Die Oberhofmeisterin an Sophie!

[281] Wundern Sie sich nicht, daß ich mir so viel Zeit ließ, ehe ich an Sie schrieb? Nur wenn Sie hier wären, würden Sie es verstehen, wie ich zu dieser Enthaltsamkeit kommen konnte.

Es ist nicht leicht, Worte zu finden, wenn man nicht weiß, was man denkt oder fühlt? Sehen Sie, jede andere wie ich, würde hier ruhig, und leidlich zufrieden sein. Ich bin es nicht, ich kann es nicht sein, ob ich gleich gestehen muß, daß ich Niemand einen Vorwurf zu machen habe, noch etwas Bestimmtes tadeln kann. In den ersten Augenblicken nach meiner Ankunft war ich völlig geblendet. Hätte ich Ihnen da geschrieben, Sie würden triumphiren. Es war Nacht, als ich den Fels hinan, zu dem erleuchteten Burghofe einfuhr. Die große Ampel über dem Steinbrunnen, die hohen Tannen, zwischen denen sie schwebt, das Licht selbst so magisch über die besondere Architektur ausgegossen, und Emma endlich, schöner als je, unter den gothischen Bogen, auf der gewundenen Treppe stehend, hinter ihr der Comthur, imposant wie immer, durch Gestalt und Haltung, ich sage Ihnen, ich war überrascht, durch das Neue und Sonderbare des Anblicks. Mich selbst, und was mich hierher trieb[281] vergessend, rief ich schon, ehe man mich hören konnte: »Willkommen, willkommen, liebe Kinder!« Bei dem ersten Laut meiner Stimme füllt sich der Hof mit Menschen und Lichtern; Emma stürzte an den Schlag des Wagens, sprang auf den Tritt desselben, und lag in meinen Armen, in einer Bewegung, die ihr Sprache und Besinnung raubte. Ich fühlte, ich hörte die Schläge ihres lieben Herzens, das meinige brach fast vor Entzücken. Indeß war Hugo auch herabgekommen, er hob mich aus dem Wagen, und führte mich und Emma zum Schlosse hinein.

Mit stummer Rührung drückte er unsere Hände in den seinen. Es erschütterte ihn sichtbar, uns so einander wiedergegeben zu sehen. Er hat an Behutsamkeit, an Feinheit des Betragens gewonnen, man fühlt, er kennt seine Stellung, und dabei hat er nichts von jenem Besondern verloren, das unsre Fürstin, die Schwingung eines tiefen, melancholischen Accordes nennt. Sie wissen! ich bin nicht für Schwärmereien der Art, indeß mußte ich mir, wenn auch widerstrebend, eingestehen, daß man Hugo nicht nahet, ohne in eine ungewöhnliche, denkende und nachempfindende Stimmung zu versinken. So flohen die ersten Stunden hin, indeß mich, was ich[282] sah und hörte, immer mehr erregte, immer williger machte, die neuen Eindrücke mit Feuer und Bewunderung aufzunehmen. Ich fordere auch Besonnenere als ich bin, auf, ungeblendet von dem Reiz des rührendsten, lieblichsten Wesens, der einzigen, über alles geliebten, nach langer Trennung wiedergefundenen Tochter zu bleiben. Sie selbst, von Freude strahlend, mitten im Glanz der sonderbarsten, erhabensten Umgebung glücklich, die Fürstin ihres Kreises, darin gebietend und herrschend mit dem Zauber einer Fee; sie so zu sehen, und auf die Plackereien, das Gezänk und Gewäsch miserabler Flachheit zurück zu blicken, den Maßstab der Beurtheilung von da herzuholen, kurz, zu wissen, was man früher wollte! Ach ich athme nun, wie in andrer Luft! Ich hätte schwören können, mir wäre nie ein Zweifel über die vollkommene Zufriedenheit Emma's in den Sinn gekommen.

