst ihr von nun an dein Leben widmen, du wirst Mariens würdig werden.

Ich. O Gott mit diesem zerrütteten Körper! mit dieser ermatteten Seele! –

[193] Er. Muth! Muth! es kann noch alles gut werden! Jugend und Mäßigkeit, Arbeit und Hoffnung werden dich stärken. Die Natur, die große gütige Mutter! ist nur unerbittlich gegen den der zu spät wiederkehrt.

Ich. Ach und wenn sie dich sieht!

Er. So sieht sie einen Freund von dir.

Ich. Heinrich sieh mich an! hast du sie niemals geliebt? –

Er. Willst du eine sinnliche Erschütterung Liebe nennen – ja so habe ich sie geliebt, so liebe ich sie vielleicht noch wenn ich sie wiedersehe.

Ich. Grausamer!

Er. Warum fragtest du? sollte ich lügen? –

Ich. Sage mir, sage mir! wünschest du sie zu besitzen? – hast du es nie gewünscht? –

Er. Wie meinst du das? –

[194] Ich. Wünschest du daß sie deine Gattin, die Gefährtin deines Lebens werde? –

Er. Nein, bey Gott nicht! dazu kenne ich sie zu wenig!

Ich. Aber warum schlägst du die Augen nieder? – wie? – was verbirgst du mir? –

Er. Eine unedle Empfindung.

Ich. Heinrich – eine unedle Empfindung! – –

Er. Warum nicht? Heinrich ist ein Mensch. –

Ich. Heraus mit dieser unedlen Empfindung! nun? – was zauderst du? –

Er. Wohlan, du willst es! – ich ward mir durch deine Fragen, aber auch nur erst durch sie bewußt: daß ich zwar niemahls daran dachte, mit Marien rechtmäßig verbunden zu werden, aber, daß ich demohngeachtet oft lebhaft wünschte, mit ihr vereinigt zu seyn.[195]

»Halt ein!« – schrie ich; und taumelte zurück in meinen Sessel – »halt ein! das ist zu viel!«

O Gott! – rief er; laut schluchzend in meinen Armen – sieh wie diese fürchterliche Offenheit dein Herz zerrissen hat! –

Aber sey ruhig! noch ist alles ein Traum! – ich will mich bestrafen für diesen Traum! ich gehe nicht mit nach Berlin! ich verlasse dich! – jetzt gleich, jetzt augenblicklich will ich Anstalt dazu machen!

Er ging – und mir war als schiede die Hoffnung auf ewig von mir.[196]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 193-197.
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