Hugo an Elise

[270] Sie schelten mich. Sie sind unzufrieden mit mir. Hier lobt man mich. Emma's Auge strahlt[270] vor Freude, sie sieht mit einer Art Triumph von mir zu ihrer Mutter hin.

Wer von Beiden kennt mich nun am besten?

O lassen Sie diese Frage unbeantwortet! Es hängen an der einen, unzählige andere, die, einmal ausgesprochen, Herz und Seele mit herausreißen, dem Leben ein Ende machen, oder es anders gestalten müßten!

Ich komme nicht zu Ihnen, Elise. Auch nicht auf Ihr dringendes Gebot. Urtheilen Sie darnach, wie unmöglich es mir sein muß. Unmöglich! ja ja! Belachen Sie den Ausdruck nicht. Ich spreche nicht in Räthseln. Noch ein einziger, kurzer Schritt, und die Fluth treibt mich, wohin ich nicht will, wohin kein Auge reicht, was kein Maaß, keine Gränze kennt. Elise, hörten Sie nie – Gott nein! – Der bodenlose Abgrund verworrener Begriffe liegt tief, tief unter der Region, in der Sie athmen. Genug, ich komme nicht. Ich schreibe Ihnen. Endlich ist Ruhe um mich. Sie schlafen, die mich müde hetzten, und mir nicht einmal den Schlaf lassen können. Sie haben ihn mir schon lange, lange geraubt!

Es ist tiefe Nacht. Sind wir endlich allein, Ganz allein, Elise? dunkle Schatten liegen, wie[271] Wächter, um die Freistatt der Gedanken. Sind wir auch hier der Welt und ihren Gesetzen verfallen? Giebt es keine Ewigkeit in der Zeit, und kann die Sehnsucht niemals, niemals den Kerker sprengen, der Geister von Geistern trennt? Wie ertragen wir denn den Tod unserer Lieben? was schleichen wir zu ihren Gräbern und rufen Bilder der Vergangenheit in die Gegenwart zurück? Ist das stille Hinübergleiten von einer Welt in die andere nichts, als ein suptileres Phantom der Einbildungskraft? Stoßen wir überall, auch in uns nur auf Täuschungen, die den Drang des Innern mit Phantasmen hinhalten, wie Kinder in einer gespielten, die erwartete Welt vorausleben?

Sei es, ich träume denn also, und sehe Sie, und rede mit Ihnen im Traum.

Was aber darf ich Ihnen sagen?

Die Nacht verwirrt mich. Ich will den Morgen abwarten, der Brief soll unvollendet bleiben.

Er wird kein Ende finden! Wo soll ich aufhören? Vielleicht hätte ich besser gethan, niemals anzufangen. Jetzt! – Ja so, Sie wollten wissen, was ich von dem Caplan halte? Mein Gott! lassen Sie den guten Mann nur immer machen. Weder dieser noch ein anderer, ich versichere Sie,[272] erzieht den Menschen. Das sind alles handwerksmäßige Uebungen. Lehrjahre hat ein Jeder. Das muß sein. Der Künstler wird geboren. Das Genie giebt und nimmt sich nicht. Und was das Wecken und Ersticken desselben betrifft, so halte ich von dem nicht viel, das nicht stärker wäre, als ein mechanisches Band. – Der Widerspruch lehrt zuerst sprechen, und zugleich denken. Gleichviel, was augenblicklich für Resultate daraus entstehen! Man muß dabei nicht allzupeinlich verweilen. Ein wenig Trotz hebt Kopf und Nacken in die Höhe. Der Blick lernt dieselbe Richtung finden. Zuletzt fällt dann das eigene Maaß kurz genug aus, wenn man es vergleichend an Ideale legt. Man lernt Andere dulden, weil man sich Vieles verzeihen muß. Sie kennen ja meine Theorie über die einzigen Ausgleichungsmittel im Leben. Güte und wohlwollende Achtung für die Freiheit Anderer. Ich büße lieber von der meinigen ein, als jene zu beschränken. Machen Sie es auch so. In der Regel kann man, bis zu einem gewissen Punkt, über Vieles lachen und es gut sein lassen.

Ich lache jetzt oft, und deshalb auch letzthin bei unsrer lauernden Nachbarin. Danken Sie mir das, Elise. Hätte ich dem Ernst sein Recht eingeräumt,[273] jener gewisse Punkt wäre vielleicht nicht unberührt geblieben, und dann wäre mehr, als die losen Schlingen des Scherzes zerrissen worden.