Der feierliche Ernst des Comthur, zu welchem er schon in der Jugend eine leichte Anlage hatte, und der ihm nun zur andern Natur geworden sein mag, stemmte sich zuerst gegen die raschen Ausbrüche meiner sorgenfreien Laune. Ich stieß mich so zu sagen an ihm, und in der unangenehmen Empfindung, die auf so etwas folgt, sah[283] ich mir den Mann, den Ort, die Menschen bestimmter an. Ich spürte leicht die Spannung heraus, die sich an gewissen Tagen über häusliche Verhältnisse, über Personen und deren Art und Weise verbreitet. Emma kam mir ängstlich, Hugo nicht natürlich, der Oheim unsicher zwischen beiden vor. Es ist unglaublich, wie das leiseste Verrücken des Gesichtspunktes, sogleich Blick, Gedanken, Gefühl, Stimmung in uns anders macht! Ich wurde nachdenkend wie der Comthur. Es half diesem wenig, daß er gleichgültige Gespräche mit Feinheit und Anmuth zu beleben suchte, als sei zwanglose Heiterkeit hier einheimisch, ich hatte es bald weg, man war bemüht, mich zu unterhalten, und jedweder hatte dazu seinen Festtagsrock angezogen.

Das ist im Ganzen auch so geblieben, nur werden wir nach gerade der Spielereien überdrüßig. Hugo sieht manchmal aus wie die stumme Verzweiflung. Emma überbietet sich dann in Gesprächigkeit und launigen Anekdoten, sie lacht und erzählt, aber ihr Lachen jagt mir das Blut ins Gesicht, ich schäme mich in ihre Seele, daß sie gezwungen ist, eine Rolle vor mir zu spielen, die ihres Mannes hölzerne Leblosigkeit sehr schlecht unterstützt. Und ich, Sophie, soll unschuldig genug[284] sein, dahinter nichts anders zu suchen, als Eigensinn und Laune? Nein, ich spiele mit! und gehe, wie alle Andere, frei hinter den Coulissen hin und her. Es steht da noch Mancher, der frühe oder spät in die Scene treten wird. Bis zur Entwickelung sind wir noch nicht gelangt, denn die Fäden der Intrigue laufen kraus durch einander.

Der Intrigue? Ja, ja! ich bin gewiß, daß sie existirt, daß sie sich unter Emma's Augen angesponnen und gebildet hat, daß sie es sieht, es weiß und duldet, um nur den Undankbaren nicht zu stören, der unser Aller Elend machen wird. Darin liegt der Schlüssel ihres Betragens, deshalb die Anstrengungen unheimlicher Fröhlichkeit, denen weder ihre innere noch äußere Kraft gewachsen ist.

Das ist es, Sophie, was ich herausfühlte. Zu bemerken, zu entdecken ist hier nichts. Dazu sind Alle in stillschweigender Uebereinkunft zu einig, denn sie wissen, daß man demjenigen, den man ans Licht ziehen will, unter der künstlichsten Verkappung nachspürt. Doch finden sich auch willige Hände, die unversehens den Finger ausstrecken, und hinzeigen, wo man sehen soll.

