Die Oberhofmeisterin an Sophie!

[341] Was ich wollte, ist geschehen. Schlag auf Schlag ist gefallen, und Alles steht wie es stand! Ich bin erschöpft. Eine höhere Hand muß hier Ordnung machen. Mein Einfluß ist zu Ende!

Und wie sie sich betrügen, wie Einer den Andern, wie jeder sich selbst täuscht!

Wenn die Leute erst von der Welt in ihrer Brust, dem Schwunge und dem Umfange ihrer Empfindungen faseln, dann bin ich gleich fertig. Das ist freilich eine fremde Region! Da untersteht sich kein vernünftiger Mensch mit spatzieren zu gehen.

Emma ist so gut in die Höhe geschraubt, wie Alles, was den bahnlosen Schwärmern anhängt. Ich höre ihr oft mit Staunen zu, mit[341] welcher ehrlichen Miene sie uns die unsinnigsten Lügen auftischt.

Freundschaft! Freundschaft! das ist hier das dritte Wort, und Keiner, wette ich, weiß, was das Wort in sich faßt.

Die heitre, klare, unbegehrliche, immer empfängliche, immer thätige Gemeinschaft der Seele, gleicht diesem hypochondrischen Versinken, der eifersüchtigen Scheu, dem schwärmerischen Selbstbespiegeln, wie Sonnenschein und Gewitterluft.

Sie haben sich verständigt, heißt es, sie sind ruhig! Aber das ist eine Ruhe, die an künstliche Einschläfrungsmittel erinnert, und nicht eine Spur von lebendiger Wahrheit in sich trägt.

Die Spannung war auf das Höchste gestiegen. Der Knoten zog sich immer enger zusammen. Lange konnte die Absichtlichkeit, durch die man mich, durch die man sich selbst zu täuschen bemüht war, nicht mehr dauern. Da machte ein Antrag des Fürsten, indem er Hugo zum Gesandten an unsern Hof ernannte, dem Spiel ein Ende. Unverstellt brach jetzt die Leidenschaft hervor.

Stolz und wegwerfend bezeigte Hugo seine Verwunderung über die lächerliche Wahl, forderte Emma, forderte mich durch unerträgliche Sarcasmen heraus, riß mich zu offner Erklärung hin,[342] schlug ziemlich trocken das Anerbieten aus, und bewaffnete dadurch Hof und Stadt gegen sich und Ihre Freundin. Die Letztere mußte dies am Geburtstage der Fürstin Mutter erfahren. Die strenge Frau empfing sie bei der Morgencour mit beleidigender Verwunderung, indem sie sagte: Sie habe erwartet, es werde sich ihr an diesem Tage kein trübes Gesicht nahen wollen, und ein heiteres dürften ihr die nicht zeigen, über welche soviel schmerzliche Thränen flößen. Sie wandte sich bei diesen Worten ab, indem sie sich gegen eine nahe stehende Dame laut äußerte: »Man hört nichts als beunruhigende Neuigkeiten von dem Schlosse des Baron, dem alten Comthur. Das hat der Mann davon, einen Undankbaren zu sich heraufzuziehen!«

Der Auftritt machte unglaubliches Aufsehen. Der Fürst litt in der Seele des Präsidenten. Es that ihm auch um des äußern Anstandes willen leid. Er wollte es wieder gut machen. Er näherte sich Elise. Seine Mutter rief ihn in diesem Augenblicke zu sich. Sie sprach lebhaft mit ihm. Kurz darauf entließ sie die Versammlung. Die Schwergekränkte hielt standhaft aus. Ihre stille und gesammelte Haltung imponirte für den Augenblick Allen. Sie blieb, und war die Letzte in den[343] fürstlichen Sälen. Dann entfernte sie sich langsam, am Arme ihres Mannes, mit dem man sie gelassen, scheinbar gleichgültig sprechen sah. Doch diese glückliche Gegenwart des Geistes hinderte nicht, daß der Stab über sie gebrochen, und sie gezwungen ward, unter einem schicklichen Vorwand die Stadt zu verlassen.

Sie kennen mich zu gut, um nur einen Augenblick glauben zu wollen, daß ich mich an der Kränkung der Unglücklichen weidete. Einmal, bin ich nichts weniger als boshaft! und wäre ichs auch, so müßte ich doch dies Verletzen aller äußern Sitte schon darum tadeln, weil es unpolitisch ist, die Meinung theilt, das Mitleid in Anspruch nimmt, und denen, welche im Recht sind, das Ansehen des Unrechts giebt. Emma fühlt dies wie ich. Sie verdoppelt ihren Eifer, Elise mit jedem Tage zu verbinden. Die Intimität beider Häuser ist völlig hergestellt. Der Präsident sieht darin eine Art Ehrenerklärung für seine Frau, wie es überhaupt das Ansehen hat, den ganzen Vorfall bei Hofe den Faseleien einer kindisch gewordenen alten Dame zuzuschreiben, wodurch wir, als glückliche Ausbeute bei dem ganzen Handel, die Genugthuung genießen, die[344] gefährliche Feindin unserer Ruhe recht oft hier zu sehen.

So weit sind wir nun! – Das sind die Resultate meines Hierseins! O Sie haben recht, ganz bestimmt recht! zum Laufen hilft nicht schnell sein. Am allerwenigsten bringt man eine Sache ins Klare, wenn man darin rührt. Ich habe auch meine Hände zurückgezogen. Ich sehe zu. Aber Sophie, ich sehe, ich sehe! Sein Sie gewiß, mir entgeht nichts. Es wird schon der Tag kommen, wo ich werde hervortreten und sagen können: »Das war es! wißt Ihrs nun?«


Einige Tage später.


