Viertes Kapitel

[18] Frau von Saint Alban hatte recht gesehen. Der junge Mann, der ihre Dankbarkeit verdiente, ihre Theilnahme, ihren Stolz reizte, war ein Spanier, Don Alonzo de Mendoz. Seit Jahren in französischer Gefangenschaft, hatte ihn jetzt Ferdinand der Siebente in Aufträgen nach Paris gesandt. Hier lastete die Luft centnerschwer auf seiner Brust. Der plötzliche Umschwung äußerer Gestaltung konnte ihn weder mit der Gegenwart überhaupt, noch mit einer Nation versöhnen, die ihm in allen Bedingungen seines Wesens entgegenstand, die er aus persönlicher nicht ausgewaschener Ehrenkränkung, aus Grundsatz und Ueberzeugung hassen zu müssen glaubte. Alles, bis auf die unbetonte, dumpf verschwimmende Sprache war ihm an ihr in der Seele zuwider. Er hielt sich deshalb still und eingezogen, und wehrte das Außenleben von sich ab, so viel es die Natur seines Geschäftes wie seiner Stellung zu hiesiger Welt erlaubte.[18]

Zu den Kunstschätzen flüchtete er noch am liebsten. Sie ermangelten eben auch durch rohe Gewaltthat heimathlicher Uebereinkunft, und er konnte sie sich, losgerissen wie sie waren, ganz frei von aller störenden Beziehung aneignen.

Unter den hohen Gebilden früherer, arbeitender Ge danken ward ihm das Herz weit, er vergaß Zeit und Ort, sich selbst, und ließ den beschwichtigenden Eindruck stiller Harmonie friedlich über sich walten. Er konnte sich so hineinsehen und empfinden, daß er, wie in völliger Einsamkeit nicht allein, wenig oder gar nicht auf solche achtete, die Neugier und Ruhmsucht, das Außerordentliche gesehen zu haben, hieher lockte, sondern auch unbewußt an Gleichfühlende vorüberging.

Wie sich indeß der Mensch auch umbauen und verschanzen mag, Empfänglichkeit ohne Mittheilung wird zur drückenden Ueberfülle. Man schwelgt ungesellig, heimlich und im Dunkeln. Das Licht des antwortenden Auges fehlt. Herz und Gemüth brauchen den spiegelnden Strom der Rede, um sich klar zu werden.

Unzähligemal schwebte auf Alonzos Lippe ein[19] Laut der Bewunderung, jener staunende Ruf der Seele, die plötzlich das Geahndete erkennt. Aber er drängte ihn ängstlich in sich zurück, und erstickte fast im Uebermaaß des Entzückens.

Sehr willkommen daher, wenn gleich überraschend, war es ihm, als er eines Tages einen jungen preußischen Offizier an seiner Seite vernahm, der mit gleicher Lust und Innerlichkeit aufmerksam ein vor ihnen stehendes Bild betrachtete, und das beseelte Auge langsam zu Alonzo hinwendend, ihn bequem und sicher in spanischer Sprache anredete.

Alonzo ehrte die preußische Armee weit mehr als er es sagen konnte, er achtete die Ration wie die seine, und konnte nicht ohne demüthige Rührung den reinsten Heldenkönig sehen und nennen hören. Wenn er gleichwohl die ehrenwerthesten aller Kampf- und Waffengenossen auch jetzt nicht aufgesucht hatte, sich nicht von ihnen finden ließ, so lag es wohl darin, daß der Spanier wie der Deutsche niemals unaufgefordert in des Andern Weg tritt, und beide es verschmäheten die französische Sprache in diesem Augenblick zur Vermittlerin zu machen. Denn[20] es ist natürlich und dem Menschen eigen, sich von dem mit Widerwillen abzuwenden, was man los zu werden einmal beschlossen hat. Es fiel daher jetzt jede bisherige Scheidewand vor Alonzo nieder. Hatte ihn früher die frische, fröhliche Weise der tapfern Preußen, ihre naive Wißbegier und aufmerkende Theilnahme eben so wie die abhaltende Höflichkeit ihres Benehmens erfreuet, so gelangte er hier durch die Fülle frei und kräftig gebildeter Künstlernatur, den Scharfsinn und die gemüthvollste Gewandtheit unversehens zum Einverständniß deutscher Nationalität.

Wer sich eine Zeitlang vor der Welt verschlossen und alles daraus abgewehrt hat, was ihn ansprechen könnte, wird dem neu hineinfallenden Lebensstrahle um so mehr Gewalt über sich gönnen müssen. Die wohlthätige Wärme und Klarheit eines hellen Gespräches treibt Blut und Sinn und Worte zu schnellerem Lauf, ein Funke zündet den andern, es glühet von allen Seiten. Gedanken brennen zusammen, die Flamme leuchtet weit über die gewohnten Gränzen hinaus.

Alonzo fühlte sich immer freier und verständlicher, sein Gefühl immer lebendiger umgetrieben,[21] je leiser und sachter der junge Fremde ihm entgegentrat, ohne ihn gleichwohl absichtlich suchen zu wollen. Beide gingen bald von der Kunst zu dem Leben und der Gegenwart über, und in den Sälen, als der gemeinsamen Heimath, auf und ab gehend, redeten sie ohne Zwang über den gemischten und höchst wunderbaren Eindruck, den Paris unter den gegenwärtigen Zeitumständen auf sie mache. Alonzo hütete seinen Haß zu sorgfältig, um ihn in Worten zersplittern zu wollen, er äußerte sich nur im allgemeinen, daß er den ganzen Streit nicht für geschlichtet halte, so lange noch ein Einziger in dem eigenen Bewußtsein gefesselt bleibe. Er könne sich nun einmal mit der Freiheit nicht beruhigen, die ihm Andre erkämpften. Teuflische List habe ihn um die Mitwirkung betrogen und daß er das nicht rächen dürfe, hetze ihm eben das Blut durch alle Adern. Ehe gebe es auch keine Ruhe für ihn, bis dies heiße Blut auf eine oder die andere Art sich gekühlt habe. Der Deutsche war bei weitem milder. Er konnte manches Tadelnswerthe nicht in Abrede sein, gleich wohl ging er, als etwas Außerwesentlichem,[22] nur leicht darüber hin. Ueberall betrachtete er in dem Ort nicht sowohl die Hauptstadt Frankreichs, als vielmehr den Brenn- und Scheidepunkt ungeheurer Reibungen, die sich hier sichtend, befriedigt und vollständig in die ruhige Natur ihrer Bestimmung zurücktreten müßten. Die wechselnden Berührungen so verschiedenartiger Elemente, fuhr er fort, können schon an sich nicht kalt lassen, zudem spiegeln sich die großen Ereignisse in eines jedem Dasein eigenthümlich zurück, und wenn man acht darauf hat, werden Kunst und Leben eben nicht zu kurz dabei kommen.

Alonzo hatte ihn unter dem Reden aufmerksam beachtet. Es ging ein leises, weiches Minenspiel über sein jugendlich braunes Gesicht, das die Züge höchst angenehm belebte. Um den Mund vorzüglich schwebte ein feines sittiges Lächeln, in welchem sich Güte und Schalkheit wunderbar mischten. Er öffnete die Lippen nur wenig, wenn er sprach, doch ohne den Ton zu pressen, schlüpften die Worte behend, wie leichtfertige Boten darüber hin, während sich der kaum hervorgelockte Bart wie ein ernster Wolkenstreif darüber hinzog. Die Augen waren den stillen[23] Grubenlichtern zu vergleichen, die in ihrem dunklen Glanz sicher in tiefe Schachten dringen, ohne durch flackernden Schein die Sinne zu irren. Er trug sich wohl und edel, ob er gleich weder groß noch hervorstechend gebauet war. Gestalt, Ton und Geberde, alles an ihm verkündete innere Uebereinstimmung, die in ihrer leisen, biegsamen Sicherheit nichts abwehrt und sich immer bewahrt.

Es war nicht leicht möglich den bildenden Künstler in ihm zu verkennen. Auch erfuhr Alonzo bald im Laufe des Gesprächs, daß er Mahler sei, Philipp heiße und als Freiwilliger nur für die Kriegszeit Soldat geworden, jetzt in die stille Künstler-Laufbahn zurücktrete.

Beide schieden darauf mit dem Versprechen, einander wieder aufzusuchen. Als nun Alonzo einen herrlichen Barber Hengst bestieg, der draußen am Thore auf ihn wartete, blieb Philipp mit untergeschlagenen Armen vor ihm stehn, und sagte lächelnd: Alonzo gebe ihm das Bild zu einem ritterlich maurischen Helden der alten Spanierwelt, auch spüre er etwas von der eifersüchtigen Gluth in seinen Augen, er wolle sich[24] hüten, ihm in den Weg zu treten. Alonzo sah sich nicht ungern in jene Zeit zurückgewiesen, und als Philipp schalkhaft grüßend, in eine Seitengasse bog, blickte er ihm mit einer Befriedigung und einem Wohlwollen nach, wie er es lange nicht in dem Maaße empfanden hatte.

