Unser Friede

[254] (Sommer 1844)


Ein Sommertag, wo man zu tiefer

Siesta sich verpflichtet hält,

Wo Mücken nur und Ungeziefer

So recht lebendig in der Welt,

Wo gift'ger Pesthauch auf zum Himmel

Aus stehenden Gewässern steigt,

In deren Schlamm sich das Gewimmel

Vielbeinigen Gewürmes zeigt:


Das ist der Friede, der uns schlimmer

Als je ein Krieg zu werden droht,[254]

Der, fiel der Würfel, uns noch immer

Ein offen Feld für Taten bot;

Genüßler hegt jetzt unsre Jugend,

Und Stockgelehrte allenfalls,

Doch jeder Kraft und Männertugend

Brach dieser Friede längst den Hals. –


Doch wird die Sonn' erst unerträglich

Und dörrt den Wald und sengt die Flur,

Da hilft sich, auf gut sommertäglich,

Mit einem Schlage die Natur:

Die Donnerwolke blitzt und wettert

Und nimmt der Luft den gift'gen Hauch,

Und wird auch mancher Baum zerschmettert,

In faule Sümpfe schlägt es auch.


Welch Friede dann, wenn segenstrahlend

Die Sonn' im Westen untergeht

Und, dunkle Pupurrosen malend,

Der Himmel wie in Flammen steht!

Wir baden uns im Hauch der Frische,

Wie neugeboren ist das All,

Und in des Baumes Blätternische

Schlägt lieblicher die Nachtigall.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 254-255.
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