Achtes Kapitel

[53] Philipp war des andern Tages schon geraume Zeit bei Alonzo, ohne daß beide noch eigentlich mit einander geredet hätten, es wußte eben keiner recht anzufangen, indeß Blick und Minen tausend Fragen an des Andern Seele thaten.

Sie haben wohl nichts gehört, hub endlich Alonzo an, das Auge unsicher auf Philipp gerichtet. Doch, entgegnete dieser, ich weiß wenigstens, daß Ihr Gegner lebt, daß er der Sohn einer Frau von Saint Alban und eines Herzogs Neffe ist, in Spanien für den Unterdrücker focht, und daß just nicht viel an ihm verloren wäre,[53] falls der Himmel dennoch über ihn beschlossen hätte. Er hatte dies Letztere schon mit halbem Lächeln gesagt und der lustige Glanz der Augen zeigte, daß er auf dem schönsten Wege war, seiner neckenden Laune Bahn zu machen.

Gestehe ich es Ihnen nur, fiel Alonzo niedersitzend ein, mir ist es lieb, daß er lebt. So lange ich gegen das namenlose Wesen focht, schlugen Haß und Rache flammend über mir zusammen, ich sahe, ich hörte nichts als die verhaßten Töne, die meine Brust unter tausend Qualen unaufhörlich zerrissen. Ich dankte dem Himmel für diesen Augenblick, der ätzende Aerger war mir Labsal und da mir nun die warmen Blut quellen hell entgegensprudelten, athmete ich leicht, Gott, dachte ich, hat gerichtet. Als aber jene Klagestimme mir einen Namen nannte, da war es mit dem Zorne plötzlich aus, ich fühlte ein menschliches, von warmen Herzen geliebtes Wesen nahe. Der wunde Jüngling kam mir mit einem male ganz anders vor, er lag so bleich, so rührend da, aller Uebermuth war von der Stirn weggehaucht, sie schien mir ganz klar und rein. Der Schmerz zuckte wehmüthig[54] an seiner Lippe, es ging mir durch alle Nerven, ich hätte ihn küssen, ihn Bruder nennen mögen. Philipp, darf auch der Mensch so über den tief bewartesten, heiligsten Gefühlen schalten lassen, darf er dem Mitleid diese Gewalt einräumen?

Philipp war auf- und abgegangen. Die Schultern etwas gehoben, mit der Hand auf Allgemein hinweisend, sagt er: Gott trägt auch Mitleid mit dem Sünder, wir sollen uns freuen, wenn wir einmal eine freie göttliche Regung in uns spüren. Was ängstigen wir uns überhaupt über etwas, was einmal nicht anders sein kann.

Sie erkannten sie gleich? fragte Alonzo ohne aufzusehen. Jener wandte sich rasch, sah ihm scharf ins Auge und halb ernst halb lächelnd, sagte er unter leichtem Erröthen, glauben Sie, daß das anders möglich sei? Alonzo schwieg. Philipp blieb vor ihm stehen. Mir war, sagte er, als habe sich eine von den hohen Lilien herübergeneigt und lege sich nun an des gefallenen Jünglings Brust. Es kam alles so schnell, so traumartig.

Alonzo faßte seine Hand. Ich reise, lieber[55] Philipp, ich muß hier fort, die Luft drückt mich entsetzlich. Ich habe meiner Mutter schon geschrieben. Es geht nicht länger. Sie muß sich bei dem Könige für mich verwenden, er wird mich zurückrufen, er siehts ja, ich tauge hier nichts, wie konnte er mich auch wählen!

Ich wollte, ich könnte Sie begleiten, sagte Philipp, seine Hand immer noch in der seinen haltend, aber mein Weg ist mir schon vorgezeichnet.

Bei allem dem, fuhr Alonzo ganz in Gedanken fort, wie gut daß er lebt. Er schien ihr so werth, so unaussprechlich theuer zu sein! Wenn er – o höchst wunderbarer unbegreiflicher Gott! –

Beide schwiegen unter ernstem Nachdenken als ein Wagen vor dem Hause anhielt, und man Alonzo, Türgis Oheim, den Herzog meldete. Störe ich Sie, sagte Philipp aufbrechend, so leben Sie für jetzt wohl. Im Gegentheil, erwiederte Alonzo, Ihre Nähe thut mir ganz unumgänglich noth. Ich denke es kömmt hier noch wohl mancherlei zur Sprache, und wir halten und bewahren uns nie besser, als wenn wir[56] wissen, daß uns ein Freund beachtet. Nun fiel jener lachend ein, das wird einmal wieder einen komischen Aufzug geben, am Ende sollen Sie sich wohl gar noch mit dem alten Herrn herumschlagen. Ich dächte Sie überließen mir das, wir können leicht die Rollen vertauschen, er kennt keinen von uns beiden, und ich zeige ihm dann sein eignes Gesicht, ich weiß schon all die Minen, Phrasen und Luftsprünge der Gedanken auswendig, er soll glauben sich in einem Spiegel zu sehen, hören Sie nur, da geht's los. Die Thüren schlugen auf, der ältlich würdige Mann trat ein und gab durch sein bloßes Erscheinen den beiden Jünglingen Ehrfurcht. Sie neigten sich schweigend gegen ihn. Das stille Leiden vieler Jahre, die Kraft und Ruhe der Ueberwindung lag auf den verfallenden Zügen, er richtete die großen Augen nach Alonzo; die Nacht hereinbrechenden Alters umdämmerte bereits ihre frühere Gluth, und gab ihnen jenes wehmüthig verschwimmende Licht, das leise zum Herzen redet. Mit altadelich sicherm Anstande sagte er darauf, ich fühle mich gedrungen Sie aufzusuchen, ihnen persönlich zu eröffnen, wovon[57] mein Herz voll ist. Sie sind zum Unglück meines Hauses auf unverzeihliche Weise gereitzt worden, und haben nach würdig anerkannter Sitte ihr Recht genommen, ich kann jenes nur bedauern, wie dieses ehren. Wenn indeß der leichtsinnige Uebermuth eines Unbesonnenen, wenn die empörende Frechheit meines vergifteten Frankreichs sich so verletzend gegen Sie, gegen eine ganze edle Nation äußern durfte, werden Sie dem Bereuenden, dem Todtwunden verzeihen? werden Sie einer verzweifelnden Mutter den Trost geben wollen, daß kein Fluch ihrem Liebling ins Grab folgt? Mein Herr, Sie haben keinen Begriff von dem Schmerze, alle Lebenshoffnungen in seinem Kinde, in seinem eignen Blute scheitern zu sehen! Herr Herzog, entgegnete Alonzo in großer Bewegung, Ihnen ist es zu wohl bekannt, daß der geendete Kampf auch den Streit beendet. Die Ehre ist befriedigt, das Gefühl hat keine Stimme mehr; auch ist dieses beruhigt, und ich darf Ihnen mein Ritterwort geben, daß ich um so freier von allem Groll bin, als durchaus keine weitern Beziehungen zwischen mir und meinem Gegner statt finden,[58] und nur die allgemeinen, tief liegenden Elemente verschiedener Nationalität sich durch uns einen Weg bahnten, um aneinander zu gerathen. Die Gesetze wie die Weihe der Waffen haben hier geschlichtet und entschieden. Den Frieden der Gemüther behindert fortan nichts weiter. Wenn Sie, nahm der Herzog auf innige Weise das Wort, wenn Sie meiner Schwester das selbst sagen, wenn Sie uns die Beruhigung Ihrer Nähe nur auf kurze Augenblicke gönnen wollten. Alonzo sah ihn betreten an. Sie erschrecken, fuhr jener fort, schon vor der bloßen Möglichkeit persönlicher Befreundung, Sie hegen die lebhafteste Scheu gegen jede Art von Gemeinschaft mit allem was Franzose heißt? Ich kann Sie nicht tadeln, aber eben daß ich es nicht kann, lastet härter als der Fluch der Verbannung auf mir. Ich will Sie, fügte er einlenkend hinzu, weiter nicht in Verlegenheit setzen. Sie werden es ja nicht übersehen wollen, daß es auch hier tapfere und freie Herzen giebt, die Pflicht und Ehre, Gott und Gewissen über alles hoch halten, und diesen Ihre Theilnahme schenken, je mehr Sie sie zu bedauern Ursach[59] finden. Er hatte die letzten Worte mit frommen Eifer gesprochen, in seinen Augen glänzte eine Thräne. Alonzo sahe beschämt vor sich nieder. Ich gehe, sagte der Herzog nach kurzem Schweigen um vieles getrösteter von ihnen als ich kam, ich sehe Ihr menschliches Gefühl überwiegt den Nationalhaß bei weitem, wenn dieser gleich nicht duldet, daß Sie sich aussprechen dürfen. Ich verstehe Sie, junger Mann, und noch einmal, ich ehre Sie deshalb. Wo das Recht und die Wahrheit, rief Alonzo sehr bewegt, so gebietend sprechen, ist es nicht länger erlaubt zu wanken. Sie haben mich bezwungen, Herr Herzog, ich bitte Sie zu glauben, daß Sie, daß Ihre Familie meine Theilnahme in einem weit höhern Maaße besitzen als ich es sagen kann, daß ich stolz sein werde, Ihnen das zu bezeigen. Sie waren unter diesen Worten bis an die Thür gekommen. Der Herzog wandte sich noch einmal und mit prüfendem Blick auf beide Fremdlinge, rief er, möchten Sie doch Frankreich wahrhaft befreien können!

Philipp sah ihm gedankenvoll nach. Wie eitel die Jugend ist, sagte er nach einer Pause[60] zu Alonzo gewandt, wie klug und sicher waren wir vorher, und wie stehen wir nun da! Mich ärgern meine voreiligen Worte! Leben Sie wohl, ich bin verdrüßlich, weiß nicht recht wie ich mit mir selbst dran bin. Der Haß ist von dieser Welt, aber die Gerechtigkeit ist Gottes, das fühle ich wohl! Der Krieg macht doch wüst und einseitig, es muß wieder anders werden! Leben Sie für heute wohl.

Hören Sie doch, rief Alonzo ihn zurückhaltend, Sie schlugen noch so eben vor, wir sollten unsere Rollen in dieser Sache vertauschen, so ganz denke ich Sie nicht beim Worte zu nehmen, doch einigermaßen müssen Sie in meiner Seele handeln. Gott weiß es, setzte er tiefsinnig hinzu, ich bin mir selbst fremd geworden, wer mag sagen, wie weit das gehn kann, ich muß mich bei Zeiten zügeln, ich darf mich keiner allzu großen Weichheit hingeben, und doch bin ich der Familie, dem braven alten Manne etwas schuldig, es muß etwas gescheh'n, ich darf nicht in dieser gemessenen Zurückhaltung verharren. Wollen Sie in meinem Namen zu dem Kranken, zu der Mutter gehn? Ihnen wird[61] es leichter sein, ein allgemein begütigendes Wort zu sprechen, ohne doch zu viel zu sagen. Sie werden das schon zu machen wissen, und verschaffen mir dadurch Zeit, mich zu sammeln. Es hat mich dies alles sehr überrascht, ich muß mich wirklich erst wiederfinden. Vielleicht begnügen sich auch die Menschen mit dieser einen Höflichkeit, sie wollen die Formen beobachtet wissen, sie vergessen nachher das Uebrige. Thun Sie es immer, lieber Philipp. Ich merke wohl, sagte dieser, es ist eine erschreckliche Sache mit den Worten, sie fallen einem so unversehens aus dem Munde und verstricken nachher in Dinge, die besser fern blieben. Ohne meinen unzeitigen Spaß vorhin wären Sie gar nicht auf den Gedanken gekommen. Nun ich gehe, fuhr er fort, aber was daraus entsteht, setzte er mit halb verstecktem Ernst hinzu, kommt dennoch auf Sie.[62]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 53-63.
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