Elise an Hugo

[329] Nein, ich wanke nicht, verlassen Sie sich darauf. Ich kann Vieles aufgeben, nur mich selbst nicht. Was einmal Wurzel in meiner Seele schlug, das verwächst mit ihr, und ist ewig wie sie! Ich habe keinen Begriff von einer Freundschaft, die den Umständen weicht.

Was ist, das ist! Die Welt kann davon nichts ab, nichts hinzu thun. Diese freilich wird jetzt eine andere für uns.

Wie dem Erdbeben die Bewegung lebloser Körper vorangeht, so höre ich um mich jenes dumpfe Dröhnen, das innere Zittern und Anklingen, was mit heimlicher Geschäftigkeit auf Zusammenbrechen der Form hinarbeitet.

Es ist sehr unheimlich in meiner Welt geworden, Hugo! Sehr unheimlich!

Ich fasse es oft nicht, wie der heitre, frische Lebensbach mit seinen hüpfenden, leicht bewegten Wellchen plötzlich solch dunkler Strom werden konnte.

Und dabei ist nichts geschehen. – Kein Umsturz der Verhältnisse, keine Erschütterung des Daseins hat an dem Bestehenden gerüttelt.

Alles blieb, wie es war. Nur das Leben![329] das Leben, ist auf unbegreifliche Weise anders geworden.

Sagen Sie mir, haben Sie den Schlüssel zum Geheimniß? Bin ich denn ganz verblendet gewesen? Bin ich es noch, daß ich nicht sehen kann, was Andern so großes Aergerniß giebt? Mein Gott! liegt denn die Idee innerer Harmonie so tief, daß sie die Leute nicht finden können? Müssen sie ihre kleinen, geselligen Bedingungen dem unterlegen, was in sich bedingungslos ist?

Wäre ich eine phantastisch Ueberbildete, ich könnte glauben, von künstlichen Netzen umsponnen zu sein. Aber, meine ganze Natur ist dem fremd. Ich athme nur frei, wo ich Wahrheit finde. Und gäbe es eine andere Wahrheit für mich, wie für diejenigen, welche mich richten?

Man beschuldigt mich, einen Raub an Emma begangen, Sie dieser entrissen zu haben. Es fehlt nicht viel, so wirft man mich mit allen müßigen Thörinnen in eine Klasse, und macht Gefallsucht und Eitelkeit zum Hebel eines Einverständnisses, das wahrhaftig ohne Wissen und Willen da war, ehe an seine Existenz gedacht ward.

Giebt es denn auch Klausen und Zellchen für die Geister, daß sie einander nicht nahen[330] dürfen? und ist um jedes Hauses Heerd eine geheiligte Schranke gezogen, die selbst des Himmels Macht nicht sprengen soll? Es verschlüge mir wenig, Thoren darüber schwatzen zu lassen, aber auch gute Menschen, solche, die mir zugethan sind, fällen ein hartes Urtheil. Sie wissen, welche Veranlassung die Zungen löste! Es hat mir wehe gethan. Und wie Eduard darunter leidet! Gott! der Mann, dem die Stimme der Welt viel mehr, als die des eignen Herzens gilt, wie schwer erträgt er die Ueberzeugung, diese gegen mich zu wissen.

Auch hat er in vielen Stücken recht. Es ist nicht gleichgültig, wie wir zu den Menschen stehen. Ich fühle das sehr gut. Es ist schon eine Weile her, da schrieb mir Sophie, diese bedeutungsvollen Worte, welche ich damals weit entfernt war, auf mich zu beziehen.

»Der Ruf ist darum so heilig,« sagte sie, »weil er den Weg zum menschlichen Vertrauen bahnt oder verschließt.« Sehen Sie, man mag sich dem Angewöhnenden gegenüber so oder so stellen, man steht nicht mehr unbefangen und frei.

