Die Oberhofmeisterin an den Comthur

[95] Sie thun sehr wohl, daß Sie Ihren Neffen in Schutz nehmen. Ich kenne auch kaum zwei Menschen, die einander so ähnlich wären, als Sie beide.

Dies mag Sie befremden. Ich glaube es. Sie wissen vielleicht selbst nicht warum. Aber ich bitte, erlassen Sie mir die Beweisführung. Mein Kopf, mein Geist, sind so schwach in diesem Augenblick, daß es vergebliche Mühe wäre, mich auf etwas Bestimmtes einlassen zu wollen. Nur so viel: Verschiedene Umstände bilden dieselben Grundzüge des Charakters, hier so, dort anders aus. Die Familienähnlichkeit bleibt gleichwohl unverkennbar.

Daß Ihre und Hugo's Ansichten von einander abweichen, beweist nichts. Systeme macht[95] man, die Natur hat man. Sie haben beide keine glückliche. Ich empfinde es. Mich friert in der lauen Atmosphäre, die Sie umgiebt. Ich könnte lachen über alles, was Sie in die Seele einer Mutter schwatzen, hätte ich das seit Emma's Abreise nicht verlernt. Was wissen Sie von den zarten Fäden, die von dem Hauch eines unberufenen Wortes erzittern.

Einsiedler, in der Welt wie im Gefühl, predigen Sie in der Wüste, aber nicht am Hausaltar liebender Familien; dies Heiligthum bleibt Ihnen unzugänglich.

Ihr Trost wird Zurechtweisung. Ich forderte den einen nicht, und bin wenig gestimmt, die andere zu ertragen.

Mir werfen Sie es vor, die Verbindung beschleunigt zu haben, welche ich jetzt ungeschehen wünsche. Ich bin sehr unschuldig an dieser Verbindung. Das, dächte ich, wissen Sie. Doch einmal, bis auf einen gewissen Punkt gedrängt, wollte ich Licht sehen, und machte daher Tag. Sie zwangen mich zu handeln, das ist es, was Sie meine Ungeduld nennen. Sie verstehen nicht, wie eine Mutter, auch mit widerstrebendem Herzen, an die Erfüllung der Wünsche ihrer Kinder denken kann![96]

Aber ich werde ganz krank, bei den vielen unnützen Worten, die Sie doch wieder falsch auslegen werden. Darum lassen wir es gut sein!

Ich bin auf dem Wege nach Florenz. Es ist eine von den vielen Reisen, bestimmt, eine Lücke im Leben auszufüllen, sonst zwecklos, und daher unbequem.

Ich füge mich ohne Widerrede in die Anordnung der Prinzeß, theils, weil sie es so wollte, theils, weil ich einen Augenblick glaubte, unterwegs mit Emma zusammenzutreffen. Es reizte mich die Vorstellung, sie zu überraschen. Allein Hugo hat, wie er sich ausdrückt, so große Ungeduld, die Herbstjagden im heimathlichen Gebirge mitzumachen, und Emma die grünen Wellen des vaterländischen Stroms in dem Lichte der vollen Septembersonne zu zeigen, daß beid schon auf dem Wege zu Ihnen sind. Es mag auch sein! Ich lasse mich nun um so ruhiger fortschieben. Doch bin ich, ich gestehe es, über die Eile Ihres Neffen verwundert. Was zieht ihn denn so mächtig zu Ihnen zurück? Der Gedanke, ein Eigenthum, einen Heerd zu besitzen, und dort als freier Mann zu gebieten, zu handeln? – Nimmermehr! Er dünkte sich wohl freier als jetzt, da er Niemanden verpflichtet war. Ist er des Umherstreifens[97] müde? Nun! so scheut er doch das Bleiben an einem Orte noch mehr. Oder, ist es Emma's Begleitung, die ihm die Lust am Reisen verdirbt? Unter allem ist gerade das Schlimmste das Wahrscheinlichste.

Dem Vogel sind die Flügel beschnitten, und für den, welcher gern den Adler gespielt, auf steilen Höhen gehorstet, den freien Flug eifersüchtig bewahrt hätte, für den ist die Rolle des Haushahns im abgegränzten Zwinger anstößig. Mein Gott! warum genügten die Luftregionen nicht. Möchte er immerhin in seiner erhabenen Einsamkeit, auf starrer Klippe, dem Stolz mit prächtigen Träumen schmeicheln, ich hätte nichts dawider gehabt. Aber ihm gelüstete nach den Früchten des Thales. Er ließ sich zu ihnen herab. Der Traum ist aus, das ist sein Unglück.

Doch, da ich daran denke! Von Früchten des Thales oder der Welt, mir gleichviel. Es kommt mir vor, auch Sie haben noch nicht den Geschmack daran verloren. Sonderbar genug, ist das einzige Lebendige in Ihrem Briefe, die Schilderung der artigen Frau, welche Sie höchst großmüthig zu Emma's Freundin bestimmen. Bis auf das weiße Kleid und dessen nachläßige Eleganz, zeichnen Sie die neue Dame[98] Ihrer Gedanken auf das Papier. Mein guter Comthur! Sie haben nicht wohl daran gethan. Wie sie dort steht, trägt sie alle Züge der gefeierten Herrscherin eines engen und flachen Kreises, welchen die Gräfin überall um sich versammelt, und den Sie gute Gesellschaft zu nennen belieben. Ich weiß es seit lange, daß Männer kein Urtheil über Frauen haben, und die Grade des geselligen guten Tones nur nach dem Thermometer ihrer Eitelkeit anzugeben wissen. Wie der Ihrigen durch das zuverläßig einfältige Erstaunen der Kleingeister zu Ulmenstein, bei dem unerwarteten Auftreten eines bekannten Sonderlings, geschmeichelt ward, ist mir gar nicht zweifelhaft.

Es ist in der Ordnung, ich tadle Sie deshalb nicht. Aber begreiflich wird es mir, daß die Bizarrerie ganz gewöhnlicher Pretention, die auf besonderem Wege ihrem Ziele nachläuft, Sie bestach. Der Präsident ist kein gewöhnlicher Mensch. Sein Charakter ist der eines Mannes, der seinen Weg bestimmt geht. Durch den Flitter der Mode war der nicht zu erobern, eben so wenig führt eine bequeme Straße zu seinem Herzen. Und wenn es vielleicht auch nur um die Hand zu thun war, so mußte doch dieses in[99] Beschlag genommen werden. In solchem Dylemma wählt man denn schon einen ungebahnten Pfad, auf dem sich die jugendliche Gestalt ohnehin um so überraschender und in die Augen springender ausnimmt. Dergleichen Coquetterien sind sehr wohlfeil, und bei der Leichtgläubigkeit der Männer außerordentlich belohnend.

Dem sei nun wie ihm wolle, ich hege gegen jede ausgezeichnete Art und Weise der Frauen Argwohn. Was ächt ist, fordert keine besondere Fassung!

Ueberdem bedaure ich Ihre Mühe, für Emma eine Wahl getroffen zu haben. Die wählt selbst! Das liegt ja nur zu sehr am Tage.

Leben Sie wohl. Haben Sie Mitleid mit mir. Ich bin bis in den Tod betrübt. Deshalb vergessen Sie, wenn ich heftige und ungleiche Worte sprach. Ich weiß kaum, was ich denke und empfinde.

Es ist gut, daß Sophie mit mir geht. Ihnen verschlägt das wohl weiter nicht viel, und ihr ist es nothwendig.

Leben Sie wohl![100]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 95-101.
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