Hugo an Heinrich

[242] Du hast mich öfters abergläubisch gehalten, weil ich auf gewisse prophetische Winke in der Natur achte, sie in der Erinnerung festhalte, mit spätern Ereignissen zusammenfüge, und neue Belege für meine Theorie der innern Verwandtschaften darin suche. Unsere Discussionen bekehrten weder Dich noch mich. Du hast keine Vorstellung[242] in Dir von der Herrschaft verborgener Wirkungen. Das Organ dazu fehlt manchem Menschen. Ich kann es Dir nicht geben, eben so wenig, wie Du mir die Ueberzeugung von einem Dualismus des Weltregiments wegraisonniren kannst. Mein Gefühl sagt mir es nur zu deutlich, daß ich abwechselnd Sclav und Herrscher bin, daß außer meinem Willen noch ein anderer Wille über mich bestimmt. Ob der Streit immer Streit bleiben soll? Ob er eine Vermittlung finden kann? und welche das sein wird? Mein Theurer! das ist die Region des Unerforschlichen. Wir streifen daran, aber wir können nicht hinein. In manchen Augenblicken zwar, wenn Du ein Wesen so recht, so überschwenglich liebst, dann ist, dann muß Dir sein, als wäre die Vermittlung längst geschehen. Doch laß das! laß das!

Ich will Dich auch nicht für meine Ansicht gewinnen, ich will Dir nur etwas erzählen, was mir auffiel, was mich beschäftigt. Vor ein Paar Tagen kehrte ich Abends allein zu Pferde von einer Ausflucht nach der Stadt zur Burg zurück. Es war noch nicht eben allzu spät, doch der Jahreszeit gemäß, dunkel. Als ich mich dem Walde, durch den mein Weg führt, nahte, ging,[243] wie bestellt, der Mond auf. Er stand im bläulichen Nachtdunst voll und feurig auf dem Scheitel hoher Wolkenberge. Ich ritt langsam. Die Luft war mild. Eine dünne Schneedecke lag am Boden. Unter den Bäumen, tiefer ins Dickicht hinein, entdeckte ich Spuren von Wild. Ich lenkte einer schmalen Hügelreihe am See, der Wall benannt, zu. Dort hat sich aus einem einsiedlerischen Plätzchen des Comthurs, zwischen dichten Schwarztannen versteckt, erst ein Haus, dann eine Meierei, zuletzt das Besitzthum einer ehemaligen Vertrauten gebildet.

Landleute, Reisende, auch das benachbarte Jägervolk besuchen von Zeit zu Zeit die Tannenhäuserin. Ich ziehe öfters ohne Umstände mein Pferd dort in den Stall, wenn ich Lust habe, mich auf Rehe und Hirsche einige Stunden auf den Anstand zu stellen. So geschah es auch heute.

Als ich über den Hof zurück ging, begegnete ich dem Burschen, der mit zwei andern Pferden an mir vorüber tappte. Ich rief ihm zu, das Meinige gut zu warten, ohne mich um sonst etwas zu bekümmern. Nachher fiel mir's wohl ein, wer noch so spät hier an gekommen sein möchte? aber es beschäftigte mich weiter nicht. Eine Strecke weiter hin ist der Wall, wo er das eigentliche[244] Ufer des See's bildet, mit uralten Buchen besetzt. Die dichtgereihten Bäume verschlingen ihre hochgewölbten Kronen zu einem weiten, hallenartigen Dome zusammen. Gewisse Ideenverbindungen legen den Gegenständen oft eine Art Heiligkeit bei. Ich bin hier jedesmal auf unwiderstehliche Weise wie festgebannt. Es giebt da eine Stelle – kurz nach meiner Ankunft in dieser Gegend sah ich hier – genug! die Stelle ist mir lieb. Ich suchte sie unvorzüglich auf, blieb an einen der Baumstämme gelehnt, und dachte, meine Beute kommen zu lassen.

Indeß vergaß ich bald Jagd und Wild und was damit zusammen hängt.

Der See lag zwischen den schneeigen Ufern blau und klar vor mir. In seinen leise bewegten Spiegel tauchte der Mond, wie eine herabgefallene Feuerkugel. Unwillkührlich suchte der Blick oberhalb nach dem ruhigeren Lichte. Die aufgethürmten Wolkenschichten hatten sich auseinander gethan. Ein schwarzer Streif umsäumte die Gränze des Horizonts, während leichte Dünste, in allerlei Gestalten zerfließend, den Himmel mit unzähligen Bildern besäeten. Es ist nicht zu glauben, was das Auge Alles sieht, wenn es,[245] sich völlig selbst überlassen, bei einem Gegenstande verweilt!

Heinrich, ich ließ so Unsägliches an mir vorübergehen. Die duftigen Umrisse schrieben eine ganze Geschichte auf das blaue Feld über mir nieder.

Wer verlor sich nicht einmal in das Treiben der Wolken! Ich hätte stundenlang so stehen und die Riesenköpfe mit unförmlichem Bart und Nase, die fliegenden Engel mit weit ausgebreiteten, mächtigen Fittigen, die monstruösen Thierlarven betrachten, belachen, bewundern können! Gott weiß, weshalb mir ein Ding, das wie ein vierrädriger Wagen aussah, so besonders auffiel! Er rollte, wie aus tiefem Abgrunde, hinter den schwarzen Streifen hervor, und fuhr, von schneidendem Windzuge getrieben, sausend über das leuchtende Firmament an dem Monde vorüber, der zerschnitten und zermalmt unter den Rädern verschwand.

Es war ganz deutlich ein Wagen. Ob Pferde oder andere fabelhafte Creaturen ihn zogen, kann ich Dir nicht sagen, allein, eine Gestalt mit gehobenem Arme, drohend, oder auch nur das Fahrzeug lenkend, stand mehr über als in demselben. Es war ein Weib mit lang flatterndem Schleier. Je höher das Wolkenbild heraufzog, je mehr dehnten sich die Massen ins Ungeheuere.[246] Wagen, Schleier und menschliche Gestalt thürmten sich bald zu einem Gebirge zusammen, durch dessen duftige Kuppe der Mond plötzlich wie ein großes, gewaltiges Auge hindurch sah.

Mein Blick heftete sich immer fester auf die majestätische Erscheinung. Trieben nun Zufall oder Phantasie ihr Spiel mit mir? genug, ich glaubte mitten in dem Dunstknäuel die alten Umrisse des Wagens wieder zu erkennen. Aber dieser war jetzt dunkel und scharf, und sah eher wie ein Kasten, ja fast wie ein Sarg aus. Ich schauderte unwillkührlich bei dem Gedanken; da sagte eine Stimme unter mir: »Um Gottes Willen, mache er, daß wir anlegen.« Zugleich hörte ich den verdoppelten Schlag nahender Ruderer. Nicht lange, so rauschte es im Rohr. Ein Kahn ward am Ufer befestigt Ich trat weiter vor. Ein Mann mit schwerer Bürde auf dem Rücken stieg zuerst ans Land. Ein keifendes, zorniges Weib folgte ihm mit einiger Schüchternheit. »Komme Sie nur getrost, alte Marthe!« sagte der Mann. »Sie sieht, wir sind auf dem Trocknen. Was will Sie mehr? Hier herum ist auch ein gutes Wirthshaus, worin es immer Narren genug giebt, denen Sie Ihre Hexenkünste vormachen kann.« »St! St!«[247] flüsterte das Weib, den Kopf in die Schultern gezogen, den Finger drohend gehoben. »Bei Leibe nichts von Hexen,« sagte sie heimlich. »Den Leuten würde sonst bange vor mir.« »Der Name thut es Ihr nicht, Marthe,« lachte ihr Begleiter, indem er den schweren Kasten, den er trug, gegen einen Baum stemmte, und einen Augenblick ausruhte. »Laufen doch so schon die Kinder, wo Sie sich nur sehen läßt, drum fliegt Sie auch mit den Eulen erst Nachts aus.« Er kicherte bei den Worten selbstzufrieden. »So treffen wir doch einmal zusammen,« entgegnete sie spitz. »Es war gut, daß Er noch spät bei den Comtessen in Ulmenstein zu thun hatte. Nun machen wir den Weg mit einander.«