Ich sagte das Eduard. Er ist billig genug, es einzusehen. Zum Glück bot der erwachende Frühling einen schicklichen Vorwand, die Stadt zu[331] verlassen. Wir sind nun hier auf dem Lande. Es war eine traurige Rückkehr, Hugo! Das Haus sieht so nüchtern aus den unbelaubten, kaum erst knospenden Bäumen hervor. Die Zimmer sind unfreundlich, der Gartensaal ist noch nicht zu bewohnen, Blumen und Staudengewächse bleiben vor der Hand in den Treibhäusern ein geschlossen. Als wäre aller Schmuck von dem Leben abgestreift, gehe ich an den leeren Gestellen, zwischen kahlen Brettern einher, und suche den Herbst mit seinen langen, glühenden Abendlichtern, dem goldenen Blätterdach und purpurnen Wolkenbergen. Wie reich war die Natur! welche Fülle des Daseins strömte die warme, lieblich scheinende Sonne zuletzt noch in unsere frohen Herzen! Als ich jetzt hier eintrat – ich sank in den nächsten Stuhl und weinte, weinte ohne aufhören zu können. Ich habe auch meiner Seits versprochen, Sie nicht hier zu sehen, Hugo!

Welch' wahnsinnige Gewalt übt der Mißverstand über die Freiheit Anderer aus! Und zu was? Ich könnte über die Täuschung lachen, daß es nur die Hohlspiegel der Augen sind, die einen Gegenstand sehen! Aber ich lache nicht mehr. Es bedeutet mir nichts Gutes. Ich lachte[332] im vorigen Herbst so viel, und nun hat die junge Frühlingssonne solchen blassen, fahlen Wasserring!

Mein allerliebster Georg kränkelt seit einiger Zeit. Er kann den Caplan nicht gewohnt werden. Der fremde, schüchterne Mann ängstigt das arme Kind unbeschreiblich. Wenn er zu ihm gehen, bei ihm bleiben soll, schlägt das liebe kleine Herz so bange und heftig, daß ich weinen möchte. Und doch ist Tavanelli gut mit dem Knaben. Er verzärtelt ihn fast zu sehr. Was ist es denn, das die Liebe hier erschreckt und nicht rührt? Weshalb zieht sich die unbestochene Natur davor zurück? Ach, es bleibt zu wahr, auch die himmlischen Mächte reden nur durch irdische Organe zu uns, und was diese bedingt, und wie sie uns fremd oder verwandt berühren, davon hängt Verstehen oder Mißverstehen ab.


Einige Tage später.


Hören Sie, Hugo, hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe! Meine Seele ist voll davon. Es war eine erschütternde Stunde! fast zu gewaltig für das beschränkte Erdenleben! Aber, Ruhe! Ruhe! Sie sollen Alles wissen. Sie vor Allen, müssen es erfahren.

So lassen Sie sich denn erzählen: Georg[333] schien mir kränker. Er sah erhitzt aus, und war ungewöhnlich aufgeregt. Ich erschrack. Eine Krankheit geliebter Menschen, steht gleich wie ein Unglück bringendes Gespenst vor mir. Ich nahm das unruhige Kind in meine Arme, trug es auf mein Bette, suchte es durch Lieblingsgeschichtchen zum Schweigen, vielleicht auch zum Schlafen zu bringen.

Bei zugezogenen Vorhängen, bei einer kleinen Lampe setzte ich mich auf den Rand des Bettes. Ich erzählte langsam und flüsternd, alte, tausendmal wiederholte Histörchen. Es war fast ganz dunkel um uns. Der Kleine nahm die Bilder mit in seine Träume, und schlummerte, mit halbgeschlossenen Augen, eine Weile fort. Allein sein Schlaf war unruhig. Er warf sich hin und her, sprach, nannte fremde Namen, schrie hell: »Tavanelli! fort! fort!« lachte dann wohl dazwischen, kurz, erfüllte mich mit Todesangst. Ich weckte ihn. Er blieb in dem nämlichen Taumel. Ich schickte jetzt eilig nach der Stadt zu Eduard, zum Arzt. Indeß vergingen ein paar Stunden auf dieselbe Weise. Den Caplan hatte ich gleich anfangs entfernen müssen. Seine Nähe reizte den Unwillen des Kindes. Neun Uhr Abends war unter wachsender Besorgniß herbeigekommen. Ich[334] lauschte am Fenster auf den rückkehrenden Boten. Da fuhr ein Wagen in den Hof. Der Vater! dachte ich, mit dem Doktor! In der Erwartung öffnete ich leise die Thür, und trat in den Vorsaal. Ich hielt die Lampe in der Hand. Ihr schwacher Schein erhellte nur einen kleinen Theil des Gemachs, doch gerade den, in welchem ich den Eintretenden entgegen sah. Urtheilen Sie von meiner Ueberraschung, als Emma mit schnellen Schritten auf mich zueilte.