Unsere Gräfin in Ulmenstein ist in solchen[285] Fällen von unzuberechnender Dienstfertigkeit. Ich war kaum auf der Burg angekommen, so kam sie auch. Meine Laune stimmte schlecht zu solchem Besuch. Mußte ich hier gleich auf eines der lästigen Geschöpfe stoßen, die in ihrer faden Wichtigkeit schon so breite Plätze am Hofe und in der Stadt einnehmen! Mit der stummen Höflichkeit, die Sie mir unzählige Male vorwarfen, parirte ich den Andrang unbequemer Geschwätzigkeit, mit der die bewegliche Frau auf mich zurannte. Sie ward nicht einen Augenblick irre. Ohne im Mindesten von ihrem Eifer abzulassen, hatte sie mich in Kurzem, zu meiner Strafe und ihrem Triumph, in das Netz ihrer Worte verstrickt. Ich büßte jetzt meine frühere Gleichgültigkeit durch die stechendste Neugier. Urtheilen Sie nur, wie ich aufhorchte, als sie unter endlosen Faseleien und ewigem Kichern auf die spaßhafteste Weise von der Welt bemerkte: Es sei ein wahres Werk der Barmherzigkeit, daß ich gerade in diesem Augenblicke hierher gekommen sei; ihre Trauer um die arme, liebe Tante, wie sie mit plötzlich veränderter Miene und einem kleinen Anflug süßlicher Wehmuth hinzusetzte, ihre Trauer feßle sie jetzt, als verständige und alles überlegende Frau, in Ulmenstein, die ganze Nachbarschaft sei verödet[286] ohne sie, die Burg ebenfalls ausgestorben, da die häusliche Emma die Einsamkeit zu sehr liebe, um selbst nur ihren Mann nach der Residenz begleiten zu wollen, wohin ihn doch sehr natürlich unzählig kleine und größere Verpflichtungen alle Augenblicke riefen.

Ihre lächelnde Stimme lief hier in die unangenehmste Feinheit aus. Ich arbeitete an meinem Tapisserie, wühlte unter den bunten Knäueln, hielt die Farben zusammen, zählte und berechnete Stiche und Fäden, während das Blut schon unruhiger in mir wogte, doch hielt ich es zurück, ich lächelte ebenfalls, und erwiederte in demselben Tone: »Es ist auch sehr schön hier im Schlosse, ich begreife, daß man sich sehr ungern daraus entfernt.«

»Ja, bei Gott! sehr schön,« rief sie emphatisch aus. »Wer weiß das nicht? Aber man muß doch auch ein klein Bischen uneigennützig denken, und die übrige Welt nicht ganz über seine Lieblingsgenüsse vergessen. Werden Sie es glauben,« lachte sie hier wieder auf eine schneidende Art, »daß die böse kleine Frau über einen Monat nicht ein einzigesmal bei mir zu Mittag gegessen hat? Immer war entweder der Graf im Begriff, abzureisen, oder er sollte eben an diesem Tage[287] wieder kommen, und so geizt die zärtliche Gattin mit jeder Minute, die sie der Muße ihres beschäftigten Freundes abstehlen kann, daß sie uns andern armen Leuten auch keine einzige davon aufopfern will.«

»Sie sind sehr gütig,« erwiederte ich, über meine Arbeit gebeugt, und die Augen auf dieser hin- und hergehen lassend, um nur die Schwätzerin nicht anzusehen. »Sie sind sehr gütig, meine liebe Gräfin, sich soviel um die Undankbare zu bekümmern, die nur einer alten, bösen Gewohnheit der Bequemlichkeit nachgiebt, wenn sie die rücksichtsvolle Ehefrau spielt. Wie oft mag sie dem guten Hugo einen Ritt oder eine Fahrt nach der Stadt andichten, um nur ihre Trägheit zu entschuldigen.«

»Das nicht! das nicht!« fiel die Gräfin lebhaft ein. »O! ums Himmels Willen, demüthigen Sie mich doch nicht so sehr, hier eine bloße Ausflucht zu suchen, wo ich ein besseres Motiv voraussetze, das meiner Eitelkeit weniger empfindlich ist. Nein, ich weiß, die liebenswürdige Emma weicht meinen Einladungen nicht ohne Grund aus.«

Es blitzte bei diesen Worten so ein gewisses, rasches, gelbes Licht aus ihren kleinen, beweglichen[288] Augen, daß ich, unwillkührlich zu ihr aufsehend, davon auf das Unangenehmste überrascht wurde. Es war keine Frage, sie deutete auf etwas hin, das sie nicht gesonnen war, mir verbergen zu wollen. Mir lag aber daran, es nicht durch sie zu erfahren, deshalb drückte ich meine Hand leise auf ihren Arm, indem ich so wenig trocken als möglich sagte: »Ich sehe wohl, Ihre Freundschaft für Emma macht Sie eifersüchtig! Sie rechten selbst mit Hugo, dem Sie die Minuten nachzählen, welche er in der Gesellschaft seiner Frau verlebt.«