»Hat Sie denn der Mutter und den Töchtern aus dem Kaffeegrunde prophezeiht?« fragte der Mann, in welchem ich jetzt einen, in der Gegend umherstreifenden Hausirer, mit Namen Walter, erkannte. »Oder,« fuhr dieser fort, mußte Sie ihnen die Karten legen und die Freier anrücken lassen?« »Nichts von allem dem,« brummte jene kopfschüttelnd. »Und wär's auch, was geht es Ihn an! Die Paar alten Kleider, die ich von den hübschen Kindern in den Kauf[248] kriege und spottwohlfeil wieder verkaufe, die thun seinem Verkehr keinen Abbruch.«

»Spottwohlfeil,« höhnte sie Walter. »Geh' Sie doch, Alte! wir kennen uns! Ihre Schliche sind weltbekannt. Aber erzähle Sie einmal, hat Sie es nicht auspunktirt, wird aus der Heirath mit dem jungen Baron etwas?«

»Hm!« entgegnete Marthe, in einem Tone, als wolle sie sagen, daß ich eine Närrin wäre, und es ihm wissen ließe. Sie wandte sich zugleich ab, und ging ein Paar Schritte tiefer in den Wald hinein.

»Bleibe Sie doch!« rief Walter. »Sie weiß ja hier herum keinen Bescheid, und die schmucke, feine Tannenhäuserin läßt Sie in dem Aufzuge schwerlich ein, wenn ich Sie nicht begleite.«

Dieser letzte Zusatz machte, daß ich die Frau genauer ins Auge faßte. Ein großer Hut und die zunehmende Dunkelheit versteckten ihr Gesicht. Doch war dem Hute selbst, mit seinem verbrauchten Putz von bunten Blumen und schlaffen, eingeknickten Federn, das widrig Fratzenhafte ihrer ganzen Erscheinung auf den ersten Blick anzusehen. Wahrscheinlich mochte sie die, in Ulmenstein erhandelten Herrlichkeiten nicht bequemer haben[249] fortbringen können, als auf dem eigenen Körper. So hatte sie dann den fremden Staat übergeworfen, und streckte nun die nackten, gemeinen Hände, die auf einem knotigen Bettelstabe ruhten, aus Flor, Stoff und anderm farbigen Modetand hervor. Eben so ragten ihre schlecht und grob beschuheten Beine weit unter den kurzen, auf zierliche Figürchen angepaßten Röcken heraus. Es war ein rasender Anblick! Sie blieb auf Walters Ruf stehen. Er schickte sich an, ihr zu folgen. Ich schlich hinten drein.

Im Stalle drüben, wo ich mein Pferd abholen wollte, fand ich jetzt noch die beiden Vorerwähnten. »Wer ist von Fremden drinnen im Hause?« fragte ich den Burschen. »Der junge Baron von Wildenau,« war die Antwort. »Der Baron?« rief ich, »was will der hier?« »O er besucht uns öfter,« entgegnete jener. »Er macht es, wie der Herr Graf, er läßt sein Pferd hier, und streift in der Gegend umher.« Sonderbar! dachte ich, daß wir uns nie begegneten. Ich ging mechanisch nach dem Hause. Die Wirthin kam mir entgegen. Sie hat immer ein eigenes Zimmerchen für mich frei. Heute waren zwei Gäste darin, jener Leontin von Wildenau und ein Geistlicher. Ich begrüßte beide, und sagte, um etwas zu sagen:[250] »Hier neben im Zimmer befindet sich eine Carricatur, wie sie nicht toller ersonnen wird!«

