Heinrich an Hugo

[124] Man glaubt immer, man könne einem Andern etwas Wichtiges, für ihn selbst Bedeutendes, sagen. Es ist eine Täuschung. Entweder weiß er es schon, oder er hört es nicht. Das innere Ohr ist eine Sensitive. Es verschließt sich, so wie man ihm nahe kommt.

Ich hatte mir in der vergangenen Nacht, die ich schlaflos zubrachte, vielerlei ersonnen, was ich Dir mittheilen zu müssen glaubte. Nun es dazu kommt, lasse ich es lieber. Dir hilft es nichts, und mich verleitet es vielleicht zu einer Uebereilung.

Hugo! wir verstehen uns ohne Worte. Aber ich fürchte, es kommt für Dich, wie für mich, wenig dabei heraus. In der Hauptsache macht es uns beide nicht klüger; denn bis auf einen gewissen Punkt bleibt der Mensch dem Menschen immer ein Räthsel. Die Alten kehrten das Inwendige nach Außen. Das schöne Ungeheuer, die Sphinx, war selbst das Symbol ihrer unaufgelösten[124] Aufgabe. Der Kopf wickelt sich wohl heraus aus der Hölle der Nacht, aber bis der Leib aufsteht, und sich nach eignen Gesetzen bewegt, bis der Gedanke ein Dasein hat, da müssen die Zeiten ihren Kreislauf vollenden, und die gebundenen Gebeine des Oedipus erst frei werden!

Du bist gefesselt, Hugo, was klagst Du mehr, als ein Anderer?

Im Grunde warst Du doch auch nicht mit Deiner frühern Stellung zufrieden. Hättest Du Dir genügen lassen an dem Besitz der Idee, wäre Dir das Eigenthum höherer Freiheit über alles lieb gewesen, und könntest Du Deinen ganzen Stolz darin finden, über die Köpfe eines leeren und flachen Geschlechts hinweg, mit den Flügeln des Geistes, die Nebel um Dich her zu zertheilen, Du lebtest freier. Doch, Dir spukt das vornehme Wesen und die Gespenster aus der Nacht alter Vorurtheile auch noch im Blute, Du bist auch erst mit halbem Leibe heraus. Trage, was Du nicht los werden kannst. Du wirst es lernen! Am Ende versöhnst Du Dich doch wohl noch mit der neuen Weise.

Die Ungleichheiten des Lebens verebnen sich eher, wenn es etwas giebt, die Zwischenräume[125] auszufüllen, und Glanz, Reichthum, Ansehen und Bequemlichkeit ändern Vieles.

Wenn Du ein gewöhnlicher, nichtiger, schlaffer Alltagsmensch würdest! Unmöglich! So beschwichtigt sich der heiße Durst der Seele nicht. Die Welt gießt wohl Wasser in die Flamme, aber, wo das Oel aus dem Mark und Saft des Innern quillt, da belebt sich die Gluth durch sich selbst.

Ich erinnere mich jetzt oft einer Aeusserung von Dir. Du warst noch sehr jung. Wir standen im Begriff, die Akademie zu verlassen. Die Pläne Deines Vaters, im Betreff Deiner militärischen Laufbahn, wollten Dir nicht einleuchten. Du hattest den Gedanken, in einem andern Welttheile zu suchen, was Du hier nicht zu finden glaubtest. Wir lasen gerade Le Vaillant's Reisen in Afrika. Dich stachelte der Trieb, das geheimnißvolle Herz dieses fremdgebliebenen Stückes Erde zu durchdringen. Es entstanden Dir, wie jedem Jünglinge, über alles, was er nicht kennt, phantastische Bilder. Tritt dergleichen erst in die Anschauung, so hat es auch Leben und Wirklichkeit. Man ist davon überzeugt, und will es auch Andern beweisen. Deinen Reiseprojecten fehlte nichts als die Ausführung. Ich setzte Dir[126] alles das entgegen, was auf Verhältnisse einer abhängigen Lage Bezug hat. Du gingst schweigend im Zimmer auf und ab. Nach einer langen Pause bliebst Du vor mir stehen, in einer Hand das Buch haltend, worin wir gelesen, legtest Du die andere auf meinen Arm, indem Du noch in Nachsinnen vertieft, ausriefst: »Ich will Dir etwas sagen, entweder man hat einen Zweck oder man hat keinen.