In dieser erhöheten glücklichern Stimmung ritt er ganz behaglich durch den kühlen Abend hin, ohne sonderlich von dem lästigen Schwarm umher gestört zu werden. Die Nähe liebenswürdiger Menschen hebt uns immer eine Zeit lang über uns selbst hinaus, und trennen wir uns nun, so glimmt und dämmert das Herz noch eine Weile in sich fort, ohne daß wir uns gerade davon Rechenschaft geben. Wir können nicht sagen was in uns vorgeht, wir lassen das Unbekannte eben walten. Alonzo erging es nicht anders.

Die duftigen, verschwimmenden Abendlichter schienen sich in seinem Innern zurückzuspiegeln, er träumte so nachempfindend fort bis ihn das ganz unerträgliche Gedränge an den Boulewards hin, alle zehn Schritt einmal zwang, seinen unruhigen schnaubenden Barber anzuhalten. Das[25] stolze Thier warf ungeduldig den Kopf in die Höhe, und machte mahl auf mahl Mine, über alles das wegzusetzen, Alonzo mußte in einem Strafen und Zügeln bleiben. In diesem unbequemen Geschäft ärgerte ihn so viel zwecklose Beweglichkeit, das heisere Durcheinanderschreien, die Fremden, die sich nach dem Größterlebten in eingefleischtem Vorurtheil, zu dem Unbedeutenden drängen konnten, die vergiftende Thorheit, der Schmutz, die Sünde doppelt und dreifach, und er würde es dem Barber just eben nicht verdacht haben, wenn er den Boden aufwühlend all der geschäftigen Verdorbenheit ihr Grab gegraben hätte. Im höchsten Unwillen hielt er hart an einem kürzlich eingeäscherten Hause. Tanzende Affen, Leierkasten, Marionetten, Sträußermädgen und Betteln der Invaliden, Hundecomedien und Vaudeville-Sänger, alles schwirrte, gaukelte und preßte sich an ihm hin. Auf einem niedergebrannten Pfeiler dicht neben ihm saß ein braunes Mädgen von zartem Alter in knappem blauen Kattunhemd und drüber hingeworfenem dunkeln Mantel, dessen Risse und Schlitzen und abgetragene Wolle eine weitläuftig überkommene[26] Erbschaft verriethen. Neben ihr kauerte sich ein altes, dürres Mütterchen fröstelnd zusammen, die blinden Augen in der Kleinen Schoos gedrückt. Diese sang in demselben leiernden Ton, die gefaltenen Hände von Zeit zu Zeit mit auswendig gelernter, zur Gewohnheit gewordener Geberde gen Himmel hebend; um Gottes und des Heilands Liebe willen, für eine arme Blinde ein paar Sous. Alonzo warf ihr Geld hin! Das Kind stand auf und verneigte sich, indem sie ihr: Herr, Gott wird es Ihnen vergelten: eben so nothwendig, eben so eintönig wie die frühern Worte hersagte. Die Alte aber, vom Klange des Geldes aufgeweckt, richtete sich in die Höhe und mit den geschlossenen Augen mühsam zu Alonzo hinaufblinzelnd, rief sie: das schönste Herz Frankreichs wird so viel Großmuth lohnen. – Alonzo schauerte zurück, theils vor dem gespenstischem Anblick des Weibes, theils vor der unwillkommenen Prophezeihung. Er wandte sich mit einiger Heftigkeit, doch die Blinde reckte sich, auf den Schultern des Mädgens gestützt, zu ihm hin, indem sie sagte: Bereuen Sie es[27] ja nicht, wenn es Sie übereilte, es ist auch zu Ihrem Glück.

Alonzo glaubte, sie fasele, er wußte im Grunde nicht recht was sie wolle, das eben ängstete ihn. Er spornte sein Pferd an und theilte in ein paar wilden Galoppsprüngen die gaffende Menge, die bewundernd nachrief: herrlich! herrlich! auf Ehre echt englisch! – Die Thoren! dachte Alonzo, ohne im Herzen ganz sicher zu sein, ob es nicht ebenfalls Thorheit genannt werden könne, sich durch ein paar Worte so jagen und hetzen zu lassen. –

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 18-28.
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