Die Gräfin Ulmenstein an Curd

[221] Es ist äußerst liebenswürdig von Ihnen, daß Sie sich meiner in den interessanten Umgebungen, die Sie so richtig zu schätzen wissen, erinnern wollten!

Ihr Briefchen mit den italienischen Carricaturen, den Zeichnungen, den Nationaltrachten, des Mailändischen Doms, der Peterskirche und andere Herrlichkeiten, nach deren Anblick meine Seele seit Jahren dürstet, haben nicht allein meine Töchter und mich entzückt, sie wurden auch die Quelle unserer Abendunterhaltung am Theetisch. Der junge Leontin, Sie sahen ihn vielleicht noch vor Ihrer Abreise bei mir, der sehr unterrichtet und überall gewesen ist, erklärte die flüchtigen Skizzen meines gütigen Correspondenten. Agathe hatte sich ein geschmackvolles Costüm für das nächste Maskenfest in der Residenz ausgesucht. Sie bat Leontin, es ihr genau in den kleinsten Details zu bezeichnen. Alles dies belebte die Unterhaltung. Sie glauben nicht, welchen[221] allerliebsten Abend Sie uns gemacht haben, fast so bunt und lustig, als wären Sie mitten unter uns. Ich sage Ihnen nicht, wie Sie zurückgewünscht werden. Ohne Uebertreibung, Sie fehlen uns vorzüglich bei demjenigen, was wir hier auf dem Lande vornehmen, um die schlechte Jahreszeit, so wie die Stadt zu vergessen. Die letztere hat in diesem Augenblick gar keinen Reiz für uns, da eine ziemlich ernste Familientrauer, der Tod einer Tante, meine Töchter wie mich, vom geselligen Vergnügen ausschließt. Man überdauert solche Prüfungszeit am bequemsten da, wo das Leben unbeachtet, ungefähr eben so hingeht, wie die Convenienz es verbietet, öffentlich zu genießen.

Unter dem Anschein völliger Zurückgezogenheit, bleibt mein Saal allen Freunden und Bekannten geöffnet. Es geht, ich versichere Sie, so fröhlich darin zu, als würfe kein schwarzes Kleid einen trüben Schatten auf die lachenden Gesichter. Aufrichtig gestanden, die gute, alte Person hat mir auch gar nicht Ursache gegeben, ihr Andenken zu ehren. Sie war meine nächste Anverwandte, die Schwester meines Vaters, kinderlose Wittwe, außerordentlich reich, und starb, ohne ihren rechtmäßigen Erben einen Pfennig zu hinterlassen. Ihr[222] Vermögen zersplittert sich in Stiftungen und Legate. Das Bedeutendste von den letztern ist aber dem jungen Baron Wildenau zugefallen, der sehr in ihrer Gunst stand. Es wäre unbegreiflich, weshalb sie den fremden Menschen auf Kosten ihrer Angehörigen begünstigte, hätte sie dabei nicht die unausgesprochene Absicht gehabt, gerade hierdurch ihrer Vorliebe, wie den gesetzlichen Verpflichtungen, ein Genüge zu leisten, indem sie den jungen Mann in die Lage versetzte, einer meiner Töchter seine Hand anzubieten. Eine alte Vertraute der Tante, die Castellanin des Schlosses, welches Leontin bald als Eigenthum beziehen wird, eröffnete mir den stillen Wunsch der Verstorbenen im Geheim. Es wäre auch lächerlich, wollte ich den tiefen Eindruck nicht bemerken, welchen insbesondere Agathe auf das Herz des Neulings gemacht hat. Allein er ist von einer so lächerlichen Zurückhaltung, und ein solcher Misantrop, daß er öfters unsern heitern Zirkel flieht, und sich drüben zu dem podagraischen, mißgelaunten Comthur und seiner stummen, trübseligen Nichte flüchtet, um nur nicht zu verrathen, was ihm doch sichtlich das Herz abdrückt. Mag er sich stellen, wie er will, ewig wird er nicht schweigen! Doch wünsche ich ihm, daß er nicht zu spät das[223] Wort finde, wonach er sucht. Es giebt andere Leute, die beweglichere Zungen haben, und meine Töchter besitzen ein Theilchen von dem Stolz und dem Eigensinne ihrer Mutter. Die eintönigen Abendunterhaltungen im Cabinet der Burgfrau könnten dem bedächtigen Freier doch sehr bittere Reue bereiten. Uebrigens mißgönne ich der armen, kleinen Frau die einzige Unterbrechung ihrer langweiligen Existenz keineswegs. Denken Sie sich, ihr Mann hat neben hundert andern lächerlichen Einfällen, auch den, den ganzen Winter auf dem Lande zubringen zu wollen, das heißt, er läßt sein Haus mit Frau und Dienerschaft dort, nimmt selbst das Ansehn, als sei er einheimisch, während er unaufhörlich hin- und hergeht, niemals auf der Burg anzutreffen ist, halbe Tage in der Residenz bei seiner Freundin zubringt, diese nur verläßt, wenn sie, durch ihre Verhältnisse gezwungen, Gesellschaften beiwohnt, die nicht von seiner Höhe sind, und die er verschmäht.

Sie sehen, das Spiel ist gut berechnet. Es geht einen raschen Gang! Mir ist solche Freimüthigkeit, bei so unerlaubter Intimität in meinem Leben nicht vorgekommen. Die Leute treiben das Alles mit einer Miene, als verstehe sich ihr auffallendes Benehmen von selbst. Nach gerade[224] wurde indeß die unbegreifliche Dreistigkeit doch sehr peinlich. Man hatte ungefähr das Gefühl dabei, als wenn Jemand durch eine unbewußte Unordnung in der Toilette, das Auge Anderer verletzt, und im vollen Gefühl schicklicher Haltung, die ungeahndete Indecenz noch mehr heraushebt. Ich bin deshalb froh, daß der Präsident zu rechter Zeit kam, seine Frau nach der Stadt zu führen. Die geselligen Beziehungen der Nachbarschaft brachten mich, ich versichere Sie, in fatale Collisionen. Ganz offenbar nahm der Graf von dem leichtern, bequemern Ton, der in meinem Hause herrscht, Veranlassung, seinen Absichten hier ein freies Feld zu bahnen. In diesem Sinne mischte er sich in die Anordnung unserer Bühne, und brachte ein plumpes, licencieuses Ding zum Vorschein, das allenfalls in einer Dorf schenke, von Puppenspielern dargestellt, das dortige Publikum ergötzt haben würde, für uns aber ganz unschmackhaft blieb. Es soll von dem jetzt oft genannten, von Vielen so gefeierten alten englischen Poeten sein, dessen Name ich immer vergesse, weil er mir die Kinnbacken zerbricht, wenn ich ihn aussprechen will. Mag indeß Theil daran haben, wer nur will, dieser Mischmasch von platter Trivialität und bilderreichem[225] Unsinn, von langweiligen Tiraden und pöbelhafter Gemeinheit, gehört vor ein anderes Publikum, als vor das unserige. Auch bin ich überzeugt, der Graf war nicht einen Augenblick im Irrthum über den Werth des Stückes. Seine Wahl fiel nur vorzugsweise deshalb darauf, weil es für den übrigen Plan paßte, und geschickt war, der zwanglosen Gemeinschaft einer zusammengerafften Bande umherziehender Schauspieler zum Vorwande zu dienen. Die List war ziemlich grob eingefädelt. Ich war gleich auf der rechten Spur. In Wahrheit, die Leutchen machten ihre Sachen ungeschickt. Mit einem bischen Vertrauen ließe sich viel übersehen. Doch sie sind so stolz und anmaßend, betheure ich Ihnen, auf den Schwung ihrer Gefühle, daß sie alle Zungen mit Pfeilen bewaffnen. Aus diesem Grunde danke ich es ordentlich der guten Tante, daß sie gerade diesen Zeitpunkt wählte, um zu sterben. Ihr Tod fesselt mich hier, und setzt mich außer Verbindung mit zwei Familien, denen ich gleiche Rücksichten schuldig bin, und die mich demungeachtet beide gezwungen haben würden, öffentlich zu brechen, um auch den Schatten von Theilnahme an einem unerlaubten Handel von mir zu entfernen. Eine Mutter kann gar nicht[226] delikat genug in der Wahl ihrer Gesellschaft sein.

Mich dauert die stille, schüchterne Emma ganz außerordentlich. Man sagt, sie erwarte ihre Mutter in Kurzem von einer Rückreise aus Italien. Nun, das wird hübschen Lärm geben, wenn die Oberhofmeisterin hinter des Schwiegersohns geheime Verbindungen kommt!

Leben Sie wohl bis dahin! Wenn etwas, des Berichtens werth, unter uns vorfällt, rechnen Sie auf die Feder Ihrer bereitwilligen Freundin.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 221-227.
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