Ich weiß nicht, war es Verlegenheit oder Ueberspannung des Geistes? daß ich in demselben Augenblicke ausrief: »Wie gut, daß Sie kommen, Sie finden mich in großer Bestürzung.« Ich habe nachher über die Worte, und was ich damit meinte, nachgedacht. Als ich sie sagte, wußte ich nichts davon. Sie gingen mir wie ein Seufzer über die Lippen.

Emma schloß meine Hände in die ihrigen. Weich und seelenvoll, wie ein Engel, entgegnete sie: »Ich habe es schon draußen gehört, Georg ist krank. Arme Elise! Und gerade, nun sie hier auf dem Lande sind!« Ich sagte ihr, daß ich nach Hülfe geschickt hätte. Wir waren indeß zurück an das Bett des Kleinen getreten. Sie beugte sich über ihn. Ich hielt die Lampe so, daß[335] sie dem Kinde ins Gesicht sehen konnte. Sie blieb eine Weile in der Stellung; darauf erhob sie sich, ohne etwas zu sagen, aber ihr Auge fiel mit einem Blick auf mich, in welchem ich deutlich las: »So reich bist Du, Glückliche! und dennoch!« Es durchlief mich heiß vom Scheitel bis zur Zehe.

Wir setzten uns auf einen kleinen Sopha, ganz im Winkel, nahe bei Georg.

»Ich komme zu einer unbequemen Stunde?« brach Emma endlich das Schweigen. »Aber,« fuhr sie fort, »man muß die Zeit nehmen, wie sie sich uns giebt.«

Sie hielt inne. Vielleicht erwartete sie meine Antwort. Allein mir zog sich die Brust beklommen zusammen. Wir hatten uns lange nicht gesehen. Jetzt saßen wir mit verschlungenen Händen einander so nahe, rings um uns die unsichere Dämmerung. In meinem Herzen, Sorgen um mein Kind, überall ängstliche Erwartung, ich fand keinen deutlichen Gedanken in mir. Ich drückte ihr leise die Hand. »Liebe Elise,« sagte sie, »vielleicht sollte man gewisse Dunkelheiten im Leben nicht aufklären wollen. Man zerreißt mit dem Nebel wohl noch mehr, als diesen.«

»O nicht weiter!« flüsterte ich ängstlich. »Jetzt nicht! in diesem Augenblicke, wo ein einziges[336] Gefühl mich mit so großer Bangigkeit erfüllt!«

»Fürchten Sie denn,« lächelte Emma sanft, »ich wolle etwas anders, als uns Allen Ruhe schaffen? Mein Gott! ich würde gewiß schweigen, aber wir sind in eine allzugroße Verwickelung hinein gerathen, und es hilft wenig, daß Jeder heimlich und allein seinen Weg geht. Dadurch werden uns Vertrauen und Zuneigung vollends getödtet.«

»Liebe!« unterbrach ich sie. »Wäre von Anfang mehr Vertrauen unter uns gewesen, dies könnte jetzt nicht so unbegreiflich erschüttert sein.«

»Ich glaube es selbst,« entgegnete sie nachdenkend. »Aber was hilft es, darauf zurückzukommen. Jetzt müssen wir rasch vorwärts eilen, um über die hemmende Stelle hinwegzuschreiten. Ich, ich will die Erste sein,« sagte sie leise und schneller als zuvor, »die Erste, die das entscheidende Wort spricht. Ich weiß es, ich weiß es besser, daß Sie Hugo liebt, daß diese Liebe seine Brust durchströmt, daß er keine Stelle in sich findet, wo er verweilen, ja nur stille stehen kann. So soll es mit ihm nicht bleiben, wir beide dürfen ihn nicht in Ungewißheit über sich, über uns lassen. Was ihn reizt und ängstigt, das falle[337] weg! meine Ansprüche an ihn, Elise! die Vorstellung davon, wir müssen sie durch gegenseitiges Einverständniß wegräumen. Ich will, mein Gott! ich will Euern Bund nicht stören, ich nicht dazwischen treten. Oeffnet mir Eure Herzen, seid frei und wahr mit mir. Ich habe eine Seele, Euch zu begleiten, stoßt mich nicht zurück, zerreißt Euch selbst nicht!«

Sie hatte sich aus der halbliegenden Stellung aufgerichtet. Unangelehnt saß sie fast knieend vor mir, die gefaltenen Hände hoben sich, während sie sprach, öfters leise in die Höhe, die Worte folgten einander mit beschwörender Hast. Es war nicht Leidenschaft, es war Seelenangst, die aus ihr redete. Ich war so erschüttert, daß ich unter einem Strom von Thränen an ihre Brust sank. Werden Sie es glauben, Hugo! es fehlte mir an aller Fähigkeit, ihr zu antworten. Sie mißdeutete das, sie sah in meinen Thränen das schweigende Bekenntniß dessen, was sie voraussetzte. In dem Sinne fuhr sie fort, in mich zu dringen. Die innere Qual gab mir endlich Worte. »Liebe, Gute,« rief ich lebhaft, »lassen Sie doch einen Wahn, der ja alles Unglück anrichtete, nicht so ausschließend über sich herrschen. Es ist nicht, wie Sie denken, es ist ganz anders.[338] Sie sahen es auch früher so. Verwandtes Begegnen, Gewohnheit, sich gerade auf gewisse Weise verstanden zu fühlen, Ineinanderschlingen des Gedachten und Empfundenen, Sie wissen, wie hieraus Vertraulichkeit, Theilnahme entsteht. Hugo braucht es, sich vielfältig mitzutheilen. O könnte die Welt das so sehen, hätte sie nichts anders sehen wollen

Emma achtete gespannt auf jedes meiner Worte. »Wenn Sie sich nicht täuschen, liebe Elise,« lächelte sie fast heiter, »so bin ich doch gewiß, daß Sie mich nicht täuschen wollen. Es wäre möglich,« fuhr sie nach kurzem Besinnen fort, »daß sich Alles verhält, wie sie sagen. Wir verwickeln uns so oft in Irrthümer. Ich habe es wohl auch schon gedacht. Aber« – seufzte sie – »Hugo! was drückt ihn so zu Boden?« »Der Despotism des Mißtrauens,« fiel ich schnell ein. »Die engen Rücksichten, in welche ihn dieser hineintreibt, er findet hierin eine unerträgliche Anmaßung.«

»Sagte er Ihnen das?« fragte sie schwermüthig. »Ja!« entgegnete ich, im Begriff noch mehr hinzuzusetzen, als sie ausrief: »Weshalb Ihnen? wenn er mich nicht aufgab! Erwartet er nur durch Sie den Trost, den er bei mir[339] nicht sucht?« »Sie sind ungerecht, Emma,« fiel ich ein. »Vergessen Sie, daß er sich durch Sie mißverstanden glaubt?« »Hat er auch von mir verstanden sein wollen?« fragte sie. »Nein, nein, so durchaus bloßer Wahn ist es nicht, was unsern Frieden stört!« setzte sie eilig hinzu. »Deshalb eine Bitte. Versprechen Sie nur das Eine, kein Geheimniß in Bezug auf Hugo für mich zu haben. Ich fordere auch nicht, daß Sie ihm Eins aus meinem Anliegen machen, denn ich bin Willens, dasselbe Gesuch an ihn zu richten. Können Sie, wollen Sie das? so bin ich ruhig, und Sie dürfen es ebenfalls sein, wie auch der äußere Gang der Dinge gehen möge.«

Hugo, ich habe es versprochen, und werde dies Wort nur mit meinem Leben brechen.

Wir brachten nachdem nur noch wenige stumme Minuten mit einander zu. Die Ankunft des Arztes erinnerte mich erst, daß Georg die ganze Zeit sanft geschlafen hatte, daß meine Sorge übertrieben, und der Zustand des Kindes nicht so beunruhigend war, als ich fürchtete.

Emma's Anwesenheit versetzte Eduard späterhin, der nun auch gekommen war, in die beste Laune; und so hat dieser Engel ein Licht zurückgelassen, das noch meine Einsamkeit erhellet.[340] Georg ist wieder wohl. Ich danke dem Himmel, und sehe still zu, wie sich die Erde allmählig vergrünt und der volle Strom des Daseins durch alle Adern des Lebens quillt!

Hugo, die Menschen mögen es anfangen, wie sie wollen, das Lebendige lebt fort! Was kümmert uns das Uebrige!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 329-341.
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