Emma an einen Geistlichen

[129] Wenn ich aus Gründen, die Sie, theuerster Lehrer, heller durchschauen, als ich sie angeben[129] darf, in den Briefen an meine Mutter nur allgemeine Umrisse der verflossenen Tage, der neuen Verhältnisse, der Personen, welche diese bilden, hinwerfe, so will ich Ihnen in dem Allen mich selbst mit meinen innigsten Gefühlen, mit meinen geheimsten Gedanken ungetheilt geben. Sie sollen niemals aufhören, mich in jedem Zuge der Seele, in den bangen Regungen, wie in der stillen, sichern Befriedigung des empfundenen Daseins zu begleiten. Durch Sie will ich mich und Andere verstehen lernen.

Lieber, väterlicher, verehrter Freund! es ist nicht alles mehr so einig in mir wie sonst. Jeder Schritt vorwärts in das Leben hinein öffnet neue Ansichten, theilt den Blick, vervielfältigt die Eindrücke. Ich werde nicht irren, aber vielleicht unbillig sein, und hierüber bin ich ängstlich.

Erschrecken Sie nicht. Es ist nichts vorgefallen, es hat sich nichts verändert, ich, ich allein muß anders geworden sein!

Das Leben hört auf, dasselbe zu bleiben, seit die leichten Umrisse sich plötzlich körperlich gestalten, die Dinge zwei Seiten gewannen, ein jedes Dasein für sich, wie im Zusammenhange mit Andern betrachtet sein will. Meine einfache Weise es zu nehmen, paßt nicht mehr. Es wird[130] so voll, so laut um mich. Weder die innere noch die äussere Stimme reicht aus, mich meiner Welt verständlich zu machen. Ich werde in dem Maaße sprachloser, als mir die rechten Worte fehlen. In dieser Einsamkeit der Seele quält mich ein entsetzlicher Zweifel. Ich fürchte, nicht im Einverständniß mit Gott gewünscht, gewollt, und in der Gebetserhörung nur eine Prüfung erstürmt zu haben, die um so schwerer zu bestehen sein wird, als sie mich nicht allein trifft.

Sehen Sie, das ist es, das ist es hauptsächlich, was mich beugt. Ach Gott! und ich kann mich fast nicht länger täuschen, daß ich unbewußt zwar, doch nicht unschuldig das Geschick des geliebtesten Menschen verwirrt, einen Vorwurf auf sein großes Herz geladen habe! Hugo's kühner Gang wird durch mich gehemmt.

So kann und darf ich nicht einmal versuchen, seinen Weg zu gehen. Ich erschrecke oft, wenn es mir klar wird, daß er den Kampf allein hätte ausfechten, ich aber im Verborgenen, beschränkt und entsagend, für ihn beten sollen, ohne unser beider Geschick in unklare Beziehung zu einander zu stellen.

Vielleicht war ich überhaupt nur für das[131] Kloster geboren. In der Dunkelheit entfaltet sich das Geheimniß des Innern am besten.

Hier, unter so verschiedenen Menschen, zwischen die entgegengesetztesten Richtungen geschoben, wie kann ich, ohne anzustoßen, mich frei bewegen?

