Emma an den Geistlichen

[227] Ihr letzter Brief, ehrwürdiger Freund, fordert mich mit fast beschämender Güte auf, Ihnen zu jeder Zeit mein Herz offen zu erhalten, Alles, was darin vorgeht, Ihrer Theilnahme zu vertrauen, jeden Zweifel in der freien Mittheilung aufzuhellen und überall rücksichtslos wahr zu sein.

Ach! mein gütiger Lehrer, was bliebe Ihnen auch von dem verschwiegen, was ich mir selbst eingestehe! Ich glaube, ich könnte der Worte entbehren, Sie erriethen mich dennoch.[227]

Dem Himmel sei Dank, noch scheue ich den Blick nicht, der die Tiefen meiner Seele durchdringt. Ich weiß, Sie sehen bis auf den Grund, und nichts verwirrt Sie, was die Bewegung des Augenblickes undeutlich auf der Oberfläche erscheinen läßt.

Anders ist das mit meiner Mutter. Die ruhige Begleitung eines Freundes, der nichts will, als dem Gefährten zur Seite bleiben, läßt dessen Gang frei, doch ängstliche Sorge hemmt den Schritt. Ich habe es stets so gewissenhaft vermieden, irgend einen leisen Schatten in die Seele meiner Mutter zu werfen. Nur in den stillsten, ruhigsten Stimmungen, bei allem Frieden der innern und äussern Welt um mich her, schrieb ich meine Briefe an Sie. Nie ist mir ein Wort entschlüpft, das sie doppelsinnig deuten könnte; warm und zärtlich sprach ich die Empfindungen meines befriedigten Herzens aus, wie kommt es dennoch, daß sie dem allen keinen Glauben schenkt? Unwillig bestreitet sie mir meine Ruhe, mit leidenschaftlicher Besorgniß dringt sie auf mich ein, und strebt, mir ein Geheimniß zu entreißen, das mir fremd ist, dessen undeutliche Erwähnung mich unaussprechlich ängstigt. Sie wirft mir Zurückhaltung, ja Heuchelei vor, und[228] schwört, Licht in der Sache haben zu wollen, um einer Verblendung ein Ziel zu setzen, die sie für die Würde ihres Kindes beeinträchtigend hält. Von diesem brennenden Wunsche getrieben, nimmt sie ihren Rückweg aus Italien gerade hierher. Sie kommt! sie kommt in den nächsten Wochen! und wenn mein Herz vor Freude zittert, sie wieder zu sehen, so stockt es auch vor Bangigkeit und Furcht, als sei das Ende aller Glückseligkeit, ja das Ende meines Lebens nahe!

Die Unnatur solcher Widersprüche macht mich völlig irre an mir selbst, an meinen Verhältnissen, ach! an den liebsten Menschen. Ich frage mich unzähligemal: was ich fürchte? für wen ich fürchte? Und wenn mir dann eine ängstigende Antwort nahe tritt, und ich sie nicht hören will, dann ist es, als sähe ich in ein unabsehbares Gewirre von Mißverständnissen hinein, von denen ich den Blick erschrocken abwende.

Mein Gott! ich war so ruhig, ich genoß die unaussprechliche Freude, Hugo völlig zufrieden und heiter zu sehen. Ich empfand, daß er den einzigen Wunsch meines Herzens, ihm in keiner Art hemmend in den Weg zu treten, erkannte, er genoß seine Freiheit, und kehrte lebensfrischer, klarer, oft wärmer, als er ging, zurück. Wie[229] hätte ich fürchten sollen, daß gerade dasjenige, was mir das Gleichgewicht entgegengesetzter Naturrichtungen zu erhalten schien, Hingebung und Liebe, den Samen unseliger Mißverhältnisse ausstreuen würde!

Wie ist man nur so eilig, Gegenstände zu beurtheilen, die man nicht kennt. Niemand weiß ja, was in der Brust des Andern vorgeht. Ich war glücklich, ich versichere Sie, seit es stiller um uns ward, die Nachbarn die Gegend verließen, oder die mißlichen Gebirgsschlüfte mieden. Die Einsamkeit auf der Burg ist mir erwünscht, ich liebe das ernste, großartige Gebäude überaus. Das Gewöhnlichste im Leben gestaltet sich hier anders. Es geht ein Geist durch Häuser und Gemächer, den oft die wechselnden Bewohner nicht bannen. Im Gegentheil, sieht man diese wohl unwillkührlich dem verborgenen Einflusse nachgeben, Geschmack und Neigung dem gebietenden Zuge unterwerfen; ja, sich selbst, wie die gewohnte Weise, in eine andere Form fügen.

