Sechszehntes Kapitel

[150] Alonzo saß schon über eine Stunde Blansche in höchster Spannung gegenüber, ohne ihr ein Wort sagen zu können. Unter mehrern Anwesenden war ein junger Verwandter um sie beschäftigt, in dessen leisem altfranzösischen Wesen sie sich mit der unbefangensten Heiterkeit ausnehmend zu gefallen schien. Sie nannte ihn Louis, und Frau von Saint Alban mein armer, kleiner Vetter, mit einem Ton, der die Theilnahme und das Vertrauen herzlicher Gesinnungen ganz rücksichtslos aussprach. Der junge Mann trug den Lilienorden, war von edler Familienbildung, und sachten, etwas schüchternen Manieren, die eine kleine Beimischung des Fremdartigen und Ausländischen an sich trugen. Auch war er über dem Rhein erzogen. Der Kampf erweiterter Bildung und schmerzlich empfundener, unaustilglicher Blutsverwandtschaft hatte trübe Jahre hindurch tiefe Furchen in die junge Stirn gedrückt und das reiche, dunkel wallende Haar hin und her gebleicht. Oft nach den launigsten[150] Ausbrüchen sanken seine Züge plötzlich zusammen, es lag dann eine Trauer auf diesem Gesicht, die nicht Sehnsucht, nicht Rückerinnerung, die Lebenserfahrung im allgemeinen so wunderbar erzeugte. Frau von Saint Alban hob ihn auf alle Weise heraus, die übrige Familie suchte ihn mit Frankreich zu befreunden, wohin er erst seit kurzem zurückgekehrt war, man neckte ihn und verspottete seine gemischten Sitten. Eine hübsche pikante Brünette sagte mit bedeutendem Seitenblick auf Blansche, er werde sich wohl nach und nach entgermanisiren, man erlaubte sich manche Anspielung auf sein Verhältniß in der Familie, deren Aeltester er nach des Herzogs Tode ward. Er pflegte denn wohl mit einem komischen Seufzer, O du mein Gott! auszurufen und durch einen burlesken Gedankenspruch Spott und Laune auf etwas Anderes zu richten. Er redete etwas gepreßt, die Gedanken rissen sich nur mühsam von dem Innern los, dafür gab er aber auch mit jedem Wort ein Stück Herz in den Kauf. Frau von Saint Alban rief mal auf mal: wie gut er ist! Die kleine Brünette aber konnte sich nicht enthalten, ihn auszulachen,[151] und die ausländischen Sonderbarkeiten und die eigne behutsame Weise, wie eines solchen, der stets anzustoßen oder zu fallen denkt, aufs lebhafteste zu rügen. Sie flüsterte Alonzo zu, Louis nehme sich aus wie ein altfranzösisches Bild, das man in Deutschland unter Glas und Nahmen geschoben und ihm glauben gemacht habe, es sei ein deutsches Kunstwerk. Er passe sich eben deshalb nicht recht in französischen Zimmern und über dem Rhein wittere man doch auch den Franzosen in ihm. Ich mag es nicht leiden, setzte sie hinzu, wenn man sich so verschieben läßt und am Ende nirgend zu Hause ist. Deshalb hasse ich auch die meisten Nordländer, die uns zu Liebe ihre Nationalität aufopfern, hier nicht geachtet und dort nicht verstanden, was wird aus ihnen? Gleichwohl sagte Alonzo, dem die schönen Lippen die Worte anmuthig ins Herz lächelten, steht nicht zu leugnen, daß viele Ausländer durch stete Uebung eine gewisse Meisterschaft in der französischen Eleganz errungen haben, die doch anzuerkennen und von Ihnen, gnädige Frau, zu loben wäre. Zu loben? rief sie heftig, weshalb denn? etwa[152] weil sie auf plumpen Stelzen ungeschickt, eckig und langsam unsre freie, leichte Bewegungen einzeln und auswendig gelernt nachahmen? O ich höre sie auf zehn Meilen kommen, diese gemachten Pariser! steif, formell oder impertinent, nicht achtend wie ihnen veraltete Galanterie oder un mal appris de nos jours im Kopfe spukt, wenn so ein alter Herr mir die Reminiszenze des goldnen Zeitalters wieder auftischt und die ganze Conversation aus lauter Citaten alter bestäubter Bibliotheken besteht, dann schnappe ich nach Luft, denn der Bücherdunst schmeckt nach schwarzer Wäsche, die man ausgezogen und längst weggeworfen hat.