Die Gräfin ward hier sehr roth, und half sich mit ihrem gewohnten Lachen. Nach einer Weile trat der Comthur ins Zimmer. Die Gräfin war honigsüß mit ihm. Er ließ sich das nicht ungern gefallen. Es ist keine Angelruthe so abgenutzt, daß nicht die Eitelkeit der gescheutesten Männer zu gewissen Zeiten anbisse. Jetzt wurden wir neu bestürmt, in den nächsten Tagen nach Ulmenstein zu kommen. Ich verwahrte mich dagegen wie ich wußte und konnte, doch zuletzt mußte ich es geschehen lassen, daß die Einladung auf den folgenden Mittag angenommen ward.

Man hat ein Vorgefühl von dem, was einem treffen wird. Ich hatte es, als ich in[289] den Wagen stieg, um die Fahrt zu machen. Mir war diese an sich höchst fatal. Ein Diner auf dem Lande gehört zu dem Widersinnigsten, was ich kenne. Da, wo alle Ostentation entfernt sein sollte, erscheint sie doppelt lächerlich. Man ist nicht geneigt, sie sich gefallen zu lassen. Man will und verlangt etwas anders, und wird verdrüßlich, immer das Alte zu finden.

Es ließ sich, nach der Persönlichkeit der Gräfin, auf die Prätentionen ihrer häuslichen Einrichtung schließen. So etwas stößt mich ab. Ich legte in keiner Epoche meines Lebens Werth auf das Vorübergehende, und wenn ich übertriebene Modesucht schon bei der Jugend unnatürlich finde, so dünkt sie mir im Alter die Schminke der Dummheit und Leerheit zu sein.

Ich suchte den Grund meiner Scheu vor dem Besuch in Ulmenstein in dieser natürlichen Abneigung gegen unpassende Künsteleien. Wir saßen auch schon eine Weile bei Tisch, ehe ich mich besinnen konnte, und bewußt ward, was mich eigentlich auf unbegreifliche Weise beklemme. Zufällig begegnete ich Emma's Blicken, welche mit einem sonderbaren Ausdruck von Befremden, bald auf Hugo, bald auf Ihrer Freundin, der soviel besprochenen, schönen Präsidentin ruhten.[290] Schneller wie der Blitz stand das Gespenst vor mir, dessen dunkle Nähe mich geängstigt hatte. Sie war es, diese pomphaft angekündigte, gepriesene Dame der Gedanken des Oheims, und nur zu wahrscheinlich auch der des Neffen. Dieser hatte seinen Platz weit von ihr, auf derselben Seite der Tafel genommen, wo ich mich befand, sie saß mir gegenüber. Beide hatten noch nicht ein Wort mit einander gewechselt. Emma hingegen überhäufte sie mit Herzlichkeit. Was bedeutete das Alles? Was sollten die langen, fragenden Blicke jetzt entdecken?

Ich faßte, von da, den verdächtigen Gegenstand schärfer ins Auge. Die Frau ist schön, und fast bis zum Unscheinbaren einfach. Sie hatte den Comthur an ihrer Seite. Er unterhielt sie mit großer Lebhaftigkeit, ohne gleichwohl ihre Aufmerksamkeit fesseln zu können. Sie schien zerstreut, und wie mir es vorkam, in einer nachdenkenden, bekümmerten Stimmung. Hugo, der alle Schleusen seines witzigen Humors öffnete, hatte sich in Kurzem der Unterhaltung bemächtigt. Er beherrschte, wie es ihm wohl zuweilen glückt, die ganze Gesellschaft, und ließ sie nach Gefallen lachen und sich verwundern. Elise sah ein paarmal mit großem Ernst nach ihm hin. Der Ausdruck[291] ihres Gesichts trug die Spuren schmerzlicher Ungewißheit.

Ich ward immer gespannter. Das Herz klopfte mir laut in der Brust. Mein Gesicht verräth augenblicklich, was in mir vorgeht. Emma hatte schon alles darauf gelesen, ich sah es ihr an, auch bemühte sie sich, mich anderweitig zu beschäftigen. Ein junger Baron Wildenau dünkte ihr werth, von mir beachtet zu wer den. Sie verflocht uns in ein Gespräch, wozu meine Rückkehr aus Italien und seine früheren Reisen dahin, natürlich Veranlassung gaben. Ohne unhöflich zu sein, konnte ich mich dem nicht entziehen. Der junge Mensch hat überdem so was Ungewöhnliches, das interessirt. Sein dunkles Gesicht zeichnet sich durch Regelmäßigkeit der Züge, und lange, schwarze Augenwimpern aus, die wie ein Schleier das ernste Gesicht beschatten, und zu der stummen Zurückgezogenheit seines Wesens passen. Er spricht leise, bis zur Undeutlichkeit, so daß ich mich ganz zu ihm wenden und anstrengend hinhören mußte, wollte ich nichts von dem verlieren, was er Gutes und Gescheutes sagte. Hierzu kam, daß die Gräfin auf jedes seiner Worte lauschte, sie mit Exklamationen der Bewunderung begleitete, und öfters ihre anderswo[292] beschäftigten Töchter zu gleicher Theilnahme aufrief, weshalb denn der bescheidene junge Mann meist den Blick senkte, und mehr allgemeinhin, als zu mir redete, was der Conversation etwas Drückendes gab. Hierüber hatte ich das, was mir eigentlich viel näher lag, aus den Augen verloren.

Die Tafel ward aufgehoben. Man zerstreute sich in den Nebenzimmern. Die Gräfin hielt mich bald beim Fortepiano fest. Ich sollte ihre Töchter singen hören. Der Baron Wildenau, im ganzen Hause auf vertraute Weise, Leontin genannt, mußte diese begleiten. Er hat Kraft und Weichheit der Stimme, einen italienischen Vortrag, Sinn und Gefühl, so daß ich bei meiner unbegränzten Liebe für Musik unwillkührlich gefesselt ward. Die Gräfin schwelgte in meinem Beifall. Leontin soll ein Stückchen Erbschaft, das ihr entgangen, auf ihr Haus übertragen, deshalb projectirt sie eine Heirath zwischen ihm und einer ihrer Töchter. So lange er nicht Nein sagt, nimmt sie das Ja als entschieden an, und fühlt sich in ihm geschmeichelt. Wie immer, überbot sie sich auch heute im Eifer. Das Singen nahm kein Ende. Zuletzt dachte sie auch an das Talent Anderer. Emma und Elise wurden aufgerufen. Die Letztere fehlte in dem Kreise, der sich nach und nach um das Instrument[293] gebildet hatte. Emma sprang mit einer Eile auf, sie zu suchen, die ich an ihr sonst nicht kenne. Verwundert folgte ich ihr mit den Augen. Sie schlüpfte in eine Fenstervertiefung des nächsten Zimmers. Hugo trat eben aus dieser heraus. Einige Minuten darauf folgten die beiden Frauen. Die Gräfin warf einen Blick des Einverständnisses auf ihre Töchter, alle drei lächelten verstohlen, sie umringten darauf Elise, zogen sie zum Clavier, und hießen sie Emma und Hugo accompagniren. Mechanisch that jene, was man wollte. Sie war weder verlegen, noch bemüht, sich zu verbergen. Ganz mit sich und was in ihr vorging beschäftigt, ließ sie die Finger Töne anschlagen, das Auge Noten lesen, und andere daraus machen, was sie wollten. Emma stand indeß mit Fieberröthe auf den Wangen, hinter ihrem Stuhl; Hugo etwas weiter vor, mehr mit den umzuschlagenden Blättern als dem Gesange beschäftigt, hatte eines der komischen italienischen Duos aufgesucht, das er zu allgemeinem Ergötzen auf das Lustigste vortrug, worin ihn Emma mit einer Selbstverleugnung und Gewandtheit begleitete, die mich einen Augenblick zweifelhaft ließ, was ich hier am meisten bewundern sollte. Von allen Seiten ergossen sich Lobsprüche und[294] schmeichelhafte Ausrufungen. Der Graf verzog den Mund zu einem satyrischen Lächeln, trat dann, wie Jemand, der sein Kunststück gemacht hat und abgefertigt ist, von dem Instrument zurück. Leontin hatte nicht aufgesehen. Es lag etwas in seiner Miene, zu dem ich wohl den Schlüssel haben möchte.

Von jetzt an war es um meine Ruhe gethan. Alle Kunst der Gräfin reichte nicht hin, die Verstimmung, welche immer ansteckender um sich griff, wieder zu entfernen. In den Veilchenaugen der Präsidentin standen Thränen. Sie blieb befangen, ich fand sie weder so anziehend noch so ungewöhnlich, als sie mir geschildert ist. Ich sagte das der Gräfin, als diese mich um mein Urtheil über sie befragte.

»Sie haben recht,« entgegnete sie, »es ist aber auch eine Veränderung mit der Frau vorgegangen, von der man keine Vorstellung hat. Ich glaube,« setzte sie vertraulich hinzu, »es sind häusliche Unannehmlichkeiten, die jetzt manchen Sturm veranlassen. Der Präsident hat ein Bischen den Herrn gespielt, und der Fahrlosigkeit mit dem einzigen Kinde, einem bildschönen, aber unleidlich verzogenen Knaben, ein Ziel gesetzt. Ein strenger Aufseher für Mama und Sohn[295] ist angekommen, und irre ich nicht, so lockt dieser die Thränen aus den schönen Augen.«

»Ach!« entgegnete ich gelangweilt, »es sind nicht die Domesticalien einer fremden Familie, die meine Wißbegier reizen, ich verweile einzig bei dem, was ich sah, darüber darf ich reden, das Uebrige interessirt mich wenig.« »Nun,« versetzte die Gräfin, den Stich verschmerzend, »ich möchte wohl wetten, sie betrachten die Person nicht so angelegentlich um der bloßen Persönlichkeit willen, man denkt immer noch was hinzu, und bei dieser fällt einem Mancherlei ein.«

Sie begleitete das Letzte wieder mit ihrem gewöhnlichen Lächeln. Ich war nur zu gewiß, sie verstanden zu haben.

Elise hatte sich indeß entfernt. Sie eilte nach der Stadt zurück. Auch wir brachen nun auf. Hugo war zu Pferde. Ich sah ihn den Abend nicht mehr. Er blieb auf seinem Zimmer, doch erfuhr ich, daß er mit uns zugleich im Schlosse angekommen war. Es ist Bewußtsein und Ueberlegung in dem Allen, und das ist ein gefährliches Zeichen.

Die Nacht ließ mich schlaflos in meinem Armsessel. Sie wissen, ich scheue bei der leisesten Bewegung der Seele das Bett, wie eine Marterbank.[296] In den Falten der Vorhänge, in den Decken lauern all die hüpfenden, beweglichen Gedanken, die immer dichter, immer näher gegen mich anrücken, und mich zuletzt ganz toll und verwirrt machen, bis ich aufspringe, und ein Lager fliehe, das eingebildete und wirkliche Sorgen mit brennenden Nesseln bestreuen.