Das Ungewöhnliche reizt in Jedem die Neugier. Der Baron öffnete in demselben Augenblick die Thüre nach der anstoßenden Gaststube. Hier saß nun die alte Marthe so buntscheckig ausstaffirt, daß ich sie mit lautem Gelächter begrüßte. Auf das Geräusch wandte sie den Kopf nach mir hin. Sie sah nur aus einem Auge, mit halb wahnwitzigem, halb pfiffigem Blick, der Mund war nach einer Seite verzogen, so, als lächelte sie schalkhaft, während das graue, verschrumpfte Gesicht etwas Weinerliches hatte. Ich stand mit unterschlagenen Armen dem widrigen Geschöpfe gegenüber. Sie kam mir wie ein Spuk vor, der dem Sarge entschlüpft, mit den Lappen der Narrheit geschmückt, von der Welt nicht loskommen kann.

Leontin hatte sich sogleich mit den trocknen Worten: »Ich kenne das!« zu dem Geistlichen zurück gewandt.

Der Hausirer näherte sich mir. Mein festgewurzelter Blick auf die fremde Erscheinung mochte ihn zu einer Erklärung über diese auffordern. »Es ist zu Zeiten nicht richtig mit ihr,« flüsterte er mir ins Ohr. »Eine Liebschaft, aus[251] der nichts ward, späterhin Einsperrung und Krankheit haben sie gestört.«

»Wer ist sie?« fragte ich, eben so leise, ohne gleichwohl die Augen von ihr abzuwenden. »Was treibt sie sich Nachts so unstät umher? hat sie kein bleibendes Obdach?«

Walter belehrte mich: sie sei eines Gärtners Tochter aus der Residenz, habe Blumen ausgetragen, und durch diese und ein hübsches Gesicht, Zutritt in vornehmen Häusern gefunden. Was sie dort sah und hörte, reizte sie über die Maaßen. Reichthum und Glanz dünkten ihr beneidenswerthe Güter. Sie fing an, sich herauszuputzen. Ein Theil ihres Verdienstes ging damit hin. Die Eltern verdroß das; sie zankten mit ihr. Aus Aerger, und da sie längst auf ein besseres Glück hoffte, hing sie sich vollends an einen Mann, der ihr Kleider, Ringe, Bänder und andere Narrenspossen, aber nie seine Hand gab. Plötzlich war er fort. Sie hörte nichts weiter von ihm. Die Eltern hatten aus Schaam über die Tochter Stadt und Gegend verlassen. Marthe blieb, wie ausgesetzt in die Welt, allein zurück. Anfangs suchte sie einen Dienst in guten Familien zu bekommen. Ihr verrätherischer Putz, von dem sie nicht lassen konnte, erweckte Mißtrauen,[252] die Thüren blieben ihr verschlossen. Gram und Noth hatten sie angegriffen. Sie wollte sich zu den Eltern hinbetteln. Aber sie vermochte es nicht, die Kräfte versagten ihr, auch hielten sie die Stadt mit ihrem immer noch lockenden Geräusch, den Kutschen und Pferden, prächtigen Häusern und geputzten Leuten, fest. Sie wankte wie ein Schatten zwischen dem Allen hin, und nährte sich von Almosen. An einem heißen Sommermorgen sank sie erschöpft auf die Stufen eines kleinen Ladens nieder. Eine Jüdin, welche Trödelkram führte, von Versatz und Borg lebte, verschmitzt war, Jegliches zu benutzen wußte, und eben eine Magd brauchte, die mit geringem Lohn und kargem Unterhalt zufrieden sein mußte, hatte nicht sobald den Fuß auf die Treppe gesetzt, und die ohnmächtige Person erblickt, als sie diese aufrüttelte, sie angebrannte Federn und Knoblauch riechen ließ, und mit Hülfe eines Handlangers von der Straße in ihre Wohnung trug.