Doch über allen Ausdruck widerlich sind mir jene eifrigen Lehrlinge einer gewissen Schule, die kunstgerecht den Schmutz verderbter Dichter, wie die Aussprüche der Sorbonne, einstudiren und sie in Sälen und Boudoirs geltend machen, die methodisch die Einbildungskraft beflecken, Mangelhaftigkeit im Leichtsinn heucheln, sich brutal in der Liebe und ungeschickt in der Treulosigkeit anstellen, kurz die durch groteske Nachäffung das Gefühl auf alle Weise verletzen. Und sind sie[153] denn anders, dachte Alonzo, die Originale zu diesen Copien? Verweilet man denn nicht noch am liebsten bei den verknöcherten Gestalten, durch die, rührend genug, ein Anklang verschollener Zeit wehet? Stehet man gleich neben ihnen auf dem Grenzstein versunkener Galanterie, so spürt man doch wehmüthige Sehnsucht nach dem, wohin die letzten bleichenden Lichter unter Ludwig dem Vierzehnten zurückweisen. Noch wagt sich die Liebe Liebe zu nennen, noch verspottet niemand den Prinzen und Helden, der in still bescheidener Demuth seiner Dame durch ein ganzes Leben huldigt, keine Zunge lästert den ehrfurchtsvollen Dienst geheimer Treue, galante Rittersitte hat noch Raum auf Erden, Henriette von England darf ohne Erröthen ihr Bild auf einer Heldenbrust wissen, der Leumund schweigt, denn uneigennützige Liebe ist noch kein Unding geworden, und tausende kennen ihr heiliges Panier. Kann das veraltete Wesen gleich nicht sonderlich mehr gefallen, so rührt es doch und verzeihlich wird es, mit dem Schein zu spielen, wenn man das Wesen empfindet. Doch verloren ist die Seele, die mit dem wesenlosen, giftigen[154] Dunst heutiger Sitte liederliche Gaukeleien treibt. Er sah finster umher, Louis saß etwas abwärts, die Hand wie einen Schirm gegen die Stirn gehalten, so daß die Augen ungestört in sich hinein sehend bei Selbstgeschaffenem verweilten. Der Herzog hatte ihn einige Augenblicke beobachtet, mit Alonzo abwärts tretend, sagte er: die freie Gemeinschaft der Geister konnte ihm die leibliche Sicherheit des Daseins nicht ergänzen, die man nur im Vaterlande empfindet, so innig ist der Mensch mit der Heimath verwachsen, wie thörigt darüber hinaus zu wollen! Man ist umsonst bemühet das Ungleichartige zu verschmelzen. Der Natur widerstreben, heißt sich ewigen bittern Kampf bereiten! Wenig sind diesem gewachsen! Auch mein junger Vetter nicht! Er ist zerrissen, nicht hier, nicht dort zu Hause, und gleichwohl zieht ihn seine Vorwelt hieher. Was ist ein Dasein, mein Herr, ohne Erinnerungen? Darf der Mensch an eine Zukunft denken wollen, wenn er die Vergangenheit vernichtet? –

Es schien Alonzo fast als lege der Herzog eine besondere Bedeutsamkeit in diese Worte.[155] Was konnte er sagen wollen? hatte er in seinem Herzen gelesen? Und wollte der ruhig erfahrene Mann ihn warnend auf sich selbst zurückführen? Alles kam ihm heut so absichtlich, so besonders vor. Frau von Saint Alban war von der gesuchtesten Höflichkeit, sie wollte ihn recht eigentlich gegen ihre Familie herausheben, doch alle frühere Innigkeit, das leichte anmuthige Vertrauen wandte sich auf Louis, für Alonzo hatte sie nur Phrasen und achtungsvolles Bezeigen. Einmal als die Rede von einem jungen Ausländer war, den man früher in Paris gekannt und liebenswürdig gefunden hatte, sagte sie mit wegwerfender Bitterkeit, es ist ein Fremder! ich achte ihn ohne ihn zu verstehn, man versteht niemals das Fremde. Ihr Blick flog an Alonzo vorbei, er sahe sie erröthen, er fühlte, daß sie mit Absicht redete. Ihm ward sehr beklommen. Er suchte Blansche. Sie war in ein Nebenzimmer getreten und spielte gedankenvoll mit den Fingern gegen die Fensterscheiben. Was ist es, Blansche, sagte er dringend, was hier im Dunkel gähnt, was ich kommen höre? Sie wenigstens dürfen mich nicht täuschen wollen. Blansche[156] schlug die Augen zum Himmel auf. Sind Sie einig mit sich, lispelte sie leise, was ängstet sie? was kann kommen, das Ihr Herz bezwänge? O um Gottes willen, Wahrheit, rief er heftig, nackte, trockene Wahrheit? ich verstehe sie nicht, ich will sie nicht verstehen, diese dunkle Andeutungen! Von Ihnen will ich es hören, Blansche, Sie sollen mir es sagen, daß Sie, daß alle wortbrüchig waren, daß Sie Herz und Leben zerreißen, zertreten, daß alles frühere Lüge und Possenspiel war, daß Sie das heilige Wort zurücknehmen. Blansche sahe ihn warnend an, hüten Sie sich, Alonzo, sagte sie, daß Sie es nicht zurückgeben. Sie war fort, ehe er sich besinnen konnte. Einen Augenblick darauf sahe er sie lächelnd neben Andren stehn. Sie war ihm ein Räthsel. Ihr Blick traf dann und wann bittend und beruhigend auf den seinen, er wußte ihr nicht zu antworten, seine Unruhe wuchs mit jedem Augenblick.

Frau von Saint Alban streifte im Vorübergehen an seinen Arm. Sie sahe entschuldigend zu ihm auf, sein düsteres Auge begegnete dem ihrigen. Die alte Rührung flog über ihr Gesicht.[157] Sie neigte den Kopf etwas seitwärts und mit lieblich weicher Stimme sagte sie: es muß sein, lieber Alonzo, es muß wahrhaftig sein. Sie selbst haben es so bestimmt gesagt; man schmeichelt sich immer eine Weile, aber der Irrthum hält nicht vor! – Er wollte ihre Hand fassen, er wollte sie zwingen, ihm zu sagen, was sein müsse? was er selbst gesagt, gethan habe? doch sie war ihm entschlüpft. Man ging auseinander, der Herzog sagte gelassen: der Wagen erwartet uns. Alonzo sahe ihn betroffen an. Doch jener war schon in der Thür, er mußte ihm folgen.

