Siebenzehntes Kapitel

[163] In dem raschen Andrang aller Empfindungen, fand Alonzo ganz von selbst Gedanken und Entschluß. Eins stand fest in ihm, darum drehete sich alles Andre in natürlicher Ordnung. Er wollte jener feinen Absichtlichkeit zum Trotz in Paris bleiben und sollte Leib und Seele darüber zu Grunde gehen. Das einmal Eingeleitete war nicht abzubrechen, das sahe er wohl, seine Mission war hiermit beendet, gleichwohl fand er sich andrer Seits eben dadurch um so unabhängiger und zu ganz rücksichtslosem Verhalten berechtigt.

Er betrieb demnach alles auf das sorgfältigste und schnellste, empfing und expedirte Depeschen, beurlaubte sich in der Qualität eines Abgesandten, schickte Couriere ab, schützte Krankheit[163] vor und etablirte sich von da an ganz eigentlich zu Angriff und Vertheidigung.

Für alles andre, als seine eigensten Wünsche todt, ging er nirgend hin als in die Messe, wo er Blansche zu finden hoffen durfte. Durch viele Tage erwartete er sie indeß Morgens und Nachmittags vergeblich. Er ward nicht müde zu gehen und zu kommen. Liebe, Stolz, gekränktes Recht, alles hielt ihm sein Ziel unverrückt vor die Augen, die Leidenschaft hatte ihre Blitze zurückgezogen, die Nacht tiefen Geheimnisses lag über sein ernstes Gesicht und gab dem unbezwinglichen Willen das Ansehen ruhiger Eintracht und festen Gleichmuthes. In welchen Zustand ihn indeß der harte Kampf, die gescheiterte Erwartungen setzten, wie streitend Gefühl gegen Gefühl anstrebte, was die Leidenschaft wollte und nicht wollte, das werden folgende Zeilen an Philipp deutlich machen.

