Zehntes Kapitel

[76] Von da kostete es Alonzo weder Kampf noch Ueberredung zu seinen neuen, wunderbar gewonnenen Freunden zurückzukehren. Unwillkührlich führte ihn der Weg jeden Tag zu ihnen. Er übte die angenehme Pflicht des Trostes und der Theilnahme mit einer Freudigkeit, in der er sich bald genug selbst vergaß. Sein Blut floß leichter, sein Blick ward heller, der strenge Frost seines Wesens linder, er empfand sich mit unaussprechlicher Rührung, ohne sich zu kennen, ohne zu forschen und zu fragen. Der Schmerz wie die Freude, jedes heilige und wahre Gefühl ziehet schnell das Band unter den Menschen zusammen. Wie durch ein Wunder war Alonzo plötzlich zu Hause unter den Fremden. Kam er, so hatte man ihn immer schon erwartet, seine Gegenwart schien allen mit einem male unentbehrlich, und nur unter herzlichen Versicherungen baldiger Wiederkehr schied man von einander. Blansche empfing ihn jedesmal mit verschämter[76] und doch höchst edler Verbindlichkeit. Dem süßen Gemisch ihrer reizenden Natur widerstand leicht niemand, das Stimmchen so hell und rein, so einfache Worte und kindlich herzliches Lachen, die allerliebste Freudigkeit über Kleines und Großes, und doch wieder so fest und ruhig, so heilig still. Von solcher unbefangenen Hingebung, von diesem ernsten Selbsterfassen hatte Alonzo früher nie eine Vorstellung gehabt. Alles war leise an dem zierlichen Mädgen, ihr Gehen und Kommen, ihr Neigen und Grüßen, jede Handreichung, die sie dem Bruder leistete, selbst die Worte flogen nur säuselnd über die feinen Lippen, man glaubte eine Blume wehen und rauschen zu hören und athmete ihr Wesen wie den Duft der Maienglöckchen, ihr linder Zauber hielt alle Gemüther gefangen. Litt Türgis, weinte die Mutter, sahen der Oheim und Alonzo zweifelhaft drin, so beschwichtigte ihr frommer Blick den Aufruhr der Sinne, die Herzen wandten sich unwillkührlich zu dem, den ihr Auge suchte, und still und ergeben erwartete man des Himmels ewigen Willen.

In solcher Nähe hatte Alonzo weder an[77] Gefahr noch Trennung gedacht. Ihm war wohl, und er hielt das Störende abwärts. Auch blieb er sich selbst und seiner neuen Verbindung. Riemand hemmte den verborgenen Andrang und Wachsthum seiner Gefühle. Philipp war immer noch nicht wieder da. Alonzo dachte nicht an ihn, er vermißte ihn nicht, er vermißte nichts in der Welt, er schien alles zu besitzen, was ihn beglücken durfte.

Sehr überrascht war er daher, als er eines Morgens den abwesend geglaubten an Türgis Bett zwischen Blansche und ihrer Mutter im ruhigen Gespräch begriffen fand. Alle drei traten ihm entgegen. Die alte Freude begrüßte ihn heut wie immer. Er erwiederte sie zerstreuet und als ihm Philipp lächelnd zuflüsterte: ich war gewiß, Sie hier zu finden, deßhalb suchte ich Sie auch nur hier, konnte er sich nicht entschließen, in seine harmlose Neckerei einzugehen, sondern blieb ernst und einsylbig. Ihm war als sehe er in Philipps Augen wie in einen Spiegel, alles was er früher gedacht, empfunden und gesagt hatte, ward ihm mit einem male gegenwärtig. Er fühlte sich unsicher,[78] durch die Nähe des Freundes auf unbequeme Weise gedruckt. Die Uniform, welche Philipp trug, erinnerte ihn an Krieg und Streit, und seine Stellung zu Frankreich, eine Beschämung, deren er nicht Herr werden konnte, hielt Herz und Zunge gefangen. Dazu lagen Philipps Blicke in stiller Beschaulichkeit immer fester und innerlicher auf Blansches Zügen, er konnte es sich nicht ableugnen, daß der Glanz und die Seele des hellen Künstlerauges eine Welt ausströme, die unter tief empfundenen Schauren das verborgene Dasein wecke. Philipp kannte nur ein Leben, er hatte sich ihm hingegeben, sein ganzes Wesen in ihm aufgelöst, er achtete nach Jünglings- und Künstlerweise wenig auf das, was um ihn vorging, ruhig horchte er der Offenbarung, welche ihm durch des Menschenbildes ewige Verkündigung aufging.