Das fehlte noch! Emma ist krank! nicht bedeutend, nicht gefährlich, aber immer genug, um mich unsäglich zu beunruhigen.

Dahin mußte es kommen? wenn ihr Zustand schlimmer würde? wenn – wenn – Gott! mein Gott! laß mich deine Hand nicht schwerer fühlen, als ich tragen kann! Sie werden wieder denken, ich übertreibe, ich sehe mit leidenschaftlichem Blick, Emma habe vielleicht nur flüchtig geklagt. – Nein, nein! Sie hat gar nicht geklagt! Das ist es ja eben. Wüßte sie zu sagen, was ihr fehlte, man könnte helfen. Aber so![345] Der Arzt meint, ein wenig Ruhe stelle das Gleichgewicht wohl wieder her. Ruhe! – Ein armes, kleines, leicht über die Lippen gleitendes Wörtchen, und welche Tiefe und Höhe himmlischer und irdischer Bedingungen faßt es zugleich in sich!

Wer ist ruhig in dieser Welt des Unbestandes? Wer darf sagen, er sei es, wenn er nur irgend etwas auf Erden liebt? Emma, und ruhig sein! Wenn sie da liegt, nicht fort kann, nicht fragen, an nichts außer sich Theil nehmen darf, und er sich im Kahne schaukelt, Wasserhühner schießt, die Wolken ziehen, und den Abendstern über dem Hause des Präsidenten aufgehen sieht, hinüber rudert, zwischen Schilf und Calmus im Versteck liegt, und die schlaue Circe belauscht, die niemals ohne den Knaben und Tavanelli erscheint, aus dem sie auch einen Esel, oder noch ein ärgeres Thier gemacht hat. Nun, Gott sei dem Verstande der Menschen hier gnädig! Ich fürchte, auch den meinigen zu verlieren. Wüßten Sie, Sophie, was ich jetzt weiß! Wie es hätte anders kommen können! wie glücklich Emma, wie zufrieden ich jetzt wäre, wenn der unselige Badeaufenthalt uns Hugo nicht zu geführt hätte! –

Dieser Leontin, von dem ich Ihnen schon[346] einmal schrieb, der ernste, bescheidene, entschlossene junge Mann, er liebt, ich zweifle nicht einen Augenblick länger, er liebt meine Tochter. Eine Mutter ist hierüber selten im Irrthum, und er ist zu arglos, zu rein, um außer sich selbst noch irgend Jemand zu täuschen. Wie anders bewacht er indeß sein Gefühl, als Hugo! Nur selten erlaubt er sich den Zutritt in diesem Hause, und reitet er auch fast täglich hier vorüber, so lenkt er doch stets nach Ulmenstein hin, als folge er nur einem verwandtlichen Zuge. Die Meisten nehmen es auch so, doch ich errieth ihn, und er fühlte es!

Gestern war es, da kam er in großer Unruhe herauf zu mir. Er hatte von Emma's Unwohlsein gehört. Blaß, erschüttert vom raschen Ritt, die feinen Lippen kaum zu einer bangen Frage geöffnet, stammelte er, mit abwärtsgewandtem Blicke, erzwungen gleichgültig: »Hoffentlich doch Alles unbedeutend? – nichts als ein vorübergehendes Uebel – so hörte ich wenigstens,« setzte er leiser, fast unverständlich hinzu. Ich beruhigte ihn, doch ergriff mich der bloße Gedanke an die Möglichkeit einer Gefahr so unwiderstehlich, daß ich mit den Worten: »Es wäre ja auch zu schrecklich!« in meinen Sessel zurücksank,[347] das Tuch vor die Augen drückte und in Thränen zerfloß.

Er blieb mir gegenüber lautlos stehen. Ein gewisses Wiegen seiner schlanken Gestalt, der zurückgezogene, furchtsame, auf mich geheftete Blick sagte mir, als ich wieder zu ihm aufsehen konnte, daß er meine kummervolle Bewegung in schmerzlicher Angst begleitete. Er äußerte kein Wort weiter, allein er blieb so leise, so weich, so innerlich; sein ganzes Betragen gegen mich trug das Gepräge eines wehmüthigen Geheimnisses. Ich ergriff seine Hand mit Herzlichkeit, als könne ich ihm sein Mitgefühl nicht genug danken. Er schien überrascht. Es flog wie ein Strahl über seine Stirne, die Lippen zuckten, allein, dabei blieb es. Er ließ meine Hand an der seinen abgleiten, er sagte nichts, er schien sehr betroffen, eine Thräne, eine einzige, rollte langsam über sein marmorbleiches Gesicht. – O Gott! er hätte Emma anders zu würdigen gewußt!

Ich darf das nicht denken. Ich mag es auch nicht denken! Und doch! Der Mensch hat mir einen sonderbaren Eindruck zurückgelassen. Wie er nun, nach einer fast stummen halben Stunde, zögernd ging, und noch im Hofe eine Weile an[348] dem Steinbrunnen in sich gekehrt stand, dann sein Pferd am Zügel führend, in seinen weißen Mantel gehüllt, so groß und schlank, und wie fast alle Hochgewachsene, etwas gebeugt, den Bergpfad entlang ging, erinnerte er mich an Bilder pilgernder Kreuzritter. Die Mühen des Lebens lasteten auf dieser Gestalt, aber der Blick kannte das Ziel, und der Fuß ging den Weg mit festem Tritt.

Schlafen Sie wohl, Sophie! Ich bin von ganzer Seele betrübt, was soll ich Ihnen sonst noch sagen? –

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 341-349.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Resignation
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation: Werke und Schriften 5

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon