Zweites Kapitel

[5] Der Wagen fuhr langsam durch die gedrängten Straßen. Jeden Augenblick stockte die ungeheure, immer aufschwellendere Menschenmasse.[5] Cabriolets und Kutschen, Truppenabtheilungen, feierliche Aufzüge, alles gerieth verwirrend aneinander, das Geläute der Glocken, die Trommeln und Pfeiffen, die Pauken und Trompeten, die schreiende, jubelnde, schwatzende Menge, die ganze wogende Stadt betäubte die arme Blansche, die zitternd neben der Mutter saß, und jedesmal mit ersticktem Schrei zusammenfuhr, wenn das Volk sich immer dichter und dichter heranpressend, den Wagen fast zu tragen schien. Frau von Saint Alban wußte nichts von allem dem, sie sahe, sie hörte alles und nichts, sie war in einem Taumel, in einer Bewegung, die das Einzelne verschlang, tausendmal ließ sie die Fenster nieder und zog sie wieder auf, sie winkte, sie grüßte Bekannte und Unbekannte, streckte die Hand zum Wagen hinaus, reichte und drückte sie dem Nächsten dem Besten, ihre ganze Seele schwamm in der Freude Frankreichs. Blansche hatte keinen Begriff von den Leidenschaften und der Veränderlichkeit der Menschen; in ihrem Kloster, von dem sie sich seit drei Tagen zum erstenmale trennte, ging alles so sacht und eben, so grade und nothwendig zu, dort freuete man[6] sich auch, aber anders, stiller, innerlicher, sie wußte gar nicht wie ihr hier war, sie glaubte zuletzt, der tolle Strom werde sie unbarmherzig mit fortziehn.

Endlich waren sie vor der Kirche. Der Wagen hielt. Mit zitternden, wankenden Knieen traten sie in den Dom. Es waren eben noch nicht viel Menschen hier versammelt. Die Meisten trieb es nach Außen hin. Frau von Saint Alban kniete vor einem Betpult, Blansche an ihrer Seite, beide, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Augen geschlossen, beteten unter leisen, immer wachsenden Schauern, je näher der heranrollende Freuderuf den Namen des Königs an ihr Ohr trug. Jetzt trat Ludwig der Geprüfte unter die leinene Halle. Sein würdevolles, edles Angesicht entfaltete sich heiter als er zwischen den getheilten Reihen hingetragen, nun vor dem Hochaltar, den heiligen Boden betretend, niederkniete, und das Gebetbuch aus des Erzbischofs Händen empfing. Die Wunder einer großen, unerhörten Zeit, die Gewalt göttlichen Willens, der mit dem König so sinnlich nahe trat, die tief empfundene heilige Scheu[7] vor dem Geweiheten des Schicksals, zügelte die taumelnden Sinne. Minutenlang ward kein Athemzug gehört, Blick und Minen lagen in heiligen Banden, Blansche sahe zitternd vor sich nieder. Jetzt ward das: Domine salvum fac regem angestimmt, ihr schwindelte, sie schlug die schönen blauen Augen auf, die Kirche war gepfropft voll, die gepreßte Luft trat ihr zum Herzen, die Töne schienen in wunderbaren Gestalten an ihr hinumzuziehn, ängstlich umblickend streiften ihre Augen an einem jungen Mann vorüber, der sich nach ihr hinwandte und sie mit Theilnahme betrachtete. Die Haltung seines Kopfes war überaus edel, er hatte die Arme übereinander geschlagen und schien in jeder Bewegung gehalten. Die ganz schwarze Kleidung und das aufwärts gehobene, nach einer Seite der Stirn hingeworfene, bläulich schwarze Haar gab ihm zudem ein düster ernstes Ansehn. Blansche zitterte heftiger, die Sinne vergingen ihr, sie fühlte sich zusammensinken, als sie ein starker Arm umfaßte und sie gewandt und schnell an dem königlichen Gefolge hin, nach der Halle trug. Sie athmete tief an des fremden Mannes[8] Brust, sah dankbar in seine dunkle melankolische Augen, und fühlte sich alsobald von ihm verlassen an der Seite einer ältlichen Frau, dem königlichen Leibarzt gegenüber, der ihr geschäftig die Schläfe mit starken Wassern rieb, und sie wohlmeinend der frischen Luft entgegenführte.

Sie erholte sich bald, doch sie fühlte sich mit Bangigkeit allein unter Fremden. Sie schrie laut auf und stürzte ihrer Mutter, die sich endlich zu ihr durcharbeitete, schluchzend und mit einer Freude in die Arme, als hätten sie Jahre getrennt.

An einen Pfeiler gelehnt, das Gedränge an sich vorbeilassend, erzählte Blansche in großer Bewegung ihr kleines Abentheuer, während sie Armand und den Wagen erwarteten. Die Mutter war voll Dankbarkeit, voll Ungeduld, den großmüthigen Ritter ihrer Tochter zu sehen, als Blansche rief, das ist er! das ist er gewiß! Frau von Saint Alban theilte die Menge, erreichte, faßte den jungen Mann – und ließ nun ihr volles Herz in reichen Wortströmen überfließen. Der Fremde dankte bescheiden, doch einsilbig und nachdem er gefragt, ob er noch[9] nützlich sein könne, entfernte er sich unter etwas stolzer, ernster Verbeugung; die Tochter wie die Mutter sahen ihm gedankenvoll nach und fuhren, jedes in sich beschäftigt, nach Hause.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 5-10.
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