Drittes Kapitel

[10] Als Blansche am folgenden Morgen zu ihrer Mutter kam, fand sie einen ältlichen fremden Herrn, im dunkeln Frack mit dem Ludwigskreutz im Knopfloch neben ihr sitzen. Frau von Saint Alban rief, sogleich auf sie zueilend, mit unglaublicher Schnelligkeit: der Herzog, dein Oheim, liebste Blansche, der so lange Jahre mit seinem König auf fremdem, unheimathlichen Boden lebte und litt, er ist in alle seine Würden wieder eingesetzt, er liebt uns wie immer, er will unser Glück; wir werden künftig bei einander wohnen und alles, alles Leid ist vergessen. Sie drückte die Tochter heftig an sich, und warf sich dann in großer Rührung an des Herzogs[10] Brust. Dieser erwiederte schweigend, mit liebreichem Ernst und herzlich wohlmeinender Geberde der Schwester rasche Freude, indem er sich etwas beeilte die junge anmuthige Nichte in angebohrner Galanterie und höfisch bequemer Sitte zu begrüßen.

Blansche besaß jene anmuthige Verbindlichkeit der Worte und Minen, welche schnell in ein unbefangnes Verhältniß setzt. Ihre Blödigkeit schwand sogleich vor einer tief empfundenen innern Berührung, es blitzte dann etwas von der Lebhaftigkeit der Mutter hervor, doch weniger glühend, eher wehmüthig heiter. Die große Unschuld ihres Sinnes hielt noch jeden herben Lebensstreit fern, welcher Leiden schafft und über die Gränzen vollständiger Natur hinausstreift. Doch öffnen sich die Tiefen des Daseins oft vorahndend in jungen Gemüthern, und machen das Gefühl an sich ernst und heilig in der innerlichen Erwartung naher und großer Lebenserfahrungen. Wenn daher der Oheim in ihr klares, weiches Gesichtchen wie in die Maientage seiner Jugend verjüngt zurücksah, so empfand sie ihrer Seits voll Ehrfurcht und Theilnahme[11] bei seinem Anblick die schwere Arbeit der Zeit.

Der Herzog betrachtete sie mit vergleichenden Blicken auf die Mutter, es schien, er suche die Vergangenheit in neu belebten, redenden Zeichen wieder auf. Doch ließ sich hier eben keine sonderliche Uebereinkunft finden. Frau von Saint Alban war von kleinem, zartem Bau und sehr lebendiger Gewandtheit, ihre großen, feurigen Augen beleuchteten in spielenden Blitzen ein bleiches Gesicht und überaus bewegliche, feine Züge. Ohne Unruhe oder ängstigende Ueberfülle in ihrem Wesen zu spüren, empfand man doch eine höchst empfängliche, stets mit Vielem beschäftigte Seele, ihre redende Physiognomie reflektirte das Außen- und Innenleben in ununterbrochener Berührung, und schien nur auf diesem Wege die Sicherheit der Reife erlangt zu haben. Man fühlte sich ihr gegenüber behaglich angeregt, zu Theilnahme und Mitleben getrieben. Blansche im Gegentheil war hoch und schlank, ihre stillen, edlen Züge strahlten im Frieden unangeweheter Jugendblüthe, die schwimmenden blauen Augen empfingen ihr sanftes Licht nur von der[12] Eintracht innerer Unschuld und Güte. Der Gang, die Bewegungen waren leicht, doch leise und eben, nirgend eine Spur leidenschaftlicher Heftigkeit, und zog auch eine dunkle Frage, eine unverstandene Bangigkeit durch sie hin, so perlete wohl ein Thränchen in den Augen, aber der ruhige Einklang des holden Ganzen blieb ungestört. Man konnte sie Stundenlang sehen, empfinden, ohne sich etwas anderen als wachsender Liebe, freudiger unbekümmerter Hingebung bewußt zu werden, ihre anmuthige Nähe war durchaus beschwichtigend und heiter.