Der Comthur, der mir eigentlich eine Stütze sein müßte, verletzt mich durch sichtliche Abgeschlossenheit gegen Hugo. Er mißtraut diesem, und scheint auf der Huth gegen Angriffe, welche gleichwohl nie erfolgen. Mich betrachtet er oft bedenklich. Sein ernster, hoher Blick wird dann von unverkennbarer Rührung gemildert, er findet immer ein inniges Wort für mich. Der Ton der Stimme, das Herabbeugen des stolzen Nackens, die stumme Sprache seiner Mienen, alles an ihm athmet in solchem Augenblicke fast unwiderstehliche Wärme, ich glaube, wir verstehen uns dann vollkommen, allein wir gleiten beide über das hinweg. Ich wüßte nicht, wie ich es anfinge, ihm gegenüber gewisse Saiten zu berühren, die nur den Mißton zwischen Oheim und Neffe noch schärfer herausheben würden. Ich fühle ja ohnehin deutlich genug, daß Hugo niemals darin gewilligt haben würde, sich mit dem Urheber so großer Familienstörungen auf eine Weise zu vergleichen, die ihm drückende Verpflichtungen auflegt,[132] wäre es nicht in Bezug auf die Verbindung mit mir geschehen. Auch hierin glaube ich ein Werkzeug höhern Willens zu sein. Mit heimlichem Stolze betrachtete ich mich, als unverkennbare Vermittlerin verjährter, gehässiger Mißverständnisse. Allein auch hier diente ich nur, den stumpf gewordenen Stachel tiefer in die alte Wunde zurückzudrücken. Was vergessen, oder unbeachtet, mit der Zeit seine Schärfe verliert, das wetzt sich an den täglichen, unmerklichen Reibungen so schneidend heraus, daß jede Berührung verwundet. Ich fühle Hugo etwas Aehnliches an. Er wird immer einsilbiger. Auf seinem Gesicht liegen die Schatten unauslöschlicher Schwermuth, selbst wenn er lacht, verdunkelt sich sein Auge, als schelte es die Lippen, daß sie sich so leichtsinnig öffneten.

So gehen wir in sehr verschiedener Seelenstimmung neben einander hin. Der Comthur mag wohl denken, die Einsamkeit drücke auf uns. Er sinnt daher auf Veränderung. Wir durchstreifen die Gegend um das Schloß nach allen Richtungen, ohne gleichwohl Bekanntschaft zu machen. Gestern endlich führte er uns bei einer Dame der Nachbarschaft ein. Ich hatte seit meiner Verheirathung wenig von der geselligen Welt[133] gesehen. Mir fiel jetzt Manches auf, woran ich sonst gewöhnt war. Ich kam mir hier sehr einsam vor. Der Abend war auf diese Art ziemlich langweilig hingegangen. Wir saßen noch spät im Freien. Der Mond stand hell am Himmel, sein liebes, ruhiges Licht flimmerte silbern durch die Zweige Ich saß ganz im Schatten, vor mir dehnte sich ein runder Platz, über den die breiten Lichtstreifen ausgegossen lagen. Da sehe ich einen Herrn und eine Dame auf uns zukommen. Die Frau des Hauses wird ihrer nicht sobald gewahr, als sie mit den Worten aufsprang: »Ach! da ist sie ja dennoch! Willkommen, willkommen, liebe Elise.« Meine Aufmerksamkeit wurde sehr natürlich auf diese gerichtet; sie ging mit leichtem, freiem Schritt über den erhellten Rasensitz, ihre Gestalt schwamm im Schein des Mondes, es war, als umfließe sie ein durchsichtiger Glanz. Sie kam mir außerordentlich schön vor, ich betrachtete sie mit großer Ueberraschung, und als sie anfing zu sprechen, klopfte mir das Herz, wie beim Tone unsichtbarer Musik. Wir waren einander jetzt ganz nahe. Unsere Wirthin stellte uns gegenseitig vor. Ich konnte nichts sagen, meine Zunge stockte wie gebunden. Die Fremde blieb unbefangener. In ihrem Benehmen lag die reizendste[134] Sorglosigkeit. Sie sah umher, und schien jemand zu suchen. Hugo stand ihr in demselben Augenblicke zur Seite. Er war durch ihren Anblick eben so sehr überrascht. »Aha!« rief sie aus, als er ihr genannt ward. Beide betrachteten sich aufmerksam. Mich überfiel eine unbegreifliche Angst. Es war, als müsse ich zwischen sie und Hugo treten. Ich konnte mich auch lange nicht wieder finden. Seitdem bekämpfe ich vergebens ein banges Vorgefühl, daß an jener Minute die Wendung meines Erdengeschicks hänge. Ich schelte mich darüber, ich verbanne es als sträflichen Aber glauben, aber ich kann es nicht los werden.