Hüten Sie sich, schöne, arglose Seele, aus der Region heiterer Unbewußtheit herauszutreten. Noch bewache ich die Gränzen. Drängen Sie mich nicht von meiner Stelle. Ich bitte Sie, fragen Sie nicht zuviel. Ich habe schon mehr erfahren, als gut ist; die Binde ist mir von den Augen genommen, und kein Gott kann den Traum seliger Blindheit wieder herstellen.

So weit hatte ich geschrieben. Ich wollte Ihnen das Blatt mit dem Frühesten schicken. Die Gelegenheit mit dem Marktschiffe dünkte mir zu langsam. Einen Augenblick hatte ich den Gedanken, selbst nach der Stadt zu reiten und den Brief in Ihrem Hause abzugeben. Ich ließ auch wirklich mein Pferd vorführen, warf mich darauf und sprengte davon. Doch war ich noch nicht weit gekommen, als ein mir nacheilender Reitknecht ein Billet von Emma überbrachte, in welchem sie mir anzeigt, daß, gleich nachdem ich die Burg verlassen, ein fürstlicher Jäger mit der Meldung dort eingetroffen sei, der Fürst hege den Wunsch, in den umliegenden Forsten zu jagen, und sage[274] sich zu dem Ende, zu einem Frühstücke auf dem Schlosse an.

Mir blieb natürlich nichts anders übrig, als umzukehren und die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen.

Sehen Sie, Elise! Fesseln, die den Menschen zum Sclaven gemacht haben, ehe er es noch einmal recht weiß, werden immer durch unabwendbare Verhältnisse geschmiedet. Was diese entstehen läßt? was sie durch einander bedingt? das liegt außerhalb menschlicher Berechnung. Es hat sich eins auf ungefähre Weise gebildet, und der Ring ist sogleich geschlossen, der unsere Freiheit umspannt!

Die Jagd ist nichts als ein Vorwand. Der Fürst sucht die Oberhofmeisterin hier auf, weil es nicht das Ansehen persönlicher Beziehung zu ihm haben soll. Und doch existirt diese Beziehung. Sie hat etwas vor. Sie nimmt den Einfluß des längst gekannten Freundes in Anspruch. Mit mir will sie etwas. Ich sehe sie von Weitem kommen! Schon lange dreht sie das Seil. Jetzt hofft sie, die Schlinge zu schürzen!

Von hier fort, in Thätigkeit will sie mich wissen? deshalb die vertrauliche Annäherung des Fürsten, das zwanglose ländliche Beisammensein![275] Der Weg soll gefunden werden, der geradezu auf meine Eitelkeit losgeht. In das eigene Netz will man mich verwickeln. Sie hat sich verrechnet. Der Springer im Schachspiel durchkreuzt wohl auch einmal den Gang der Königin. Ich weiß das! ich fühle mich! und dennoch, wenn es zu einer offnen Erklärung käme – wenn ich reden müßte – was würde da Alles laut werden? wohin kann ein Wort das andere führen!

Und Sie werfen mir vor, den Weltmann in der Stadt, den Schloßherrn auf der Burg zu spielen. Ahnden Sie denn gar nicht, was mein Spiel verdeckt und abwehrt? – – – –

Ein Tag voll unruhigen Umhertreibens, voll lästiger Geschäftigkeit ist nun vorüber! Es ist wieder Nacht, die Stunden laufen ab, die Zeit wechselt, das Leben rückt nicht vor, ich stehe auf dem alten Fleck. Entsetzliches Bewußtsein! Es jagt mir das Blut mit Höllenangst durch die Adern! Wie das noch werden soll! Der Fürst maß mich heute ein Paarmal mit seinem seitwärts fallenden Blick, der, bei aller Flüchtigkeit doch auf Kundschaft ausging. Welche Spur hat man ihm nur gegeben, daß er so zuversichtlich darauf fortgeht? Im Uebrigen that er ganz unbefangen,[276] war gesprächig, und ganz auf der Jagd. Er ist ein gewandter Schütze. Ich äußerte das mit bescheidenem Lobe. Er lächelte. »Ja,« sagte er darauf, »es war immer mein Lieblingsvergnügen, deshalb erlaube ich mir es nur selten. Es kann leicht zur Leidenschaft werden; und vor nichts hege ich mehr Furcht, als vor einer solchen Haustyrannin, die man am eignen Heerde groß zieht!«

Er schwieg, allein hier eben war es, wo sein Blick mich suchte. Ich that, als bemerke ich es nicht, indem ich den Gegenstand fallen ließ, und nur neue Veranlassung suchte, der eingestandenen Neigung Vorschub zu leihen. Er ging einen Augenblick in meinen erweiterten Jagdplan ein, doch bald nachher bemerkte er, das führe zu weit. Man dürfe nicht so allein an sich denken. Oben auf der Burg erwarteten uns die Damen und der würdige Comthur, wir seien ihnen Rücksichten schuldig, er wolle nicht das Ansehen haben, solche gering zu achten. Elise, ich biß mir in die Lippen, so lächerlich war mir der fürstliche Sittenprediger, den man bis unter Gottes freien Himmel an mich abgeschickt hatte.