»Hier,« so schloß Walter, »ist Marthe so lange geblieben, bis sie, nach dem Tode der Israelitin, deren Gewerbe allein fortführte, und, obgleich nach jener Ohnmacht mit verzerrten Gesichtszügen und wirren Gedanken einhergehend,[253] hat sie doch den Ruf einer klugen Frau, oder gar Prophetin in solchem Maaße behauptet, daß sie von Vornehmen besucht, in angesehene Häuser beschieden, und oft ihre List zu geheimen Zwecken benutzt wird.«

»Was macht sie denn so berühmt?« fragte ich, mit dem Scheine der Unwissenheit über die verbotenen Künste des Weibes. Der Hausirer zuckte die Achseln. Er wiederholte, was er dieser schon im Walde vorgeworfen hatte. In einem Anfall guter Laune sagte ich: »Nun, so kann sie ja gleich ihr Talent zeigen.« Walter sah mich überrascht an. »Um Ihren Spaß damit zu haben,« lächelte er. »Natürlich!« entgegnete ich, ob mir gleich der Gedanke an etwas Spaßhaftes ganz unverträglich mit dem Anblick des gespenstigen Wesens dort drüben am Tische schien.

»Hier geht es aber nicht,« raunte mir mein Nachbar zu. »So öffentlich darf sie es nicht treiben. Befehlen Sie, so will ich sie nach einer Weile in das kleine Zimmerchen hier neben führen, Sie schließen dann die Thüre ab, und« – –

Es ist ein Kobold in uns, Heinrich, der lustig aufspringt, wenn man ihn von Außen anruft! Der grillenhafte Schelm war gleich in mir bereit, Walters Vorschlag einzugehen. Er hatte[254] »Ja« gesagt, ehe ich noch die nächsten Schwierigkeiten überlegte. Der Baron und sein Begleiter waren lästige Zeugen bei dem Possenspiel. Entfernen konnte ich sie einmal nicht, und sie in mein Interesse zu ziehen, schien mir zu langweilig für die geringe Ausbeute des Spaßes. Gleichwohl mußte das letzte versucht werden. Ich trat daher mit den Worten zu Leontin: »Sie haben ohne Zweifel von den Künsten gehört, die der Närrin drinnen den Ruf einer Prophetin erwarben. Ihr verrücktes Wesen ist mir verdächtig. Ich wittre dahinter mehr Absicht als Krankheit. Ich wäre neugierig zu sehen, wie sie es anfängt, gescheute Leute hinters Licht zu führen. Deshalb habe ich sie hierher zu uns ins Zimmer beschieden. Geben Sie Acht, wie verblüfft sie sein wird, wenn ihre List nicht glückt.«

Ich hatte kaum geendet, so trat Walter mit seiner Begleiterin herein. Der Geistliche schien verlegen. Dem Baron war die Sache lästig, das sah man ihm an; doch wußte er nicht sogleich loszukommen. Indeß fragte Marthe ziemlich mürrisch: was sie hier solle? Ich sagte es ihr. Sie lachte. Ich bemerkte, daß sie unruhig nach dem Geistlichen hinschielte. Dieser[255] sah ernsthaft, doch nicht unwillig aus. Jetzt stellte ich mich an einen Tisch neben die zaudernde Pythia. Sie zog darauf ein schmutziges Spiel Karten aus der Tasche, das sie Mühe hatte, mit ihren dürren, krummen Fingern auseinander zu bringen. Ich empfand großen Eckel daran, und bat sie, das Schicksal auf andere Weise zu befragen. Es schien ihr nicht recht. Indeß sagte sie auf kurze und abstoßende Weise: »Gleichviel!« worauf sie ein Ei und ein Glas Wasser forderte. Als ihr beides gebracht ward, gab sie mir das Ei, hieß mich, es gegen das Glas zerschlagen, und den Dotter hineinzuschütten. Ich that, wie ich geheißen ward. Im Augenblick bildeten sich allerlei Gestalten im Wasser, die mir meine heutigen Himmelsbeobachtungen lebhaft hervorriefen; neugieriger als zuvor, was die Sibylle daraus machen würde, sah ich mich forschend nach ihr um. Sie war sehr roth im Gesicht, eine finstere, häßliche Falte auf der Stirne zog sich immer tiefer zusammen, ungeduldig wischte sie das blitzende, wilde Auge, sah mich dann zornig an, und sagte halb verwundert, halb böse: »das sind lauter Teufeleien! Was soll das vorstellen, he? war das Wasser unrein? Oder« – sie stellte die Lichter anders.[256] »Sind das geweihte Kerzen? Wollt ihr mich zum Narren haben?«

Walter beruhigte Marthe über alle geäusserte Zweifel. Sie schüttelte den Kopf. Der Baron war sehr aufmerksam geworden. Er trat näher zum Tisch. Ich winkte ihm lachend zu, daß sie mit ihrem Latein zu Ende sei. Marthe bemerkte es. Sie schob mit verbissenem Ingrimm das Glas von sich, und machte Miene, das Zimmer zu verlassen.

»So wird es also heute nichts?« sagte ich. Sie antwortete nicht. Ich hielt ihr einen Thaler hin, hieß sie einpacken, und ihrer Wege gehen.

Sie drückte aber meine Hand und das Geld ärgerlich zurück. »Geduld!« rief sie. »Ich werde es schon sagen, wenns Zeit ist.«

Leontin kämpfte mit Neugier und Unwillen zugleich. Der Geistliche blieb ohne alle Theilnahme. Er hatte ein Fenster geöffnet, und sah, als ob er Jemand erwarte, nach der Straße hinaus. Marthe räusperte sich jetzt. »Nun,« lachte sie triumphirend, »da haben wir es ja, wollen Sie es hören?«

Sie sah erst Leontin, dann mich an. Es schien, als ob sie uns beide verwechselte, denn ohne, daß ich etwas erwiederte, fuhr sie ausschließend[257] gegen mich gewendet, fort: »Es ist nichts als Unruhe und Wechsel in Ihrem Schicksalszeichen. Nehmen Sie sich in Acht. Es steht Ihnen eine große Veränderung bevor. Sie werden das Ihrige über kurz oder lang mit dem Rücken ansehen, und wie Sie mit Kutsch' und Pferden früher in ein großes Schloß einzogen, so flüchten Sie dann unstäten Fußes daraus. Der Wittwerflor hängt an Ihrem Hute, und doch haben Sie zwei Frauen zugleich. Wenn das Gestirn des Wagens über Ihrem Hause steht, dann ist die Entscheidung nahe. Die, welche Ihnen die Nächsten sind –«

»Genug!« rief ich unangenehm erschüttert, »ich will nichts mehr hören.« Sie blickte mürrisch nach mir um, runzelte die Stirne, sah dann wieder in das Glas, und brummte: »Es ist ohnedies vorbei. Alles fließt wieder zusammen. Ich kann nichts mehr unterscheiden. Aber, was gewiß ist, bleibt doch gewiß, die Zwietracht sitzt an Ihrem Heerde, und wenn Sie die Glocke wieder neun schlagen hören, wie jetzt, hat sie Ihnen schon manches Lied gesungen.«

Der Baron hatte seit einer ganzen Weile über die Schultern der Alten weg, in das flockige Gebräue hinein gesehen. Sie bemerkte es erst jetzt. »Was machen Sie hier?« rief sie scheltend.[258] »Sie haben auch wohl Ihre Hände mit im Spiele?«

Ich lachte unwillkührlich über seine Verlegenheit. »Lachen Sie nicht!« schrie sie widrig, mit einem verwünscht pfiffigen Gesicht.