Unzähligemale rief ich mir zurück, was ich heute gesehen und gehört hatte. Ich bemühte mich, es ruhig zu betrachten. Es konnte sein, daß ich auf ohngefähre Andeutungen zuviel gegeben, daß ich Zufälliges in falschen Zusammenhang gebracht hatte, es konnte aber auch anders sein. Und was denn? Sagen Sie doch, Sophie! was denn? Ich gestehe Ihnen, es öffnet sich dabei ein Abgrund vor meinen Füßen. Vielleicht deshalb, vielleicht auch, weil mein Gefühl, mein Stolz, meine ganze Natur widerstrebt, das Demüthigendste, was es giebt, zu denken, denke ich es noch nicht deutlich. Aber, aber! wenn –!

Es ward mir aus Manchem klar, daß ich meinen Verdacht hier sorgfältig verbergen, und eben so unbefangen scheinen müsse, als man es um mich her zu sein bemüht ist. Denn ein Wort, ein einziges Wort reicht hin, das ganze Gebäude künstlicher Harmonie zusammen zu stürzen. Und[297] wenn mein Argwohn grundlos wäre, Sophie! – Im Stillen arbeiten will ich indeß, einen möglichen Ausweg zu bahnen. Ich habe an den Fürsten geschrieben. Selbst mochte ich ihn nicht in seiner Residenz aufsuchen. Ich werde keinen Schritt thun, der in die Augen fallen könnte. Man giebt mir ja in diesem Hause das beste Beispiel rücksichtsvoller Besonnenheit, denn das wenigstens ist gewiß, daß Hugo seine ganze Lebensweise, seit ich hier bin, verändert hat. Denken Sie doch nur, nicht ein einzigesmal hat er das Schloß in dieser ganzen Zeit verlassen. Wie kommt er zu dieser Stätigkeit, wenn er mich nicht irre zu machen gedächte?

Wüßte ich nur, was er die Nächte über treibt. Seine Zimmer sind unter den meinigen. Ich höre ihn stundenlang gehen, die Fenster öffnen und schließen, zuweilen sprechen. Mit wem spricht er? Irre ich nicht, so sah ich ihn neulich über die Brücke dem Walde zuschreiten. O die geheimen Wege haben nur ein dunkles Ziel.


Mehrere Tage darauf.


Der Fürst war hier. Er ging sehr geschickt in das ein, was ich ihm nur andeuten konnte. Eine Jagd in den hiesigen Forsten mußte ihm zum Vorwande seines Besuches dienen. So kam[298] er denn Allen unerwartet, außer mir. Haben Sie eine Vorstellung meines Schreckens? Er weiß, er weiß mehr, als ich zu ahnden wagte. Ja, ja, Sophie! Ihre Freundin steht entlarvt vor der Welt. Jedes Kind kennt ihr Verhältniß zu Hugo. Man lacht darüber, wie man immer den pfiffigen Betrug als einen Gegenstand der Kurzweil betrachtet. Alles in mir glüht! ich habe die witzigen Ausfälle des Fürsten bestritten, weil ich das Ridicul wohl fühle, das auf mich und Emma dadurch fällt. Aber fort muß Hugo von hier! Und wäre es auch nur des Anstandes wegen. Der Fürst sieht das ein. Der Schlag wird nächstens geschehen. Unvorbereitet soll er Alle treffen. Den Comthur denke ich indeß zu schonen. Ich bin begierig auf die Unterredung mit ihm.

Daß ich krank bin, daß ich Zimmer und Bett hüte, denken Sie wohl von selbst. Doch sterben, sterben werde ich jetzt nicht, das darf nicht sein. Tavanelli, der junge Caplan, von dem ich Ihnen einmal schrieb, ist hier, ist im Hause der berühmten Circe. Emma ist seine Beschützerin. Wünschen Sie mir Glück zu dem Funde. Ich will ihn nicht ungenutzt lassen.

Leben Sie wohl. Mein Gott! wie wird das enden![299]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 281-300.
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