Es mochte indeß hingehen. Wir fuhren nach Hause. Unterwegs lobte er den Wald, die Gegend, fragte nach dem neuen Bau drüben auf[277] Wehrheim, drang deshalb in mich, wollte Alles wissen, und schloß dann unter lautem Lachen mit der Bemerkung, daß ich schlecht bei mir selbst zu Hause sei. Ich fühlte den Stich, verschmerzte ihn aber, da er nichts Wesentliches in mir verletzte. So lachte ich mit ihm, vielleicht mehr von Herzen, als er. Nach und nach rückte er denn heran, sprach von umfassender Thätigkeit, öffentlichem Leben, dem Interesse an Staatsverhältnissen, nannte das große Lügennetz: die Politik, das eigentliche Gewebe des Scharfsinns, und meinte, der schlaue Jäger finde hier erst ein geräumiges Feld, sein Wild aufs Korn zu nehmen.

Jetzt wußte ich, wo man hinaus wollte. Zum Glück hielten wir bereits an der Schloßtreppe. Meine Antwort blieb ich ihm schuldig. Er wird sie mir schon noch abfordern. Doch sei es wann und wo es wolle, die Wahrheit soll er gewiß hören.

Gott behüte mich vor neuen Ketten! Als wenn ich nicht schon an den jetzigen schwer genug zu tragen hätte. Meine Schwiegermutter ist seitdem von der besten Laune. Sie geht in Jedes ein, was ich sage, giebt mir Recht, theilt ganz meine Ansichten. Was hat das anders zu bedeuten, als daß mein Urtheil gesprochen ist, und sie dem[278] harten Ausspruch einen milden, bestechlichen Klang einhauchen möchte. Elise! geben Sie Acht, das ist der Stein, an dem Vieles zerschellen wird!

Ich breche kurz ab. Es hat sich ein Bote gezeigt, der das Schreiben noch vor Ihrem Erwachen zur Stadt trägt. Ich lag im Fenster. Es dämmerte kaum. Da hörte ich schon von ferne die weit ausgreifenden, taktmäßigen Tritte eines geübten Fußgängers. Nicht lange, so ging Jemand dicht an dem Hause entlang. Ich beugte mich vor. »Walter!« rief ich halblaut. Die große, gebückte Gestalt für diesen haltend. »Ja!« antwortete der Wandrer, »was giebts?« »Seid Ihr's, Walter?« fragte ich noch einmal. Dieser nickte mit dem Kopfe, ohne etwas zu erwiedern.

»Was habt Ihr denn Eiliges hier zu thun?« lachte ich, ohne mir etwas dabei zu denken. »Hier schläft noch Alles, Handel und Wandel wird um diese Stunde nicht getrieben.« »Ist auch nicht meine Absicht,« entgegnete der Hausirer. »Ich gebe nur gelegentlich einen Brief an die Frau Gräfin ab. Ich komme drüben von der Tannenhäuserin, und gehe hinunter nach Wehrheim, um von dort mit dem Marktschiffe nach der Stadt zu gelangen. Das Schreiben ist von dem Herrn Caplan, er hat es, ich weiß nicht wie,[279] unsrer Wirthin zur weitern Beförderung zustellen lassen.«

Walter hatte sich während dem auf einen Stein gesetzt. Ich hieß ihn da warten, bis ich hinunter kommen würde. Ich habe nun diese Zeilen niedergeschrieben, ich füge nichts hinzu; aber – wie ein Zug dunkler Nachtvögel, schwirren widerwärtige, verworrene Vermuthungen an mir vorüber. Emma! – der Caplan! – Der geheimnißvolle Weg ihrer Mittheilung! – O die Geistlichen sind so verschlagen, und die Tauben so zahm! so zum Abrichten gemacht!

Ich verlasse Sie in einer sonderbaren Stimmung. Nein, Elise! nein, ich verlasse Sie nicht, niemals, ich bin Ihr Freund, mehr als jemals! Ich begleite Sie wie Ihr Schatten. Sein Sie ruhig, ich bitte Sie! Es ist nichts! Ich bin bei Ihnen, verlassen Sie sich darauf.

Ich eile zu Walter hinunter. Ich werde ihm den Brief vom Caplan abnehmen, ich will ihn Emma selbst geben! Sie ist wahr, sie kann – doch leben Sie wohl! Leben Sie wohl, Elise![280]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 270-281.
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