Hier, unter den festgewölbten Bogengängen, den kräftigen Sinnbildern gegenüber, findet weder Langweile Raum, noch kleinliches Gelüst Eingang. Hier ist alles bleibend, ruhig, das Gemüth erhebend; und wenn ich in Hugo's Abwesenheit[230] in seinem lieben Zimmer sitze, mir es so unaussprechlich wohl in den schönen, hohen Räumen ist, ich mich in die Kissen seines Sopha's schmiege, seine Nähe täuschend empfinde, mein Blick dann, durch die Glasthüren, über den Altan weg, in die reizende Landschaft sieht, der breite Strom so still und majestätisch vorüberfließt, die dunklen Thalwände hinter ihm riesenhaft aufsteigen, Dörfer und Städte aus ihrem bläulichen Dunst hervortreten, dann fühle ich, wie die Seele des kräftigen, kühnen Mannes sich da hinaussehnt, und theile seinen Unmuth wie sein Streben. Ich selbst möchte ihm das Thor öffnen, den Weg bahnen! Gedanken, die ihn beschäftigen, umringen mich! ich werde ganz er selbst, fühle, wünsche wie er, und athme frei, wenn ich mich besinne, daß er fern von hier, wenigstens auf Stunden und Tage, jetzt sich selbst angehört, seinem ungestillten Drange nach Freiheit augenblicklich Genüge thut. Lange, lange sitze ich dann so, begleite ihn auf Wegen und Stegen, bilde mir ein, seinen Schritten zu folgen, und während ein zärtlicher Wahn die Zwischenräume durchmißt, bin ich weder allein, noch entbehre ich das Glück der Gegenwart.

Nein, lassen Sie michs bekennen, ich kann,[231] mir selbst überlassen, weit ungestörter Hugo's Bild be trachten, als ihm gegenüber. Ja, mir steht er fest, rein, unberührt von dem, was zuweilen die Wirklichkeit umdunkelt. Es ist der wahre Hugo, den ich ungetheilt mein nenne, den ich liebe, den ich liebkose, zu dem ich frei aus dem tiefsten Herzen rede.

O! wer mag zweifeln, daß ich eben in den Stunden, die mir falsches Mitleid rauben will, glücklich bin!

Lieber Freund, wenn nur meine Mutter das so wüßte, wenn es sie beruhigen könnte, daß mir diese unscheinbare Stellung im Leben lieb ist, daß ich sie um Vieles nicht wechseln möchte, daß ich vor jeder Veränderung zittre. Manchmal habe ich ihr ganz rücksichtslos schreiben, sie bitten wollen, ja an nichts zu rühren, was sich allzuleicht durch fremdes Eingreifen verschiebt. Allein, wozu würde es nützen? Sie mißt mein Glück nach ihrem Empfinden. So freilich muß sie hier unzufrieden sein! Und wenn ich mir nun denke, wie mit heißer Sehnsucht sie sich her zu mir wünscht, wie ihre unbegränzte Liebe mich nie verließ, ich ihr Alles auf Erden bin, sie keinen, auch nicht den kleinsten Wunsch hegt, der nicht ihrer Emma Wohl beträfe, dann sinkt mir der Muth,[232] dann weiß ich nicht, wie ich ihr das Unabänderliche anders darstellen, das Mangelnde, was allein der Fortgang des Lebens ergänzt, im Augenblicke verhüllen soll.

Auch der Oheim ist nicht ohne Sorge. Er sagte mir noch diesen Morgen: »Liebes Kind, Ihre Mutter wird nicht mit uns zufrieden sein, sie wird sich hier mißfallen. Wäre es nicht besser, Sie folgten Hugo nach der Residenz, und empfingen sie dort?«

Ich war verlegen, was ich ihm erwiedern sollte. Hugo hat mich nie aufgefordert, ihn nach der Stadt zu begleiten; er vermeidet es wohl, weil es nicht das Ansehen haben soll, dort einen längern Aufenthalt zu wählen. Seine Stellung bleibt auf solche Weise freier. Er sichert sich das Gehen wie das Kommen, wenn er über Beides nur mit dem Augenblicke zu berathen hat. Es wäre mir nicht möglich, ihn gerade hierin hemmen zu wollen. Auch bin ich nicht des Oheims Meinung. Aus vielen Gründen ist es mir lieb, die Mutter hier auf dem prächtigen Familiensitze bei mir zu sehen. Das Schloß, seine Umgebungen, der Zuschnitt der Verhältnisse, die ganze Lebensweise, werden ihr in gewisser Hinsicht genügen. Der Glanz, wenn er nicht blendet, ergötzt immer das[233] Auge, und macht es williger, Unebenheiten zu übersehen. Und dann – gleichförmige Ruhe hält Störungen entfernt.