Später, da wir in die erleuchteten Zimmer des Hauses zurückgingen, der Einfluß geheimnißvoller Dämmerung vor einer bestimmten Klarheit verschwand, die Formen des Herkömmlichen ohnehin den Phantasiespielen ein Ende machten, gerieth ich dem allem ohnerachtet in einen häßlichen Widerspruch mit mir selbst, als jene anziehende Erscheinung mich aufsuchte, fast vertraut mit mir redete, ihre Freundschaft für das Stiftsfräulein erwähnte, sich dadurch in Beziehung zu uns allen setzte, Bekannte und meine Willfährigkeit in Anspruch nahm, solches Entgegenkommen[135] wenigstens in etwas zu beantworten. Werden Sie es glauben? ich fühlte mich zugleich hingerissen und erstaunt. Mein Auge, meine Gedanken, mein Gefühl lag fest, wie gebannt durch einen Zauber, auf dem Ausdruck des schönsten, ja rührendsten Gesichtes, das ich jemals sah. Alles spricht darin, der Blick, das Lächeln, der weiche Ton einer fast durchsichtigen Haut, die wechselnden Mienen, die Harmonie vollkommen gebildeter Züge. Ich sah mehr, als ich hörte. Sie erröthete oftmals wie beschämt über mein stummes Anstarren. Ich besann mich. Wir sprachen seitdem wie Menschen, deren Bekanntschaft durch Anderer Vermittelung vorbereitet ist. Es kam zu Einladungen und Versprechungen baldiger Besuche. Der Comthur zeigte sich galant und liebenswürdig. Hugo trat aus seiner Verschlossenheit hervor. Nie sah ich ihn bereitwilliger die Fäden des Gesprächs aufnehmen, zusammenwerfen, um Gefühle und Anschauungen daraus hervorgehen zu lassen. Elise war bei der Abendtafel seine Nachbarin. Sie weiß mit Anmuth einen leichten Streit geistreich zu führen. Sichtlich wollten beide vor einander glänzen. Sie steigerten sich im Laufe der Unterhaltung bis zu einem Punkt, der wirklich blendende Funken über den[136] ganzen Kreis ausstreute. Der Wettkampf hatte sie, wie durch eine Reihe electrischer Schläge, mit einander in Berührung gebracht. Es lag in ihrem Ton vertraulicher Scherz und Wohlwollen. Sie kannten sich schon von früher. Niemand war Sieger geblieben, aber keinem von beiden war es entgangen, wie viel ein jedes in die Waagschaale zu legen vermochte. Ich hatte mit gelacht, geredet, sie durch Widerspruch gestachelt; doch es war nicht unbewußter Trieb, es war Stolz, Unruhe, Furcht, hier unbedeutend zu erscheinen, die mir Worte gab, mich zur Theilnahme fortriß. Sehen Sie, und nun ist mir das unbehaglichste Gefühl, eine Art Verlegenheit gegen Elise, gegen Hugo, ja gegen die ganze Gesellschaft geblieben, die mich zugleich demüthigt und erkältet.

Was ist das? Ist es Demuth? Eifersucht? Nicht wahr, ich, ich bin anders geworden. Mußte so bald der ruhige Einklang bescheidner Ansprüche an dem Wechselverkehr des Lebens scheitern? Ist es auch denkbar, am Hofe erzogen, bringt eine Abendversammlung auf dem Lande mein Gemüth in Verwirrung. Ich bin entschlossen, mich selbst für so viele Thorheit zu strafen. Noch[137] heute will ich die gefährliche Elise aufsuchen! Es ist doch sonderbar, daß mich das so viel kostet.

Wie beneide ich jetzt die Menschen, die durch Orden und Gelübde in einer bezeichneten Gränze gehalten, sich selbst treu bleiben! Niemals war es mir begreiflicher, daß man der Welt gern entsagt, um das Gewissen zu retten. Ach! eher ein Glück aufgeben, als es unter Vorwurf und Zweifel halb sein nennen.

Sie, Sie, mein einziger Vertrauter, sollen mir helfen, mich wieder zu finden. Werden Sie anstehen, mir die Wahrheit zu sagen? Kann auch die zärtlichste Schonung zögern, Wunden zu schlagen, um das Gift aus der Seele zu ziehen?

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 129-138.
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