[109] Es war neun Uhr. Der Baron gab das abgeredete Zeichen, und wurde sogleich hineingelassen. – Kommen Sie, gnädiger Herr! sagte das Mädchen, indem sie ihn in das Zimmer führte. Die Madame wartet mit Schmerzen auf Sie. – In dem Augenblick öffnete sich eine Seitenthür, die Schöne trat hervor, und er flog in ihre Arme.
Kaum konnte ich hoffen! rief er, und drückte sie mit Innbrunst an sein Herz. Der unglückliche Brief! Aber Ihre Güte beruhigt mich:
Es war Vorsicht! gab sie zärtlich zur Antwort: solche Personen sind indiscret; mein Geheimniß sollte niemand wissen, als Sie. Ihre Zunge fand den Weg zu seinem Herzen; sie sanken vereint auf ein Sopha und gestanden sich ihre Geheimnisse.
Mach auf, Marie! Mach auf in's Henkers[109] Namen! – Wer pocht an der Pforte? – Es ist der zärtliche Eheherr; aber das Mädchen that, als ob sie fiele, und Madame hatte Zeit, ihren Freund zu verstecken.
Der Mann stürzte herein; es war niemand anders als der Tanzmeister selbst. – Wo ist er? Wo ist er? rief er außer sich vor Wuth. – Wer denn, lieber Mann? Wer denn? – Schlange! erwiederte er mit einer drohenden Bewegung, und fieng an, das Haus zu durchsuchen. – Ich will dir leuchten, lieber Mann! sagte die Frau mit Sanftheit, zündete noch ein Licht an, und begleitete ihn.
Sie fanden nichts, denn der Freund war zu gut versteckt. – Ach ich arme Frau! rief Madame mit Krokodilsthränen: mich so zu beschimpfen! Hab' ich dir jemals Gelegenheit dazu gegeben? Aber ich weiß es: schändliche Menschen haben dich aufgehetzt! Bringe mich lieber um ehe du mich in diesem Verdachte haben willst!
Was man wünscht, das glaubt man gern. Der Tanzmeister hatte zwar dem guten Freunde, aufgelauert, er hatte ihn selbst hineingehen sehen, dennoch fieng er nunmehr an, daran zu zweifeln. Es war dunkel, dachte er: er kann auch zum Nachbar gegangen sein. Ohne ein Wort zu[110] sagen, nahm er Hut und Mantel, warf die Thüre zu, und lief nach der Stadt zurück.
Jetzt laß ihn pochen, sagte Madame, bis er schwarz wird! und holte den Freund aus seinem Schlupfwinkel hervor. Man setzte sich zu Tische. Sie liebte das Nippen, und der gute Freund schenkte ihr reichlich ein. Ach sie fand seinen Wein entzückend, und konnte sich nicht satt daran trinken. Aber der Morgen brach an, er mußte sie verlassen. – Auf den Abend? fragte er bittend. – Auf den Abend! sagte sie und ihre Blicke verstanden sich.