Sophie an Elise

[89] Sie sollten mir ohne Worte und Gründe verzeihen, geliebte Elise, die Freude des Wiedersehens, hoffte ich, werde meine Vertheidigerin sein. Alles war vorbereitet zur Abreise. Ich sah schon in Gedanken Ihr liebes, gerührtes Lächeln, im Kampfe mit dem kleinen Rest von Empfindlichkeit, der mehr und mehr an der Wärme aufflammender Freundschaft wegschmolz. Das alles sind nur Gedankenbilder geworden. Ich werde Sie sehr lange nicht sehen! Lassen Sie mich alle Empfindungen unterdrücken, die hierbei in mir laut werden. Schelten, urtheilen Sie[89] auch nicht, ehe Sie es wissen, daß ich ein Opfer bringe, und dabei leide.

Liebste Elise, die Abreise des jungen Paares hat die Mutter in einen Zustand versetzt, von dem nur diejenigen einen Begriff haben, welche diese merkwürdige, in allen ihren Eigenschaften so eigenthümliche Frau kennen. Vielen mag sie unzusammenhängend vorkommen, da sich im Gegentheil alles scheinbar Abweichende in einer Richtung bei ihr fortbewegt, und ein und dasselbe Ziel hat.

Es ist Emma, Emma allein, welche die Saiten ihres Innern so oder so anschlägt. Der jedesmalige Ton hängt hiervon ab. Liebe zu dem Herzen ihres Herzens bedingt die ungestüme oder verhaltene Pulsschläge desselben. Wie die Aussenwelt hierauf einwirkt, oder sie diese, in der einzigen Lebensbeziehung, die sie kennt, umschaffen oder beherrschen will, das ist die einzige Aufgabe ihrer Gedanken und Empfindungen. Die Lösung derselben ist schwierig, sie giebt sie vielen Widersprüchen preis.

Jetzt ist das geliebte Kind ihr entrissen. Ein Anderer übernimmt das Geschäft, für sie zu denken und zu handeln. Ein Dritter, nach ihrem Gefühl ein unberufener Dritter, bestimmt[90] über das Wohl und Weh der Theuren. – Es ist nicht Trauer, nicht Schmerz – Selbstvernichtung, verzehrende Eifersucht, Verzweiflung ist es, die ihre hohl gewordene Brust zerreißt. Die Wahl der Tochter war nicht die ihrige. Alles widerstrebte ihren Wünschen in dem Manne, der auf unbegreifliche Weise den ruhigen Spiegel der Gefühle in Emma erschüttert, und aus dem verborgenen Grunde der fügsamsten Seele eine so starke und ausschließende Neigung heraufgelockt hat, daß hier nichts mehr zu unterdrücken war, sondern auf einer oder der andern Seite ein Opfer gebracht werden mußte.

Die Mutter hat es gebracht. Aber, anders ist es mit dem Augenblick der Begeisterung, anders mit dem ruhig fortgehenden Leben! Den ersten überfliegt der Gesammtmensch in uns, dem andern erliegt das Menschliche in jeder momentanen Steigerung empfundener Unbequemlichkeit.

Die kluge Weltfrau hat an dem unerwünschten Geschick ihrer Tochter gedreht, geschoben und gehalten, was sie nur daran handhaben konnte, allein das Verschobene gleicht sich nicht aus. Sie erkennt das schärfer als Andere. Deshalb ist sie innerlich gebrochen, und kann nichts mit Haltung kommen sehen.[91]

Es gab einen Zeitpunkt in meinem Leben, wo sie mir als stärkere und weisere Gefährtin kräftig zur Seite stand, und, wenn auch nicht mein Herz zu heilen, doch Ruhe und äussere Verhältnisse der Hoffnungslosen zu bewahren wußte. Ich verdanke ihr die sanfte Ausgleichung unzähliger Widersprüche, die Stille und Freudigkeit meines jetzigen Berufs, einen ruhigen Abend und viele selige Träume vom neuen Tage.