Dies alles bei mir überdenkend, schwieg ich einige Augenblicke, ohne meinen wohlwollenden Beschützer zu beruhigen.

Er ergriff meine Hand, drückte sie fest in der seinen, indem er zärtlich sagte: »Machen Sie es, wie Sie wollen. Ihr klarer Geist giebt Ihnen von selbst den Faden durch dies Labyrinth in die Hand.«

Er ging. O! hätte er gewußt, in welcher Unsicherheit er mich zurückließ, wie orakelhaft seine Worte klangen, was er in mir verworren, was er geweckt hat!

Ich sehe es nun wohl, die Welt tadelt Hugo, beklagt mich, erfindet und spinnt das Erfundene emsig zusammen. Wie ich diese müßige Geschäftigkeit hasse! wie mich eine Theilnahme drückt, die ohne Herz und Gemüth, nur das Fremde an sich reißen, es durchschauen möchte.

Die Menschen wissen nicht, wie wehe sie mir thun! Ist es denn nicht möglich, anders zu sein, als Andere, und doch für sich recht zu behalten? Ich bin so ängstlich, seitdem der Oheim ging. Ich weiß nicht, was ich thun oder lassen[234] soll? Der Brief meiner Mutter ist in großer Leidenschaft geschrieben. Er klingt fast drohend. Die wenigen Zeilen, welche das Stiftsfräulein ins Couvert hineinschrieb, sollen mich wohl beruhigen, allein sie enthalten die niederschlagende Nachricht, daß beide Freundinnen sich auf einem gewissen Punkt der Reise trennen, und während die Eine dieser Gegend zueilt, die Andere sich zurück, zu der Fürstin wendet, um dieser erwartete Briefe und Berichte zu überbringen. So fehlt mir denn auch die vermittelnde Sophie. Von ihr hätte ich erfahren, wer all die Leidenschaft, die ängstliche Hast erregt? Sie würde mir geholfen haben, mich gegen schmerzliche Angriffe zu waffnen, und zugleich die Zärtlichkeit der liebevollsten Mutter zu schonen. Jetzt bin ich ganz allein, Hugo ahndet nicht, was mich quält, auch ist er nicht anwesend. Und wäre ers, was dürfte ich ihm sagen?

Ich lese in Ihrem klaren, frommen Auge, was ich vergessen zu haben scheine. Sie sehen fast strafend auf die Unruhe meines Herzens. Ja, ich verstehe, ich verstehe, wozu Sie mich anmahnen. Ich werde ja auch den Weg nicht verloren haben, auf dem Muth und Besonnenheit zu finden ist. Ich bin nur so erschrocken! ich weiß selbst[235] nicht, wovor? Ich sehe nicht, was ich fürchte, und doch fühle ich es. Lesen Sie mit Nachsicht diese verworrenen Zeilen, denken Sie, ich finde mich so am ersten zurecht, wenn ich nach des Lehrers, des Freundes Hand greife, wenn ich schwach, doch willig, mich aufzurichten, Ihren Beistand suche. – – –


Abends spät.


O es ist Alles anders, Alles gut! Hugo ist hier! Er kam in Nacht und Dunkelheit. Er fand mich in seinem Zimmer. Es überraschte ihn. Er war bewegt, als ich ihm gestand, daß mir hier allein wohl sei. Sein Auge hatte den schönen, tiefen Blick, vor dem meine Seele immer so innerlich bebt. Er sah mich mit dem Blicke an. Eine Welt lag darin! und ich war mitten in dieser, in seiner Welt! Jetzt, – was habe ich zu fürchten. Meine Mutter wird uns so finden. Hugo weiß, daß sie kommt. Er freut sich von ganzem Herzen, sie hier zu sehen. Wir wollen ihr beide eine Tagreise entgegen fahren. Wie anders nun dies Wiedersehen! – Wie der Mensch schwach ist! Wie zaghaft, wie kleingläubig!

Geehrter Freund, soll ich es Ihnen bekennen? Sahen Sie nicht etwas Trübes, Unreines im Hintergrunde meiner Angst sich verbergen?[236] O guter Gott, wie gern will ich mich eines Gefühls schämen, das mich doppelt zerreißt, weil es dem geliebtesten Menschen zu nahe tritt!

Heiterer, als ich zu Ihnen kam, verlasse ich Sie jetzt. Möge mich ihr Segen aufrecht gegen so schlimme Anfechtungen halten!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 227-237.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Resignation
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation: Werke und Schriften 5

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon