Neuntes Kapitel

[63] Alonzo vermied es auf alle Weise, mit sich zur Sprache zu kommen. Er ließ die innern Wogen über Herz und Brust zusammenschlagen, ohne viel zu rühren und zu rücken. Die beklemmende Schwüle hielt jeden freiern Lebensstrom gefangen. Das eben war ihm recht, er scheuete die eigne Kühnheit.

Gleichwohl erwartete er Philipps Rükkehr mit weit mehr Unruhe als ihm lieb war. Er wollte etwas hören, etwas erfahren, er wußte selbst nicht was? Mit jeder Minute schwoll das Verlangen, die Sehnsucht immer stürmischer an. Er ging heftig auf und ab, Thüre und Fenster standen offen, er wollte durch kein falsches Geräusch länger getäuscht werden. Bei dem ersten Tritt, dem ersten Laut seiner Stimme, wollte er Philipp entgegentreten, er mußte doch endlich kommen, es konnte gar nicht fehlen.

Ob der Kranke wohl noch lebt? fragte er zuweilen, mit dem allerinnigsten, tiefsten Mitleid,[63] dazwischen drang eine andre Frage herauf, der er niemals Herr werden konnte, sie sah ihn so lange und so fest an, bis er ganz verwirrt die Hand auf die Augen drückte und nichts mehr hören und nichts mehr sehen mochte.

So quälte er sich stundenlang. Endlich sagte er ganz trotzig: mag er kommen oder nicht, was ist's weiter? – Er ging aus, und verträumte den Abend über in Theater und Caffees. Aber mitten unter den tausend Lampen, unter den fremden Menschengesichtern schlich es wie ein Gespenst heran? was ist das schlanke, weinende Mädgen dem wunden Jüngling? liebt sie den Bruder, liebt sie den Freund in ihm? Und kann sie anders als den Mörder hassen? –

Als er spät nach Hause kam, erfuhr er, daß ihm Philipp aufgesucht, ihn zu sprechen gewünscht, gleichwohl etwas eilig und zerstreut, nichts an ihn zurückgelassen habe. Gleichviel! sagte Alonzo, es ist auch so gut. Doch legte er sich ins Fenster und hoffte, jener solle noch einmal heransprechen. Es blieb indeß alles wie es war. Seltsam ist es bei allem dem, sagte er mißmüthig, daß Philipp nicht wenigstens ein[64] paar Zeilen schreibt! wer weiß, was er mir zu sagen hatte! Es war schon tief in der Nacht. Er warf sich aufs Bett. Ihm ward unerträglich heiß. An Schlaf war nicht zu denken. Er sprang wieder auf, ging im Zimmer hin und her und griff dann in Gedanken nach der Guitarre, und da sie verstimmt war, spannte er an den Saiten, und rührte in die Töne, ohne etwas mehr als einzelne Akkorde anzuschlagen. Er saß dem Nachtlicht gegen über, die Klänge hallten leise an ihm hin, ein kühler Lufthauch strich durch das offene Fenster, auf den Straßen war es still geworden, Alonzo sann und spielte sich so in eine tiefe Wehmuth hinein, als ein kleiner weißer Schmetterling, den man Nacht- oder Todtenvogel zu nennen pflegt, in blendenden Kreisen aus dem Dunkel an das Licht flog und vorüberschwirrend bald wieder verschwand. Alonzo wehete ein Schauer an, er wußte nicht woher noch worüber. Lange nachher kam es ihm vor, als höre er noch das Schillern der bleichen Flügel, er griff deshalb stärker in die Saiten und stimmte zuletzt unter lautem Begleiten der Stimme einen Choral an, vor dem seine Seele sich hob und dehnte.[65]

Er hatte die ganze Nacht über aufgesessen und die heiße Brust dem frischen, beruhigendem Morgenstrahl geöffnet. Der Thau lag perlend auf einem kleinen Blumengärtchen unter seinen Fenstern. Levkoyen und Reseda dufteten balsamisch, durch die Blätter säuselte der Morgenwind und schüttelte die hellen Tropfen erquicklich auf den Rasen. Es ward recht still und hell in Alonzo, und er konnte sogar dem erwachenden Leben umher, vom einförmigen Treiben der Hökerer und Verkäufer an bis zum emsigen Fleiß in der geöffneten Werkstatt freudig zu sehen. Nach und nach ward alles lauter, auch in seiner nächsten Nähe. Es war noch frühe, als er folgenden Zettel von Philipp erhielt:

»Sie waren gestern Abend nicht zu finden, ich habe Sie vergeblich gesucht. Heute bin ich gedrängt und eilig. Nur so viel, Ihr Auftrag ist ausgerichtet und auf genommen wie Sie wünschen können. Man sagt es nicht, aber man erwartet Sie. Sie hätten unrecht, dies Vertrauen zu täuschen. Leben Sie für ein paar Tage wohl. Ich mache einen kleinen Streifzug nach Versailles und dort umher. Gott mit Ihnen!«[66]

Weich und offen und unbewaffnet gegen unerwartete Eindrücke, wie Alonzo es in der frühen Morgenstunde war, trafen ihn die flüchtigen unbefriedigenden Zeilen höchst unangenehm. Er warf den Zettel heftig vor sich hin. Es ist doch wahr, rief er, Künstler sind schroffe Egoisten, sich selbst in der Kunst heraufschmeichelnd und verwöhnend, lassen sie alles andre im Leben, all' die tausend rührenden Beziehungen des Daseins unbeachtet, und kränken unaufhörlich durch Nachläßigkeit und Leichtsinn! In Versailles! was will er da! nach alten Bildern jagen, je verbleichter und bestäubter, je lieber sind sie ihm freilich, die heiße, lebendige Nähe des wartenden Freundes, was ist sie dagegen! sie fällt nur unbequem in seine Träume. Die Gegenwart ist so wahr, sie sieht so scharf und nahe ins Auge, die Phantasie hat nicht Raum, nicht Zeit zu spielen, sie will die That, die rund herausgesprochene, feste That, man hat es leichter drüben hin zu sehen und jeden flüchtig auf sich selbst zurückzuwerfen!

Er war in großer Bewegung auf- und abgegangen. Da blitzte es dunkel in ihm auf, er[67] hat mir wohl gar etwas zu verbergen! er will mit der Sprache nicht her aus, ich soll selber sehen. Das ist so recht! dem unangenehmen Eindruck geht man aus dem Wege.

Immer unwilliger, immer zerrissener im Innern beschloß er jetzt all' der Quälerei ein Ende zu machen. Der schwere Gang zu Frau von Saint Alban ward unternommen. Der Weg war lang, Alonzo hätte ihn noch um Stunden ausdehnen mögen. Endlich fuhr der Wagen jener wohlbekannten Mauer entlängst. Der Tag schien hell und deutlich auf die verhängnißvolle Stelle nieder, das Pförtchen stand offen, Kinder liefen hinein und heraus und sammelten in Körbchen die abgefallenen Rosenblätter, um sie weiter zum Verkauf zu tragen. Ein alter Mann stand daneben und hütete die blühenden Zweige vor Beschädigung. Es ward alles so wirklich, so beängstigend um Alonzo. Vor einem dunkeln Eisengatter, am Eingange einer dichten hochgewölbten Kastanienallee hielt jetzt der Wagen. Der Schlag flog auf, Alonzo blieb länger keine Wahl, er war gemeldet, angenommen, so trat er denn in Gottes Namen[68] in den schattigen Gang. Die Brust war ihm so beklemmt, daß er ein paarmal hustete und stille stand, um nur des stockenden Athems wieder Herr zu werden. Eine breite Rasentreppe herauf zwischen künstlichen Blumenbeeten erstieg er mühsam die Terassen, und trat nun unter das Portal des vornehmen altväterlichen Gebäudes. Gewölbte Gänge, in Stuck gearbeitete Verzierungen, breite Fliesen, ein paar steinerne Ritterbilder, an die sich die freche Hand der Zeit vergeblich wagte, alles hier sprach von gediegener, fester Sinnesweise. Armand öffnete feierlich, mit gesenktem Blick einzig auf sein Geschäft bedacht, eine Thür, und Alonzo stand vor Frau von Saint Alban.