Elise, würden Sie es gut heißen, wenn ich die Freundin jetzt verließe, wo ich ihr vergelten kann, was sie an mir that.

Sie würden es nicht gut heißen, das darf ich zuversichtlich behaupten. Ich sage Ihnen daher auch ohne alle Furcht vor Mißbilligung, daß ich den Winter über nicht nach meinem Stift zurückkehre, ja, daß ich nicht einmal in Deutschland bleibe, sondern die bekümmerte Frau nach Italien begleite, wohin sie, in Aufträgen ihrer Prinzessin, reist, die, wie Sie wissen, aus dem toskanischen Hause entsproß.

Ich irre wohl schwerlich, wenn ich die Absicht der großmüthigen Fürstin in dieser Sendung zu erkennen glaube. Sie will etwas Fremdes in die Seele ihrer betrübten Dienerin schieben, und sie durch andere Gegenstände auf andere Gedanken[92] bringen. Gleichwohl fürchte ich, wird sie hiermit ganz ihren Zweck verfehlen. Es giebt Stimmungen, in welchen das Ableiten nur heftiger und unwilliger auf das eigene Interesse zurückdrängt, und das Uebel ärger macht.

Das Letzte zu verhüten, hauptsächlich aber die Reise selbst nur möglich zu machen, was bei dem schlaffen, schwankenden Gemüthszustand der wahrhaft Erkrankten sehr schwer halten würde, habe ich mich zu ihrer Gesellschafterin aufgeworfen. Die Fürstin billigt, ja wünscht es.

So werden wir denn schon in wenigen Tagen auf dem Wege nach Florenz sein. Gott ist überall! und ich gehorche seinem Willen, hier oder dort.

Dies reicht hin, jede andere Frage des Innern abzuweisen. Machen Sie es auch so, liebe, zärtliche Elise. Ich weiß, Sie missen mich ungern. Sie haben auch sonst Niemand, dem Sie sich, in den vielen unbeschäftigten Augenblicken eines einsamen Tages, mittheilen können. Allein, eben deshalb ist es vielleicht gut, daß ich eine Zeitlang zurücktrete. Es bringt Sie wohl dahin, Andere aufzusuchen. Es kann Ihnen nicht entgangen sein, daß man Sie ohnehin des Hochmuths beschuldigt, und darin[93] etwas Gesuchtes, ja Anmaßendes finden will. Zudem ist Ihnen Emma in Kurzem nahe. Liebe Elise, was soll ich Ihnen weiter sagen? – Ich fürchte für dies arme Herz. Sie war es, die Hugo ihre Hand gab, er hat sie angenommen! aber er hält sie so lose, so furchtsam, möchte ich sagen, in der seinen, als ängstige es ihn, daß er diese nun nicht besser gebrauchen kann. Der Ernst, die Gewalt ihrer Gefühle, hat das leichte Spiel jugendlicher Empfindungen in einem festen Verhältniß gefangen genommen. Mir ahndet, die Ketten, welche sie arglos um sein wie ihr Geschick legte, werden mit dem vollen Gewicht ihrer Last auf sie allein zurückfallen.

Doch, wozu die nutzlosen und trügerischen Blicke in eine ungewisse Zukunft. Liebe, liebe Elise, sein Sie der Schutzengel der Unerfahrnen. Ich lege sie Ihnen ans Herz. Es ist so schön, das Störende abwenden oder doch mildern helfen.

Indem ich Ihnen auf solche Weise einen Theil meiner eignen Verpflichtungen, die ich nur gegen andere vertausche, zurücklasse, und somit mein Andenken auf die lebendigste Weise bei Ihnen gesichert weiß, verlasse ich Sie ruhiger.

Könnten Sie in meinem Herzen lesen, Sie[94] würden deutlicher verstehen, was ich kaum anzudeuten vermag.

Sein Sie glücklich, beste Elise! und machen Sie Alle durch Ihre Nähe so glücklich, wie ich es mehrere Jahre hindurch war!

Auf ewig die Ihrige.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 89-95.
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