»Wenn die stille Gluth Ihrer Augen der Leitstern zu Ihrem Herzen war, so haben Sie sie geliebt, Philipp, heiß, verzehrend, mit allem Schmerz und aller Lust der durstenden Seele. Das ist der Fluch des Menschen, daß ihn Götterbilder[164] äffen, und den Himmel vor den trunkenen Blicken zaubern. Es ist alles Lüge hier! alles! auch sie, zweifeln Sie nicht. Wie könnte es anders sein! das absichtlich berechnete, auswendig gelernte Spiel fängt mit dem ersten Strahle des Bewußtseins an. Tugend heißt es und Weisheit, Leib und Leben und jeden freien Aufflug des Geistes in die enge Klammern nüchterner Sitte einzupressen, das sind die Formeln, die man dem weichen Kinderhirn eindrückt, ein paar knöcherne Phrasen die ganze Mitgift auf der weit auslaufenden Lebensreise. Unbesonnen nennt man dies Volk, leichtsinnig und flatterhaft im Denken und Thun, schnelleres Blut, heißt es, treibe sie flüchtig an dem Ernst des Lebens hin, nicht Bosheit, nicht Sünde sei in ihnen, unbedacht wie unzuverläßig dürfe man sie höchstens schelten. Hätten wir niemals einen Franzosen gesehen, wir könnten uns unter dem beweglichen Bilde harmlosen Genuß und den spielenden Schaum ungewisser Jugendlohe denken. Aber wie schlägt uns das welke, sich selbst überlebende Gerippe in greiser Kindheit in die Augen! mißtrauisch und lauernd wie das Alter,[165] auf fremder Unkosten erfahren, zu Hause auf der glatt getretenen Bahn gewandt, in Maaß und Takt selbst erfundener Convenienz, verlocken uns die gräulichen Kindergestalten und prunken mit Weisheit, wenn sie den armen Vorrath ihres Herzens zu verschließen, und Vertrauen und Liebe und Hoffnung zu betrügen wissen! Das ist die Klugheit der Welt, Philipp, nach der man Jahrhunderte rang, der man Altäre bauete, die auch noch nicht aufhörte, die Leichtgläubigen zu blenden. Geschwätzig wie die Weiber, das Geheimste entweihend, schlau wie sie, da verschlossen, wo es den eignen Vortheil gilt, täuschen sie, reißen sie das Innere auf, und verletzen die offne Seele mit tausend giftigen Dolchen. Diplomatiker sind sie, das glaube ich, so lange Andre es wollen! Aber es giebt eine Kraft, die all' die abgenutzten Fäden mit einem Griff zerreißt! Glauben Sie, daß sie mir jemals verziehen, mich selbst gegen einen Franzosen behauptet zu haben? Glauben Sie das? Mit Großmuth haben sie eine Weile vor mir, vor der Welt, vor sich selbst gespielt, das war in ihrem Leben noch nicht vorgekommen, das paßte[166] zu irgend einer Theaterscene, es hatte Blut gekostet, es war hochtragisch! Aber die ganz gemeine, unzubestreitende Wahrheit, die so blank und baar da lag, die sich nicht drehen, nicht wenden, aus der sich nichts machen ließ, die konnten sie nicht vertragen, da hatte das Spiel ein Ende, die kalten Herzen hatten nur sich geliebt! Könnte ich Ihnen die lange Comödie erzählen, könnte ich Ihnen sagen, wie sie so natürlich zu hintergehen wußten! Auch sie Philipp, ach Gott! auch sie konnte mich täuschen! Und wie denn am Ende alles so berechnet, so gemäßigt, so vernünftig klar und ruhig endete! Ich sollte einsehen, empfinden, dankbar sein! Gottlob, ich fühlte mich selbst. Freuet Sie das? – Nun mich auch. Und ich denke, es wird uns allen frommen. Ich bin jetzt frei, und bleibe doch hier, aus eigner Kraft, verstehn Sie mich? Man hieß mich gehen. Jetzt ganz gewiß gehe ich nicht. Ich muß Blansche sehen, ich muß sie sprechen. So leichten Kaufes kommt sie nicht los. Vor Gott hat sie gelobt, vor Gott muß sie wiederrufen. Könnte ich Ihnen den Blick malen, so groß und still![167] Vertrauen sollte ich ihr! Herr Gott, ich that es unbedingt, Seele und Leben gehörten ihr, sie hat damit gespielt! Begreifen Sie es? Das Räthsel eben soll sie mir lösen. Weiter will ich ja nichts, sie ist es mir schuldig, mein Glaube, meine Seligkeit hängt davon ab. Philipp, ich wollte, Sie wären hier! Wie unter Todten lebe ich, keine, keine Seele mein! –«

Die letzten Worte waren von einem Strom unbezwinglich hervorbrechender Thränen verwischt. Alonzo schob das Blatt weg, den Kopf in die gefaltenen Hände gelehnt, weinte er heiß und bitterlich. Das Geräusch eines Eintretenden schreckte ihn auf. Beschämt riß er sich empor. Seine Weichheit schien ihm ganz kindisch, er faßte sich zusammen, und die eine Hand vor den Augen empfing er mit der Andern mehrere Briefe, unter denen die Schriftzüge seiner Mutter ihm das Blut beklemmend zum Herzen trieben. Er brach das Siegel mit kaum erzwungener Fassung und las, ohne recht zu wissen, was? folgendes:

»Mit Erstaunen und einem Befremden, von dem ich nicht weiß, ist's des Schreckens oder[168] Zorns Erstarren, erfahre ich, dein Geschäft, Alonzo, sei beendigt, und du gleichwohl noch in Paris. Ich will nicht denken, was ich mich zu hören schämte, und ehe verschließe sich diese Lippe auf ewig, als daß sie Unwürdiges von meinem Blute sage. Gleichviel auch welche Ursach! – keine als Unvermögen des Leibes ist gültig, und auch denn noch, wenn die gelähmten Glieder ihren Dienst versagen, die schwindende Kraft nicht weiter kann, treibe die Angst der Verdammniß, den morschen Leichnam über die verfluchte Erde hin nach geweiheter Stätte!

Nur das Eine Alonzo höre. Den geschäftslosen Mann, der aus Neigung oder Trägheit in Paris verweilt, muß ich verachten, denn da der Einzelne nicht dem ganzen Volke stehen kann, duckt er dehmüthig unter und läßt die Woge des Uebermuths feige über sich zusammenschlagen. Lächeln muß er, wenn ihm das Blut tropfend aus den Augen sprühet, Spaß verstehen, unbeachtet die Pfeile schwirren hören, und wenn's hoch kommt, sie versenden helfen. Anders ist es, wenn ein gegebenes Ziel zu strenger Arbeit ruft, er sieht nicht rechts, nicht links,[169] ihn schützt das Panier der Pflicht. Doch des Müßiggängers fahrig Auge, was kann es anders wollen, als sich im Schmutz der Sünde baden? Alonzo hast du denn jenseit der Pyrenäen noch ein Vaterland? Darfst du dein eigen sein, ein Dasein, Sitte und Gesetz, Gott und einen Heiland haben? O daß ich dich das fragen muß? Ist denn dein Stab so ganz und gar gebrochen, kreist denn keine Ader meines Blutes in deinem Herzen mehr? Ich will's nicht denken, doch muß ich zittern, weinen – und wenn's sein muß, dich geliebtes Kind verfluchen!«

O Mutter, Mutter, rief Alonzo händeringend, verblendet denn die Leidenschaft und macht sie zugleich so scharf und hellesehend! Gute Mutter! wir werden von einer Flamme getrieben, nenne sie Zorn oder Liebe!

Eine lange Zeit saß er ganz tiefsinnig da, die entsetzlichen Worte dreheten sich ihm wie eine kreisende Scheibe im Gehirn umher. Er hatte gar keine Gedanken, ihm war, als werde er wahnsinnig, und so ging er dann wie im Traume, ohne Wille und ohne Widerstand zur gewohnten Stunde in die Messe. Er wußte[170] kaum noch was er hier wollte. Die Augen lagen gesenkt am Boden, die Arme schlaff und matt in einander geschlungen, er betete mechanisch, und ließ betäubt die Worte an sich vorüberklingen, als das Wispern einer weichen Stimme neben ihm, plötzlich tausend Funken zugleich in seiner Seele anschlugen. Blansche kniete mit dem Rücken nach ihm gewandt, das Gesicht auf die Stufen eines kleinen Altars gesenkt, über welchem Maria abgebildet war, wie sie das schlafende Jesuskind mit Liebe und Zuversicht betrachtet, ohne die wunderbare duftige Gestalten zu sehen, die im Traum an des Kindes Bettchen vorübergehen und ihm die Zukunft offenbaren, der Engel mit den Marterwerkzeugen schwebt leicht vorüber, zuletzt überstrahlt des Heilands Verklärung die weißlichen Wolkenspiele. Blansche hob den Kopf in die Höhe, sie sahe das Bild fest an, ihr Blick schien zu sagen, heilige Mutter, von dir geht das trübe Erdenleben aus, aber du gabst uns den Erlöser! Alonzo sahe und ahndete von dem allem nichts, er fühlte nur Blansches Nähe. Seiner kaum noch mächtig, unter ungestümen Klopfen der kochenden[171] Brust, warf er sich neben sie nieder und mit einem Tone und Blick, vor dem das zarte Mädchen zusammenschauerte, flüsterte er, jetzt Blansche, jetzt können Sie mir länger nicht entgehn. Hier im Angesicht aller Heiligen wagen Sie es zu sagen, daß Sie mich verstoßen, daß Sie Ihr eignes Wort zurücknehmen, daß Sie mich hassen! Sie sahe ihn wehmüthig an. Thränen strömten aus ihren schönen Augen. O Gott, sagte sie leise, so haben Sie mich denn nie verstanden; und kein Vertrauen, keine Ahndung meiner Liebe ist in Ihrer Seele! Sie lieben mich noch, Blansche? rief Alonzo ganz außer sich, o sagen Sie nichts, kein einziges Wort weiter, auf Ihrer Zunge schwebt etwas, das ich nicht wissen will, nicht wissen darf, wenn Sie mich lieben – ja unterbrach ihn Blansche ernst, ich liebe Sie, fest und uneigennützig, wie Sie nicht lieben können. Jetzt Alonzo, fuhr sie aufstehend fort, wissen Sie, was Ihnen für diese Welt zu wissen frommt, kann es Ihnen gnügen, so sind wir beide nicht zu beklagen – wenn nicht – ich kann nur aus der Ferne mit Ihnen weinen. Unsre Wege scheiden sich von hier, und ich fodre[172] es im Namen der Kirche, deren Boden kein vermessener Schritt entweihen soll, folgen Sie mir nicht, Alonzo, bei Gott und seinem allmächtigen Sohn bleiben Sie zurück. Sie hatte die letzten Worte mit bebenden Lippen in tödtlicher Seelenangst gesprochen. Alonzo war einen Augenblick wie gelähmt, dann stürzte er ihr nach, drängte und stürmte alles aus seinem Wege, doch sie war fort, wie durch höhere Gewalt seinen Blicken entrückt.

Nun erst war es entschieden in ihm, nun wußte er bestimmt, was er immer gewollt hatte. Blansche sollte, mußte sein werden und ginge auch Ruhe und Frieden und seiner Seelen Seeligkeit drüber zu Grunde. Immer stachelnder und angstvoller wards nun in ihm. – Der Weltklugheit zum Trotz wollte er mit Gewalt besitzen, was man ihm listig entzog. Frau von Saint Alban, der Herzog, seine Mutter – es bestürmte und drängte ihn alles so wunderbar, Haß und Pflicht, und mitten inne die fressende, verlangende Liebe – ein kühner Schlag mußte die dumpfe Wetterschwüle auf einemmal auseinander reissen, er mußte Athem schöpfen, er hielt es so nicht aus.[173]

Ganz ermattet setzte er sich an seinen Schreibtisch. Der angefangene Brief an Philipp lag vor ihm. Er durchlas das Geschriebene noch einmal. Es schwirrte ihm confus durch die Sinne, er griff nach einer Feder, seine Seele durstete nach Mittheilung, Worte, dachte er, müssen die pressenden Bande lösen. Er las laut, was er niederschrieb:

»Ich weiß nicht, Philipp, wie mir ist, noch was aus mir werden soll! Hätte mir ein Sterblicher gesagt, es wird ein Augenblick kommen, wo Don Alonzo de Mendez schwankend zwischen Ehre und Liebe und Pflicht dastehn und nicht wissen wird, welchen Weg er einschlagen soll, ein Blick hätte den Frevler vernichtet. Und jetzt – mein Gott, was wolltest du mit deiner Creatur, als du an geweihter Stätte das schöne Mädchen in meine Arme legtest und von da den Zunder in die offne Seele warfst! Sollte ich löschen, ehe ich brennen fühlte? heimlich dämmerte die Gluth herauf, schlich langsam durch die Adern, bis plötzlich alle Pulse rascher schlugen, die Flamme aufblitzte, Erinnerung, Bewußtsein, ein ganzes hingeträumtes Leben verschlang.[174] Warum ich Ihnen das sage? Sie müssen alles wissen. Ich habe Blansche wiedergesehen, lieber Philipp, sie ist unschuldig, unschuldig wie ein Lamm, das man zur Schlachtbank führt. Soll ich sie fallen sehen, wenn ich sie retten kann? Mitten aus dem fahlen Dunst, der das arme Herz beengt, reiße ich sie heraus, verlassen Sie sich darauf. Fragen Sie mich, ob ich das Blut der Mendez mit meiner Feinde Blut beflecken wolle? Feinde – Philipp? Wie sagte Sie doch einmal? ich erinnere mich! der Haß ist von dieser Welt, aber die Gerechtigkeit ist Gottes. – Ja, ja, mein Leidens- und Liebesgefährte, der Haß ist von dieser Welt! lassen wir ihn da sein blutig Wesen treiben. Haben Sie nicht selbst dem Engel Blansche Schwingen gegeben, daß er über das trübe nächtige Meer hinaus den Blick versöhnend zum Himmel trage? Hat die Kunst dem Gedanken Dasein verliehen, soll das Leben zögernd zurückesteh'n?

Ich weiß nicht, weßhalb mich vor Ihnen bangt. Dürfen Sie tadeln, was Sie selbst thaten? Philipp, es giebt Winke und Stimmen in[175] der Natur, die wir nicht überhören dürfen. Umsonst trifft nicht Eines zum Andern, das Schicksal will etwas, es zwingt uns, denn über nichts spottet der Himmel so als über menschliche Absicht. Sie haben es ja erfahren, was wundern Sie sich über Andre! Sein Sie nicht weiser in Worten als Gefühlen. Gefühle allein sind wahr, alles andre ist todtes, angelerntes Gesetz. Was wissen wir auch von Gesetzen! Jedweder trägt einen eignen Schlüssel zu diesem Hieroglyphen in sich. Das ist die göttliche Freiheit. Ich folge ihr, Philipp. Leben Sie wohl!«

Er siegelte mit einer Hast, als wäre ihm um die Antwort zu thun gewesen, und ermahnte seine Leute zu schneller Besorgung. Philipp war noch nicht allzufern bei seinem Regimente. Alonzo hätte ihn gern hier gehabt und auch wieder nicht. Ihm war doch etwas leichter, nachdem er geschrieben hatte, nachdem er denken konnte, es werde ein menschliches Wesen fühlen, wie ihm zu Muthe sei. Erhält ein gefürchtetes Uebel gleich Riesengröße und Gewißheit durch das Wort, so mildert Klage und Mittheilung das schon vorhandene gekannte Leiden. Alonzo kam[176] sich gestärkt und fest durch den Schluß seines Briefes vor. Eines war seinem Willen doch auch schon wirklich gelungen, er hatte Blansche gesehen und gesprochen. Sie liebt ihn, über sie war er beruhigt. Alles andre mußte ja auch kommen, wenn er es nur ernstlich wollte.