Wie er hieher gekommen? was er hier sollte? es war ihm selbst ein Räthsel. Er verbeugte sich tief, als die lebhafte Frau mit schnellem Blick an ihm hinfliegend ausrief: das erwartete ich. Sie mußten es sein! Ich erkannte sie sogleich und das ist bei dem Tumulte dieser Zeit recht sehr viel, Sie sehen, wie tief Sie in unserm Herzen leben. Alonzo hatte bei dem ersten Laut ihrer Stimme die Mutter seiner[69] Unbekannten wiedergefunden. Ein Strahl unaussprechlicher Freude blitzte durch seine Seele. Es scheint, fuhr Frau von Saint Alban fort, Ihr Eintritt in dies Haus bringt Segen. Mein Sohn ist heut um vieles wohler, er dankt das unfehlbar Ihrer gestrigen Botschaft, die ihm sichtlich wohl that.

Die linde verbindliche Weise, mit der das zerrissene Mutterherz dem Trost zu geben bemühet war, der ihr so unaussprechlich wehe that, verwirrte Alonzo vollends. Gnädige Frau, stammelte er unter flammendem Erröthen, wie ich Ihnen gegenüberstehe, Sie trauen mir zu, daß ich es fühle. Ihre Güte macht mich vor mir selbst schuldiger als ich es wirklich bin. Ich kann Ihnen nichts, gar nichts sagen, daß nicht zu viel oder zu wenig wäre. Ihr scharfer Geist aber macht es Ihnen klar, daß es unglückliche Werkzeuge in der Hand des Himmels giebt, die ohne ihre Schuld bestimmt sind, den Frieden Anderer zu trüben. Gewiß es giebt im Leben verhängnißvolle Augenblicke, die dunkel und gewaltsam über uns gebieten. Daß mein Gewissen rein ist, sagt Ihnen mein Anblick, wie könnte ich anders vor Ihnen erscheinen. Ach[70] mein Herr, entgegnete Frau von Saint Alban, indem sie ihn gütig bei der Hand fassend, neben sich niedersetzen ließ, Sie finden in mir eine herb geprüfte, viel erfahrene Bürgerin dieser Welt. Das Glück kenne ich nur trügerisch und doch bin ich nicht unglücklich. Ich müßte nach so vielen Täuschungen verzweifeln und doch hoffe ich gern, es ist mir nöthig, und so oder so, am Ende geht mir doch mancher Wunsch aus, und es schickt und fügt sich mir zum Heil. Ich beweinte und betrauerte lange den einzigen Sohn. Ich gab ihn auf. Da fand ich ihn wieder. Aber anders, ganz anders, höchst fremd, und doch mein Kind. Sein Leben ward mir ein Schmerz. Ich war nicht ohne Schuld, ich hätte es denken können. Wer darf den Pesthauch dieser Luft ungestraft einathmen! Unter allen Gräueln der Revolution aufgewachsen, hatte ich ihn gehegt, bewahrt und so tief ist der Grund, den ein frommer Sinn in eines Kindes Herzen legt, daß der falsche Schein nur augenblicklich weichen darf, so tritt das rechte Wesen lebendig hervor. Mein Türgis war so weich, so hold, so leicht beweglich, der Höllendämon der Armee,[71] faßte und bearbeitete das arme, junge Herz. Mein Herr, Thorheit und Leichtsinn sind Gespielen der Jugend, wer darf einen Stein auf ihn werfen? Glücklich alle die, welche ein reines Vaterland haben, und bescheidene Vorliebe und feste Treue hegen dürfen!

Sie schwieg einige Sekunden, den Blick tiefsinnig am Boden geheftet. Drauf leicht und vertraulich zu Alonzo gewandt, sagte sie lächelnd, es scheint, der Himmel habe es sich vorgesetzt, unsre Bekanntschaft nicht fallen zu lassen. Zu stolz, meinen Dank anzunehmen, zwingt Sie die Vorsehung nun zum Mitleid. Sie erinnern sich, daß es ein menschliches Auge ist, dem Sie Thränen auspreßten, und eilen menschlich fühlend es zu trocknen. Sie sahen, es mußte so kommen, widerstreben Sie denn nicht länger, lassen Sie uns Freunde sein. Sie hatte ihre Hand mütterlich auf die seinige gelegt, Alonzo drückte sie gerührt an die Lippen. Ich bin stolz darauf, entgegnete er lebhaft, von Ihnen gnädige Frau erkannt zu sein, Sie tadeln nicht, was mich früherhin bestimmte, Sie fühlen, was mich jetzt zu Ihnen führt, und zweifeln keinen Augenblick[72] an dem, was Sie zu unverhohlen in meiner Seele lesen.

Nun denn, sagte Frau von Saint Alban aufstehend, so ist Friede zwischen uns, und so Gott will, ein festerer als alle Politik der Welt zu schließen vermag. Lassen Sie mich Sie nun meiner Familie vorstellen, der arme Kranke sehnt sich unaussprechlich Ihre Hand brüderlich zu fassen. Sie nahm Alonzos Arm und ging mit ihm durch mehrere Zimmer in einen kleinen Gartensaal. Türgis lag unter leichter Decke auf einem Ruhebett, den Kopf matt an Blansches Brust gelehnt. Diese hielt seine Hände in der ihrigen, das Gesicht wandte sich gedankenvoll nach dem offenen Fenster. Hohe Blumen wiegten draußen die Kelche hin und wieder, Bienen und glänzende Käfer summten begehrlich an ihnen hin, der Kranke schlummerte in leichten Fieberträumen. Zuweilen hob Blansche die längliche Hand, und wehete leicht die Fliegen von des armen Türgis Stirn. Alonzo und die Mutter waren herzugetreten. Blansche wagte nicht sich zu regen, aus Furcht den Bruder zu erwecken, eine leichte Neigung des Kopfes, der gesenkte[73] Blick und das feinste Erröthen begrüßten indeß den Eintretenden. Alonzo betrachtete sie in stummer Ueberraschung. Die reichen blonden Haare waren in dichten Flechten aufgesteckt, Brust und Arme umschloß ein knappes weißes Kleid, das Gesichtchen sahe aus hohem Spitzenkragen, so schuldlos rein und friedlich wie der Engelskopf auf Philipps Bilde. Er hätte stundenlang so gegen ihr über stehen können, ohne das tiefe Schweigen in ihm und um ihn durch einen Laut zu unterbrechen. Frau von Saint Alban war nicht so geduldig. Sie machte eine rasche Bewegung, Türgis schlug die Augen auf, ein leichter Schatten flog über seine Stirn, die bleichen Wangen färbten sich leise. Alonzo hatte seine Hand gefaßt und sah hell und versöhnlich in die schönen, sich mehr und mehr belebenden Augen. Es ist mein Loos, sagte jener mit rührender Stimme, Sie überall als Sieger zu sehen, Sie werden es indeß begreifen, daß auch der Ueberwundene ein stolzes Herz hegen darf, und nur im wiedergefundenen Selbstgefühl sich und dem Schicksal verzeihet, ihm so gedemüthiget zu haben. So gefallen und so gehoben darf[74] ich Ihren brüderlichen Händedruck erwiedern. Alonzo ging ein tiefer Schauder durch die Seele, als er den matt gebrochenen Klang der jugendlichen Stimme hörte, er sah mit bangem Herzklopfen die feinen, kaum geöffneten Lippen unter dem Sprechen beben, und als Türgis erschöpft auf die Kissen zurücksank, beugte er sich unwillkührlich ihn zu unterstützen. Frau von Saint Alban weinte in großer Rührung, ihres Sohnes Stirn küssend, Blansche allein sah ruhig und klar auf den ritterlichen Versöhnungsbund. Es kostete ihr auch weder Anstrengung, noch spürte man einen Wechsel in ihrem Wesen, als sich nach und nach das Gespräch gewöhnlich gestaltete und alles mehr und mehr das Ansehn eines ruhig befreundeten Krankenbesuches gewann. Sie blieb unbefangen und innig, alle ihre Achtsamkeit auf den Bruder gerichtet; und theilte so den Andern eine Stille und Wärme mit, die Alle beglückte. Alonzo vergaß, wo er war. Er fühlte sich ganz einheimisch, im Innern mit einer Familie verwachsen, von der er sich nur spät und mühsam losriß.[75]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 63-76.
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