Im letzten Falle läßt man sich beherrschen, im ersten bedeuten die angelegten Ketten wenig.

Conventionelle Verträge sind eben auch nur conventionell. Sie sind etwas, insofern sie einer Idee entsprechen; geht diese über sie hinaus, so zerfallen sie in sich selbst. Deshalb, wie unbeweglich der behende Wettläufer auch dasteht, bis das erwartete Zeichen gegeben wird, der Fuß ist schon gehoben, das Auge faßt sein Ziel, und er mißt in schneller Berechnung Raum und Kraft gegen einander ab. Jetzt erschallt der Ruf. Im Fluge ist die Ferne durchmessen, die einen Augenblick zuvor unabsehbar schien. Glaube mir, der Mensch wurzelt nur da fest, wo ihn Trägheit bindet, oder Mangel eigner Kraft zum Nachgeben an eine fremde, überwiegende zwingt.[127] Der Erdenfleck, wo er steht, verschlägt hierzu nichts.«

Diese Worte, Hugo, sind mir unvergeßlich geblieben, nicht sowohl ihrer Bedeutung wegen, denn in diesen Jahren nimmt man es damit nicht so genau, und vieles klingt nur, weil es schallt, allein Dein Gesicht, Deine Gestalt machte in dem Augenblick einen besondern Eindruck auf mich. Die Augen flammten Dir, Deine Stirn glänzte, um die Lippen spielte ein geistig Lächeln, Du schienst mir größer; ich glaubte, der Boden trüge Dich nicht mehr, und sah Dich schon in Gedanken in weiter Ferne, über die Berge, den Strom und das ganze Festland wegfliegen. Nun bist Du doch wohl eingewurzelt. Die Zeit hat Dir, wie manchen andern Freiheitskindern, die Flügel beschnitten. Dir ahndet selbst so etwas. Der Ton Deiner Briefe ist melancholisch. Du hattest immer einen gewissen Hang zu dieser Richtung der Empfindungen, die, wie alle Blüthen eines schönen Frühlings, die Köpfe neigen, wenn der hohe Sommer heraufzieht. Bei Dir stand die Sonne schon sehr frühe in ihrem Culminationspunkte. Sonderbar! der kalte Norden drängt die Uebergangsperioden alljährlicher Entwickelung fast in einen Zeitmoment zusammen. Wäre auch in Dir[128] mehr Gluth als Wärme, und der Winter Dir nahe, wenn Du noch Rosen zu brechen gedenkst?

Es waltet eine gewisse, laue Ergebung in Allem, was Du sagst, die mich ängstigt. Sie erinnert eben nicht tröstlich an das Senken der Flügel, ehe man weiß, daß diese gebrochen sind. Lieber Hugo! Dir steht eine fatale Zwischenzeit bevor, und wohin Dich diese auch führe, ohne harte Kämpfe kann das nicht abgehen. Rüste Dich immer im Stillen dazu. Ueber Eins bin ich nur unsicher geworden. Hattest Du jemals einen eigenthümlichen Lebenszweck? und warst Du völlig im Klaren darüber? Sage mir das aufrichtig in Deinem nächsten Briefe. Das Maaß der Deutlichkeit unserer Vorstellungen hierüber bestimmt wohl zumeist das Nothwendige oder Zufällige einer Richtung.

Ich bin begierig auf Deine Antwort, lieber Hugo. Lebe bis dahin recht glücklich. Ganz der Deinige.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 124-129.
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