Das eine schöne Kind, sagte der Herzog zur Schwester gewandt, ist dir allein noch geblieben. Ach Türgis! mein Türgis! rief Frau von Saint Alban aufs lebhafteste erschüttert. Alle Freude war aus den Blicken, aus der Seele plötzlich weggewischt, sie konnte sich kaum fassen und die Erinnerung über das wunde Herz hinziehen lassend, lehnte sie, das Tuch vor den Augen, den Kopf abwärts von dem Bruder, an einen Wandpfeiler. Der Herzog sahe fragend auf Blansche. Diese entgegnete leise, um die Mutter zu schonen: mein Bruder fiel ohne Zweifel in Spanien,[13] wir haben seitdem nicht wieder von ihm gehört. Im Dienste des Tyrannen? unterbrach sie der Herzog heftig. Blansche senkte die Augen. War das nicht zu vermeiden? setzte er begütigend hinzu. Es giebt Verhältnisse, Herr Herzog, sagte Blansche schüchtern, die Augen noch immer nicht aufschlagend, welche das Gefühl bezwingen und uns harte Pflichten auflegen, mein Bruder hat das sehr bitter empfunden. Die Ehre, gutes Kind, erwiederte der Oheim, ist immer die erste Pflicht: Ach, seufzte Blansche, ich hörte den armen Türgis wohl sagen, in unserm unglücklichen Frankreich habe man nur die persönliche Ehre zu retten. Dem jungen redlichen Gemüthe bleibe glücklicher Weise noch der Degen sich selbst einen Weg damit zu bahnen.

Der Herzog spielte, vor sich hinsehend, mit dem Stock auf den Teppich. Hm! sagte er, halb in Gedanken, die Jugend – freilich, sie will leben – es ist ein Unterschied, man sucht eine Wirksamkeit, einen Namen, und dann die Fesseln der Zeit, alles Hohe und Große in den Staub getreten. – Ach! rief er aufblickend,[14] hätte er seinen König gesucht! Bruder, sagte Frau von Saint Alban, das trübe Gesicht seitwärts nach ihm hingewandt, er hat wohl seinen Gott gefunden. Der Herzog schloß sie sehr gerührt in die Arme und äußerte sich beruhigend und liebreich über ihren gerechten Schmerz.

Es gelang ihm auch bald diesen zu mildern, man kam nach und nach wieder in die vorige heitere Haltung zurück. Die kleine Erschütterung hatte sie unbewußt einander genähert, ein jedes hatte sich, vom Gefühle überrascht, unbewunden geäußert, man kannte, man schätzte sich in der bezeugten Treue fester Gesinnungen. Entstehendes Vertrauen windet unwillkührlich ein Band nach dem andern vom Herzen los, man will sich in jeder Beziehung lieb werden, und alles was im wohlbegründeten Verhältniß vielleicht unberührt liegen bliebe, tritt hervor, und macht sich Luft. Frau von Saint Alban hatte tausenderlei zu sagen und zu fragen, der Herzog seiner Seits manches aus seinem abgerissenen, zerstückelten Leben zu ergänzen. Die letzte Vergangenheit lag beiden gleich nahe. Vieles wurde von den Sorgen und der Angst, von der[15] heftigen Bewegung geredet, welche großen Umwälzungen stets vorangeht, alles ward noch einmal durchempfunden, und so kam man auch auf heute und gestern. Frau von Saint Alban konnte den Eindruck nicht genugsam beschreiben, den der Anblick des Königs auf sie gemacht habe. Sie sagte, es sei ihr ein Zittern durch alle Glieder gegangen, die Knie habe sich von selbst gebeugt und ohne es zu wissen, hätte sie das Domine salvum fac regem mitgesungen, wobei ihr nicht anders gewesen, als rolle dumpfer Donner über ihr hin und die Erde schwinde unter ihren Füßen. Beiden Geschwistern war es zugleich unbegreiflich und höchst rührend einander unerkannt so nahe gewesen zu sein. Frau von Saint Alban wußte überall nicht viel von dem was um sie vorgegangen war und wie ihre Tochter so plötzlich von ihrer Seite kam. Sie äußerte sich über diesen letzten Vorfall mit behaglicher Liebe für Blansche und einer Art mütterlichen Triumpfs. Viel, sagte sie, gebe ich darum, den jungen Fremden noch einmal wiederzusehen, ob er gleich meinen Dank etwas frostig und spröde von sich wies. Hieran, fuhr[16] sie fort und an den richtigen, ohne Accent, gleichwohl etwas langsam und feierlich gesprochenen Worten habe ich den Deutschen oder den Spanier erkannt. Und grade in diese beide Nationen, just weil sie uns so hassen, bin ich ganz verliebt. Es war Charakter in der Physiognomie, mein Bruder, das versichere ich dich, sehr viel Charakter, und eine Melankolie und eine Weltverachtung, die unsere Theilnahme immer anregt, wäre es auch nur um den stolzen, kalten Sinn zu bezwingen.

Blansche war während dem an das Fenster getreten und knüpfte in bunten Seiden allerlei Figuren und Bilder, der schwierigen Mosaic-Arbeit gleich. Der Herzog maß lächelnd ihre schöne Gestalt, und sagte leise zur Schwester geneigt, wer weiß, ist es diesem Engel nicht aufbehalten, den freundlich feindlichen Fremden zu versöhnen! Glaube mir, wir Franzosen brauchen solche Engel.[17]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 10-18.
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