34. Der Keuschen

[506] Wenn sich die Götter auch befreien gleich als wir,

so nähme dich der Schmuck auch selbst zu seinem Weibe,

dieweil die Keuschheit wohnt in einem solchen Leibe,

in welchem sind gleich hoch die Tugend und die Zier,


der Geist und die Gestalt. Wie seltsam ist diß hier!

Denk, Jungfrau, daß ich nicht was Ungemeintes schreibe

und dich berede des, was ich mir selbst nicht gläube.

Dein Zeugnüß bist selbst du. Du sprichst es selbst von dir.


Die schönste Schönheit ist ein züchtiges Gemüte;

was eine Jungfer ziert, das wohnet im Geblüte.

Das Ander, was das Volk für schöne hält und heißt,


der Seelen Überzug, der Leib pflegt oft zu triegen.

Da ist ein schöner Leib, da ist ein schöner Geist,

wenn sie als hier den Glanz von wahrer Schönheit kriegen.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 506.
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