Alonzo befiel eine Angst, daß er nicht zu bleiben wußte. Er stand auf und setzte sich nieder, redete kurz und hastig, ohne mit sich zurecht zu kommen. Frau von Saint Alban spottete über seine Unruhe. Aber er konnte sich[79] nun einmal nicht finden, schützte Geschäfte vor, und eilte nach Hause.

So zerrissen und geklemmt, traf ihn folgender Brief seiner Mutter auf das peinlichste.

»Alonzo, ich sehe Dich ungern in einer Stimmung, die Deiner Würde wie Deinem Frieden drohet. Was ängstet dem Adler das wüste Geflatter der Raben. Der Spanier lebt stets in Mitten seiner Welt, voll Ehre und Ruhm. An diese Glorie reicht kein Gleißen, noch Flimmern. Richte Du dein Auge nach der Sonne, und laß der Nacht ihr dunkles Wesen. Was geht's Dich an! Dein unruhiger Haß gefällt mir nicht. Er zeigt von Ungleichheit und Streit, man haßt niemals, was man unbeachtet ließ.

Dein Verhältniß, dein Geschäft, sagst du, drücken dich? Die Pflicht darf niemand eine Last sein. Uebe sie ruhig, sie wird Dein Gemüth klar machen.

Des Königs Vertrauen ehrt Dich. Ich darf nichts dazu noch davon thun. Er hat Dich gesandt, fordre nicht, daß ich Dich zurückrufe. Alonzo, die Welt hat ihre Ketten abgeschüttelt,[80] bist du noch unterjocht, daß du seufzst? Wehre den kränklichen Aerger von dir, er mattet das Herz ab und lockt die Schmach auf unser Haupt. Denke an den Heiland und seinen Stellvertreter auf Erden, er duldete und klagte nicht, und überwand! Was kann Alonzo de Mendez mit einem Volk zu theilen haben, das nicht Gott, nicht Glauben, nicht Treue kennt! Vergiß es nicht, daß Deinem Blick das Unwürdige nicht begegnen darf, nicht begegnen kann, wenn er rein ist. Mein Sohn bete, und harre aus. Schlage das Kreuz Morgens und Abends auf Brust und Lippen, laß nichts Unreines hineinfallen, nichts Unbesonnenes herausgehn. Bete mein Kind, Deine Mutter betet mit dir. Bewahre Auge und Sinn.«

Er hielt das Blatt in der Hand, und sah starr auf die strengen, heftig bewegten Züge. Seine Augen füllten sich mit Thränen. Hat sie dich verstanden, Unglückseliger, rief er unter gewaltiger Angst, hat ihr ahndendes Herz es ausgesprochen, ohne es zu wollen, ohne es zu wissen? und ist es nun wahr? Mein Gott ja, der Streit ist es, der Haß und die Liebe, die[81] mich noch um Sinn und Verstand bringen werden. Er preßte die gefaltenen Hände schmerzlich gegen die Brust. Blansches Bild stieg fromm und rührend in ihm auf, er sah das liebe Auge, den kleinen, rosigen Mund, das zarte weiche Minenspiel, es kam ihm vor als weine sie, als rede sie zu ihm! Ach Blansche, rief er, willst du den Freund nicht lassen, rufen Deine sanften Engelblicke ihn zurück? Armes Herz, du weißt nichts von Feindschaft und Eigensinn der Menschen! –

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 76-82.
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