Elise an Hugo

[265] Sagen Sie, was Sie wollen. Sie waren gestern nicht natürlich! Wenn ich vor so manchem Gesicht eine Maske dulden mag, so ist sie mir bei Ihnen unerträglich.

Was wollten Sie mit der erzwungenen Redseligkeit, mit der ironischen, frostigen Laune sagen, die Niemand, am wenigsten die Klugen der Welt täuscht? Für wen spielten Sie Comödie? Hugo!

Es hat mich verdrossen. Ich wollte mit Ihnen reden. Deshalb trat ich zu Ihnen ins Fenster. Sie wichen mir aus. Ihr Gehirn war in jener hüpfenden Bewegung, die den Witz überall Seitensprünge machen läßt, und das Gespräch in Brocken zerstückelt. Eine Stimmung, die zu der meinigen durchaus nicht paßte. Fühlten Sie nicht, oder wollten Sie es nicht fühlen, daß mir etwas auf dem Herzen lag, was herunter mußte?

Was ist ein Freund, wenn er den Klang der beengten Seele in einem stummen Luftzuge, ohne Echohall, zu uns zurückschickt?

Ich habe Kummer. Sie sollten es wissen. Der dünne, blasse, stumme Caplan, der mir wie ein Gespenst nachschleicht, und auf den Fersen sitzt,[265] sobald sich Georg zu mir flüchtet. Eduards blindes Vertrauen zu ihm, die peinlichen Tischgespräche, der Zwang, mit dem Menschen meinen Tag zuzubringen, seine Begleitung auf Spatziergängen und Fahrten dulden zu müssen, wenn ich das geängstete Kind nicht martern lassen will; dies und noch unendlich Vieles, was damit zusammenhängt, was auf die Zukunft hindeutet, was mir nur zu gegründete Sorge giebt, sollten Sie von mir hören. Ich kann nicht mit Ihnen lachen. Sie, hoffte ich, würden mit mir denken, wie dem frostigen, pressenden Einflusse auf das frohsinnige Kind, so wie auf mich, entgegen zu wirken sei? Aber mit nichts konnte ich Sie fassen, Hugo! nicht meine Bitten, nicht mein Unwille. Wo waren Sie mit Ihrem Selbst, daß ich Sie nicht zu finden wußte? Es giebt einmal nichts Unbequemeres für mich, als Besorgnisse hegen zu müssen. Mit dem Schmerz nehme ich es eine Weile auf. Entweder ich besiege ihn, oder ich ergebe mich darin, und will nichts mehr, als die Dinge so gehen lassen, wie sie wollen.

Ehe es aber so weit kommt, giebt es viele Mittelzustände, in denen dem Menschen allerlei zugemuthet wird, was er sich nicht gefallen lassen darf; Widersprüche aus Unsinn und Vorurtheil[266] erzeugt, an denen sich unser Scharfsinn, wie die Kraft des Stärkern prüfen soll. Aus diesem Grunde biete ich auch deshalb alles auf, dem Steine auszuweichen, den mir das Geschick entgegen rollt, und stoße ich doch darauf, so überspringe ich ihn. Stehen bleiben und müßig klagen, kann ich nicht. Die Ueberzeugung, daß gegen jedwedes Uebel ein Mittel zu finden sein müsse, hat es mir noch niemals an einer passenden Auskunft fehlen lassen. Warum bin ich aber jetzt so ganz ohne Zuversicht und Klarheit? Den Caplan entfernen, hieß gegen den Strom im Moment der Brandung schwimmen wollen. Ihn dulden und unschädlich machen, dazu gehört ein anderer Charakter, als der meinige. Wen ich nicht von selbst gewinne, der bleibt für mich verloren. Berechnen kann ich weder mich noch Andere. Das Leben gehen lassen, ist in vielen Stücken gut, allein hier kann zu Vieles untergehen, ehe die Natur ihr stilles Recht behauptet.

Was ist also zu thun?

Schaffen Sie Rath, Hugo! Auf Sie zähle ich in meiner Angst. Wissen Sie auch, von woher mir der Schlag kam? Aus Ihrem Hause! Dem Oheim und der Nichte verdanke ich diese Zugabe meines Hauskreuzes. Tadeln Sie indeß[267] Niemand. Beide handelten nach bester Ueberzeugung. Ihnen fiel es nicht ein, meiner Ueberzeugung zu nahe treten zu wollen.

Emma schrieb mir zugleich das hübscheste Briefchen von der Welt über die Schritte, welche in der Sache geschehen waren. Ich lege es Ihnen hier bei, hinzusetzend, daß es mir übrigens so spät überkam, daß für mich nichts mehr zu thun blieb.

Sehen Sie! so sündigt Emma gegen mich, ohne eine Ahndung davon zu haben.

Wie Vieles wäre noch darüber, wie Vieles über das Nichtverstehen der Menschen zu sagen. Allein, ich muß Ihnen ja dies schon schreiben. Sie sind nicht zu erreichen, seit Sie den Weltmann in der Stadt und den vornehmen Schloßherrn auf der Burg spielen. Wie Ihnen das schlecht steht, und wie fremd Sie mir erscheinen!

Könnten Sie einen Augenblick finden, der Sie, in Ihren grauen Mantel gehüllt, unscheinbar und bescheiden zu meiner Thüre brächte, ich würde glauben, Sie seien wieder Sie selbst, um mit Ihnen reden, denken, überlegen und ruhig sein zu können, wie sonst.

Gute Nacht! Ich bin müde, ich habe geweint,[268] und doch weiß ich, ich werde nicht schlafen. Mir liegt Vieles im Sinn.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 265-269.
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