Sie saßen schweigend neben einander, der Wagen flog an der dunkeln Klostermauer hin. Alonzo sahe seinen Schatten, der immer länger ward und endlich zurückzubleiben schien. Trübes Selbst, dachte er seufzend, du zerfließest in Nacht und Traum, keine Spur bleibt von dir zurück. Lieber Alonzo, hub der Herzog jetzt an, ich hätte fast vergessen, Ihnen zu sagen: daß Ihr Geschäft hier beendigt ist. Ihre Aufträge sind beantwortet, es liegt alles bereit, der Minister erwartet Sie, auch die Abschiedsaudienz beim[158] Könige ist für Sie nachgesucht und auf Morgen festgesetzt. Nachgesucht und festgesetzt? rief Alonzo mit flammender Stirn, wer mischte sich in meine Angelegenheiten? Ich, entgegnete der Herzog. Junger Mann, fuhr er sehr ernst fort, vergessen Sie nicht, daß nach dem Tode meines Neffen mein Ansehn, meine Vorsprache Sie allein hier erhielt. Ich hegte damals andre Wünsche, man hört auch im Alter nicht auf an dem Leben zu meistern und etwas anderes daraus machen zu wollen, als es sein kann. Der Haß ist so trübe, Wohlwollen und Theilnahme so tröstlich! Aus dem Verein der Familien, dachte ich, solle die Versöhnung entzweieter Nationen hervorgehen. Opfer waren gefallen, die Rache hatte ihr Recht genommen, der Natur heilige Anfoderungen sollten sich durch sich selbst ausgleichen, ich durfte einen Augenblick an Erdenglück denken. Und weshalb, fiel Alonzo ganz überwältigt ein, weshalb wollen Sie so gerechte, so bescheidene Wünsche aufgeben? weshalb, ich beschwöre Sie, wollen Sie mich unbarmherzig aus der Reihe Ihrer Hoffnungen ausstreichen? Warum, wenn ich Sie anders zu verstehen wage, warum wollen[159] Sie das linde Band meinen Händen entreißen, daß Sie, daß Ihre Familie mit dem Schicksale aussöhnen könnte? Sie gehören nicht zu uns, entgegnete der Herzog kalt. Haß, wie glühend er sei, kann Blut löschen, Verachtung tritt in den Staub und nie kann man lieben, was man befleckte? Lassen Sie uns davon schweigen, ich fühle mein Blut noch brausend genug, um es fürchten zu müssen. Sie selbst haben zur rechten Zeit den Wahn zerrissen, und mit ihm jeden aufblühenden Verein, wir fallen ganz und auf immer auseinander, und wollen Sie sich anders treu bleiben, so dürfen Sie nie daran denken, diese Kluft zu überschreiten. Dacht' ich's doch, rief Alonzo, französische Eitelkeit konnte niemals verzeihen, was sie durch tausend und tausend ärgere Beleidigungen unserm empörten Gefühl abpreßte. Alles und jedes erlaubt sie sich zu sagen, und die einfachste Thatsache darf ihr nicht unter die Augen gerückt werden! Was ich mir und meinem Gott unter heißem Schmerz bekenne, entgegnete der Herzog, soll mir dennoch kein Anderer laut entgegenrufen, und wer es thut, dessen Anblick wird ewig[160] den Stachel in meine Seele drücken und Gift und Galle aus eiternder Wunde pressen. Und deßhalb also, sagte Alonzo spöttisch, soll ich Frankreich meiden, weil Ihnen mein Anblick unangenehme Wahrheiten ins Gedächtniß ruft! sehr despotisch bei meiner Ehre! Nun ich denke, Alonzo de Mendez geht wohin ihn seine Pflicht ruft, entgegnete der Herzog mehr galant als aufrichtig. Es ist die Frage, fiel Alonzo ein, welche Pflicht mir die höhere ist. Die der Ehre, ohne Zweifel, erwiederte jener.

Beide schwiegen einige Augenblicke aus Furcht zu viel zu sagen. Wozu denn nur, rief Alonzo plötzlich vom Zorne überwältigt, das ganze Spiel des heutigen Tages, wozu dies Zusammenkommen, die trügerische Freundlichkeit und all' das Gleissen, dem Herz und Seele fehlte! Sie sind sehr ungerecht, unterbrach ihn der Herzog, wir waren es Ihnen und uns schuldig, im besten Vernehmen zu scheiden. Die Welt darf nie wissen, wenn wir uns in der Wahl unserer Freunde vergriffen. Ihre neulichen Ausfälle hatten Sie auf unangenehme Weise für Sie und unser Haus affischirt, das mußte durch die Achtung,[161] die wir persönlich gegeneinander an den Tag legten, ausgeglichen werden. Noch einmal mußten Sie in der Gesellschaft erscheinen. Das ist geschehen, auf die schicklichste Weise für alle Theile. Jeder unangenehme Eindruck ist vertilgt. Daß Sie unwissend so geführt wurden, werden Sie der Mäßigung Ihrer Freunde Dank wissen. Und Blansche, rief Alonzo mit bebenden Lippen, sie wußte darum? Sie konnte die Hand zu dem allem bieten? Blansche, erwiederte der Herzog, weiß, was sie sich, ihrem Namen und Vaterlande schuldig ist. Der Wagen hielt. Noch einmal, fuhr der Herzog fort, lassen Sie jeden persönlichen Unwillen schweigen, denken Sie, daß eine unbezwingliche Naturnothwendigkeit so entscheidet, daß Sie diese vielleicht schärfer als ich empfinden und daß niemand gegen das Geschick ankämpft. Ich werde, entgegnete Alonzo, etwas stolz von seinem Sitz aufstehend, wie ich denke, Gelegenheit finden zu zeigen, daß ich nur Vorschriften von mir selbst anzunehmen weiß, und hierin, wie in allen, den Gesetzen der Ehre folge. Er grüßte flüchtig und[162] beeilte seine Schritte, um jeder Antwort überhoben zu sein. –

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 150-163.
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