In dem Augenblick ward eine fremde Stimme im Nebenzimmer laut. Der Geistliche schloß das Fenster, und sagte, indem er mit freundlicher Verbeugung an uns vorüber ging: »Verzeihen Sie, es erwartet mich hier Jemand.«

Marthe hatte im Nu ihre Habseligkeiten zusammengepackt, meinen Thaler genommen, und sich aus dem Staube gemacht.

So blieben Leontin und ich allein. Wir waren beide unbequem mit einander. Er ist niemals von vielen Worten, und jetzt, sichtlich durch meine Gegenwart gedrückt, fehlte es ihm auch an dem Unbedeutendsten. Mich hatte sein Antheil an dem ganzen Vorgange frappirt. Ich war begierig, den Grund davon herauszubringen, und deshalb auf dem Punkt, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, als ich den Präsidenten, Elisens Gatten, dicht nebenan sagen hörte: »Hier also? Nun, lassen Sie mich ihm meinen Dank abstatten.« Somit öffnete er die Thüre, und stand, in Begleitung des Geistlichen, vor mir. Meine[259] Anwesenheit mochte ihn überraschen, er grüßte flüchtig, fast obenhin, wandte sich dann zum Baron, gegen den er mit Wärme eines Dienstes erwähnte, welchen ihm dieser so eben geleistet haben mußte. Aus dem Verfolg des Gesprächs erfuhr ich sodann, daß der Geistliche ein längst erwarteter Aufseher und Führer von Elisens schönem Knaben, Georg, war; daß Leontin diesen empfohlen, hierher begleitet, und dem Präsidenten zugeführt hatte.

Des Barons Mitwirken in einer Angelegenheit, die Elisen Kummer machte, fiel mir gerade in diesem Augenblick um so mehr auf, als bis jetzt hiervon nichts verlautete, folglich geheim getrieben ward, und ziemlich nach einer Vertraulichkeit mit dem Manne, auf Kosten der Frau schmeckte. Mich kümmert dergleichen sonst sehr wenig. Häusliche Angelegenheiten, so oder so gestellt, gehören immer zu den Plackereien, die getragen sein wollen, es verschlägt daher eben nichts, ob die Last um ein Gran schwerer oder leichter wiegt. Es war auch nicht das, es waren, ich wette, die letzten Worte des Weibes, die etwas Fremdes in meine Seele geworfen hatte. Ich fühlte dies wie einen Stachel darin stecken. Es brannte mir heiß im Herzen, als ich den[260] Vater, mit aller Umständlichkeit eines weitschweifigen Pedanten, von dem Knaben sprechen, und sein Dasein von dem der Mutter ablösen hörte.

Ich sage Dir, Heinrich, es wurden hier Grundsätze der Erziehung entwickelt, die einen Menschen rasend machen können. Meine arme Freundin wird darüber untergehen! Ihr zartes Innere, durch die materiellen Handhaben abstrakter Pädagogik verletzt, kann dem Gedanken nicht Raum lassen, daß, je ärger das Joch preßt, je schneller rüstige Schultern es abwerfen. Sie selbst bewegt sich so leicht und frei in der hellen Sphäre schuldloser Gefühle, ihre Gedanken schwingen sich zu seltener Höhe, nirgends beengt eine der tausend künstlichen Gränzen den Flug ihres schönen, reichen Gemüthes; und wie sie unbewußt die angewiesene Bahn verfolgt, so läßt sie auch, auf die natürlichste Weise von der Welt, das kleine Seelchen ihres Lieblings die heitern Räume mit durchfliegen. Der Knabe ist ein Seraph, und so zu ihr gehörig, wie das Morgenlüftchen, das die goldene Aurora umspielt. Denke Dir nun diese beiden Menschen von den eisernen Klammern harter Regeln umspannt. Denke Dir das abgeschlossene Muß und Soll, gegen den freien Flügelschlag harmloser Willkühr. Athme nur[261] einen Augenblick in der Region der Güte und Liebe, und siehe dann das Chaos auf einander gethürmter Gebote unter Dir, betrachte den finstern Führer, der am harten Strick das müde Lämmchen durch all die Windungen sich nachzieht, höre die tonlosen, leiernden Worte von brechen des Eigenwillens, von Demuth, blindem Gehorsam; laß den Geistlichen noch über das Thema zerknirschter Herzen und Abtödtungen des Fleisches sein Pensum hersagen, und dann begreife, wie mich das Alles zur Thüre hinaus, unter Gottes freien Himmel jagen, die Brust mit Wehmuth, den Kopf mit unruhigen Bildern füllen mußte. In dieser Stimmung stoße ich auf die Tannenhäuserin, die mir vor dem Hause begegnete. Sie grüßte, fragte nach dem Befinden des Comthurs, und setzte hinzu, wie ihr der Baron über dasselbe gute Nachricht gegeben.

»Der Baron war also heute drüben auf der Burg?« unterbrach ich sie. »Allerdings!« war die Antwort. »Und, wie ich höre, sind der geistliche Herr von dort in des gnädigen Herrn Begleitung hierher gekommen. Die Frau Gräfin haben denselben empfohlen, verschrieben, wie ich nicht anders weiß.«

Heinrich, mir stieg das Blut nach dem[262] Kopfe. Emma, dachte ich. Hat sie ihre reinen Hände in dem heimlichen Spiele? Wie kommt sie dazu, mit Leontin gemeinschaftlich gegen den Wunsch der armen Elise zu wirken. Es sah alles so abgekartet, so versteckt aus. Dazu kam das verabredete Zusammentreffen gerade in dem entlegenen Winkel hier, man wollte das Ansehen der Theilnahme vermeiden. Der Präsident mußte bei Nacht und Nebel den Aufseher über Frau und Kind auf geheimnißvolle Weise in Empfang nehmen. Ich war dabei ein sehr unberufener, ja unbequemer Zeuge. Ging Leontins überraschter Blick etwa hierauf, als Marthe ihm vorwarf, die Hand in dem verderblichen Spiele zu haben? »Hexe!« rief ich in mir, indem ich mich verdrüßlich aufs Pferd schwang, und nach der Burg ritt.

Ich weiß nicht, was mir Alles während meines Rittes durch den Wald im Kopf spukte? Genug, ich sah zum erstenmale um mich, als ich etwa tausend Schritte vom Schlosse, am Fuße des Berges, anhielt. Der breite Weg, welcher in Schlangenwindungen auswärts führt, ward scharf vom Mondlichte bezeichnet, bis ihn zuletzt eine dunkle Tannengruppe verdeckt, und man seiner erst dicht an der Terrasse des Gebäudes[263] wieder ansichtig wird. Sehr natürlich fiel mein Blick, als auf den hellsten Punkt der Landschaft, dahin, doch mit seltsamem Schreck fuhr ich zusammen, da gerade in demselben Moment ein Wagen hinter der schwarzen Decke der Bäume hervorrollte, und vor der Burg hielt. Ich wußte sogleich, wer darin saß, eben deshalb schallten mir Marthens Worte: »Die Zwietracht sitzt an ihrem eigenen Heerde,« wie ein Echo aus dem Walde zurück. Ich raffte mich zusammen, eilte nach Hause, fand meine Schwiegermutter, und mit ihr ein Heer ängstlicher Rücksichten, kalten Formen und lauernden Anspielungen. Ich bin wie gelähmt, das Dach des Schlosses drückt mit Centnerlast auf mich.

Es ist eine Schwüle in den Mauern, als müsse die Flamme jeden Augenblick aufschlagen.

So war es heute und gestern! Wer weiß, wie es morgen sein wird?

Heinrich! Heinrich! die Fäden, die unser Geschick lenken, laufen wahrhaftig nicht so einzeln durch das Leben.

Lebe wohl! ich sehe einem Unwetter entgegen.[264]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 242-265.
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