Prolog

[272] (Zur Feier des zweihundertjährigen Bestehens

der französischen Kolonie 1. November 1885)


Zweihundert Jahre, daß wir hier zu Land

Ein Obdach fanden, Freistatt für den Glauben

Und Zuflucht vor Bedrängnis der Gewissen.

Ein hochgemuter Fürst, so frei wie fromm,

Empfing uns hier, und wie der Fürst des Landes

Empfing uns auch sein Volk. Kein Neid ward wach,

Nicht Eifersucht – man öffnete das Tor uns

Und hieß als Glaubensbrüder uns willkommen.

Land-Fremde waren wir, nicht Herzens-Fremde.

So ward die Freistatt bald zur Heimatsstätte,

Zur Stätte neuer Lieb', und was seitdem

Durch Gottes Ratschluß dieses Land erfahren,

Wir lebten's mit, sein Leid war unser Leid,

Und was es freute, war auch unsre Freude.

Wohl pflegten wir das Eigne, der Gemeinde

Gedeihn und Wachstum blieb uns Herzenssache,

Doch nie vergaßen wir der Pflicht und Sorge,

Daß, was nur Teil war, auch dem Ganzen diene.

Mit fleiß'ger Hand, in allem wohl erfahren,

Was älterer Kultur und wärm'rer Sonne

Daheim entsproß und einem reich'ren Lande –

So wirkten wir.[272]

Doch unser Tun zu rühmen,

Es ist nicht das, was diesem Feste ziemt,

Heut ziemt's uns nur zu huld'gen und zu danken.


Und dieser Dank, was lieh' ihm größ're Kraft

Und Inbrunst als ein Rückblick auf das Leid,

Das einst aus unsrer Heimat uns vertrieben?


Erklinge denn, Musik, und führ' herauf,

Im Widerspiel zu dieser Stunde Glück,

Uns Bilder aus der Zeit der Hugenotten!


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 272-273.
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