So durch sich selbst gehoben und zuversichtlich geworden, ging er noch spät, um Luft zu schöpfen nach den Elisaischen Feldern. Schon von fern sahe er die kleine silberne Muschel und die vier Apfelschimmel des Herzogs, sie hielt an der Barriere, niemand war darin, ein paar müßige Knaben standen auf dem Lackaienbrett und schaukelten an den Riemen. Alonzo beeilte seine Schritte, doch ehe er heran kommen konnte, winkte ein Bediente, der Wagen bog in eine Allee, Frau von Saint Alban und nach ihr Blansche an der Hand ihres jungen Vetters, Louis de Bocourt, stiegen hinein. Dieser stand noch am Schlage, und gab Blansche einen Strauß wilder Kräuter und Blumen, die sie sehr sorgfältig zusammenfaßte und ihn damit grüßend beim Abfahren vertraulich winkte. Louis ging langsam nach der Seite, wo Alonzo stand.[177] Er bückte sich von Zeit zu Zeit nach kleinen unscheinbaren Gräsern oder Pflanzen und beachtete sie genau in allen ihren Fasern und Theilchen. Sein gutes, stilles Gesicht schien unter diesem Geschäft heiterer, sein Auge heller und von einem Strahl ruhiger und sicher gestellter Forschgier angenehm belebt. Er war jetzt dicht vor Alonzo getreten, ohne ihn zu sehen. Diesem war es lieb, einem Wesen zu begegnen, auf dem Blansches Augen freundlich geruhet hatten, er redete ihn an. Louis in seiner schüchternen, unendlich verbindlichen Höflichkeit, sagte etwas verlegen grüßend, o mein Gott! ich wußte nicht – Frau von Saint Alban glaubte Sie längst abwesend von hier. Sie glaubte das, wiederholte Alonzo etwas trocken, mich dünkt sie hätte eine bessere Meinung von meiner Höflichkeit hegen sollen, da keine Ursach denkbar ist, weßhalb ich mich so unter ihren Augen wegstehlen sollte, ohne sie zuvor begrüßt zu haben. Doch, entgegnete jener achselzuckend, hat sie mir nicht anders gesagt, indem sie mit Bedauern und vieler Theilnahme und Liebe von Ihnen, mein Herr, sprach. Beide gingen einige Augenblicke schweigend neben einander,[178] Louis etwas gedrückt, Alonzo etwas hoch und vornehm. Erst seit kurzem, hub dieser an, sind Sie in Ihr Vaterland zurückgekehrt? – Ganz neuerlich, erwiederte Louis. Sie waren lange abwesend, fuhr Alonzo fort, Sie werden Ihre schöne Cousine kaum wiedergekannt haben. Auf des jungen Bocourt Gesicht schwebte eine rührende Freude, mit innigem Lächeln sagte er, ein recht liebes Mädchen habe ich in ihr gefunden, von ungemeinem Liebreiz und einer Unschuld und Durchsichtigkeit, die an die früheste Kindesreinheit der Menschen erinnert. Er sagte das so warm und wahr, so ganz ohne Bezug auf irgend etwas außer Blansche, daß Alonzo hingerissen, sich selbst vergessend aus rief: nicht wahr, Sie fühlen das! O wer ist auch so unglücklich, dagegen verschlossen zu bleiben. Sie hat mir, fuhr jener an Eigenes denkend, fort, das Sinnbild der Lilien klar gemacht, und wie es immer solche Engel gab, die über Frankreich schwebten. Blansche ist ein Engel des Friedens und der Ruhe und erinnert zugleich an alles unbefangen Liebliche und Sinnvolle besserer Zeit, sie versöhnt mit einem Lande, das aus seinem[179] Schoos solche Blüthen hervorgehen ließ. Alonzo sahe ihn groß an, ihn also versöhnt sie mit dem Vaterlande, dachte er, und mich entzweiet sie mit dem meinigen vielleicht auf ewig! Ich habe, hub Louis nach kurzer Pause auf's neue an, geraume Zeit hindurch die Natur in ihrem leisen Verkehr mit der Pflanzenwelt begleitet, und hier ein heimathliches Verhältniß gefunden, das ich bei den Menschen so rein und unbestritten nicht antraf. Blansche nun scheint mir in diese Blumenwelt ganz entschieden zu gehören. Sie steht so rein und bestimmt vor mir da, daß gar kein Zweifel obwaltet, ja durch einen Zug geheimen Einverständnisses glaube ich die stille Natur in ihren verwandten Elementen ganz zu verstehen. Ich weiß nicht was sie thun oder sagen könnte, worüber ich unsicher an ihr würde. So genau, sagte Alonzo mit einem scharfen Blick, glauben Sie Blansche zu kennen? Was man so eigentlich unter kennen versteht, entgegnete jener, möchte ich nicht sagen, es könnte sein, daß sie ganz anders zu handeln durch sich selbst bestimmt würde, als ich mir's vorgestellt hätte, doch sollte mich das nicht irre[180] machen, ich würde sogleich wissen, daß es so sein mußte, dies zusammenklingende gleichartige Wesen kann sich selbst nicht untreu werden.

Sie waren unter diesem Gespräch auf eine Brücke gekommen, ihre Wege schieden sich. Louis war einigermaßen blöde und beschämt, so viel geredet, sich so umständlich geäußert zu haben. Sein gutmüthiges Lächeln, die Art seiner schnell in sich zurücktretenden Verbeugung war auf gewisse Weise eine Entschuldigung dieser allzugroßen Freimüthigkeit. Alonzo wußte nicht recht, was er von ihm denken sollte. Er ging still vor sich hin und sagte sich selbst: was der da so trocken und schwerfällig hinspricht, ist das Größte, was ein Mensch von dem Andern sagen kann, solch' Vertrauen ist göttlicher Art, es müßte den ganzen Menschen begeistern, er bleibt gelassen, er meinte es so nicht, er ist gelehrt, er zwängt alles, was er sieht, in ein System und classifizirt Blansche wie Augentrost und Rosmarin. Was will er von dir wissen, schöne Blansche! dein Herz ist der Schlüssel zu deinem lieblichen Selbst, das aber soll mir keine Natur[181] oder Kunstverwandschaft in aller Welt streitig machen!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 163-182.
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