Hugo an Heinrich

[37] Ich bin hier im Schlosse des Oheims. Das erschöpft eigentlich alles, was ich Dir Interessantes von meinen gegenwärtigen Verhältnissen sagen kann, lieber Heinrich, denn es liegt zugleich die Feststellung eines dieser Verhältnisse überhaupt darin. Da es nun einmal dahin gekommen ist, so mag es darum sein. Mir lag niemals sonderlich viel daran. Ich hätte mir auch so durchgeholfen, und wäre freier geblieben.

Der alte Herr ist ein wunderlicher Heiliger. Er steckt so voll Vorurtheilen und verbrauchter Ansichten, daß es schwer hält, bis zu dem eigentlichen Kern in ihn zu dringen. Dieser ist gut, so viel ich davon entdecken konnte; aber die kleinen Poliermesser moralischer Spitzfindigkeiten haben auch schon erschrecklich daran genagt.

Glaubst Du, daß ihm sein früheres Verfahren leid ist? Ganz im Gegentheil! Er thut sich etwas darauf zu gut.

Sieh, solch ein Sclave ist das Gewissen! Es trägt die Livree jeder modernen Grille, die den augenblicklichen Herrn über unsere gesunden Gefühle spielt!

Uebrigens, einmal so ausstaffirt von der Zeit, in der ihm seine Rolle überkam, nimmt[37] sich der Comthur in dem steifen Prunk vornehmer Grundsätze weder lächerlich noch dürftig aus. Er imponirt und zieht, wegen der unverkennbaren Wahrheit einer zweiten, angebildeten und angewöhnten Natur, wie ein Räthsel, aus dem man klug werden möchte, jedweden an. Was würde deine psychologische Spurkraft hier nicht alles von Originalität und bizarren Elementar-Mischungen träumen.

Ich, für meinen Theil, hege einen andern Glauben. Originell ist in solchem Wirrwarr nichts. Das sind unverdaute Brocken schlecht gehandhabter Weisheit, die das Leben so lange beschweren, bis dieses sie wieder auswirft.

Grundsätze sind nur dann originell, wenn sie durch starke, eigenthümlich herrschende Gefühle erzeugt, eine Rechtfertigung derselben werden. Was die ganze übrige Welt verwirft, findet in der anders gestellten Ueberzeugung Schutz, und deshalb wird diese so trotzig und unbeugsam.

Wenn die sturmgepeitschten Wogen das Schiff krachend gegen ein Eiland werfen, so betrachtet sich die gerettete Mannschaft als Herr des gleichsam eroberten Bodens, und gründet nach eigenen Gesetzen ein neues Reich, eine neue[38] Heimath, welcher Noth und Willkühr den Zauber der ursprünglichen leihen müssen.

Ohne Umsprung des Geschicks, ohne Gewitter der Leidenschaft, zerfällt Niemand mit der Ordnung der Natur.

Aus diesem Quell entspringen aber nur sehr selten Abweichungen. Es giebt so selten starke Gefühle, wie starke Menschen. Das Geschick der Meisten gleicht sich auf ein Haar. Dadurch kommt nichts Neues in das Leben. Es ist immer das Alte, das nur dann überrascht, wenn es um ein Jahrzehend zurück, den vergessenen Rock zwischen einem modernen Costüm blicken läßt. Da ist es alt!

Der arme Comthur ist übrigens in den verwachsenen Kleidern auch nicht auf Rosen gegangen. Es ist nicht leicht, das Unnatürliche mit sich selbst in Uebereinstimmung zu bringen. Der Mann weiß heute zur Stunde noch nicht, was er auch sagen mag, ob er recht oder unrecht daran gethan hat, den Bruder aus der väterlichen Erbfolge auszuschließen. Deshalb mein Besuch hier.

Mir ist die ganze Geschichte fatal. Ohne dies Verhältniß zu Emma und die unruhige Geschäftigkeit ihrer Mutter, die sehr geschickt die[39] Muße und den Verstand einer Stiftsdame zu ihren Zwecken benutzte, wäre es niemals dahin gekommen.

Noch einmal, ich bin hier! und werde der Erbe eines reichen Mannes auf Kosten entfernter Vettern, die gewiß eine andere Rechnung gemacht hatten.

Meine Ankunft, wie mein Aufenthalt, ruht eben dieser Vettern wegen unter einer Art geheimnißvollem Schleier. Ich zog in der Nacht hier ein. Den Wagen, der mir entgegen geschickt wurde, benutzte ich nicht. Ich blieb zu Pferde und ritt bescheiden hinter des Oheims Equipage. So ist auch ungefähr mein Benehmen geblieben. Das heißt, ich stelle nichts vor und lasse mich vorstellen.

Unsere erste Zusammenkunft war von beiden Theilen steif. Das konnte nicht anders sein. Der Comthur ist von Natur ein wenig allzu hoch, für einen Sinn, wie der meinige. Ich bin immer ich selbst. Wir fanden uns gegenseitig nicht besonders befriedigt. Indeß hege ich niemals Groll gegen einen Menschen. Meine Brust hat keinen Raum für ein rein gehässiges Gefühl. Und Gründe, es zu erzeugen, fallen stets durch ruhige Betrachtung des Zusammenhangs feindlicher Verhältnisse,[40] in Nichts zusammen. Ich sehe die Dinge wie sie sind. Damit hat in der Regel die Critik ein Ende. Ich bin fertig in mir, und lasse es gut sein.

Diese ruhige Stimmung macht mich unbefangen. Ich streite nicht mit dem alten Manne. Wir nähern uns durch Gewohnheit.

An Emma habe ich geschrieben. Das vermittelnde Stiftsfräulein ist zu ihrer Mutter gereis't. An dem ganzen Gewebe fehlt nichts mehr, als daß es aufgerollt wird. Der Comthur hat schon Hand daran gelegt, und ich bin nun mit meinem Geschick am Ziele.

Das wäre ja wohl ungefähr das Wesentliche, was ich von mir zu melden hätte! Historisch betrachtet, ganz erstaunt viel! Für mich selbst, unglaublich wenig. Ich kann Dir nicht sagen, wie lächerlich mir zuweilen all die Anstalten für das Leben erscheinen. Dies selbst geht darüber hin. Das Lästige bleibt auf den Schultern liegen. Der unbefangene Genuß verflog, ehe man ihn kennen durfte.

Ich wünsche Dir Glück zu Deiner Freiheit. Halte sie in Ehren. Verschleudre sie um kein Schaugericht. Man wird nicht satt davon.[41]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 37-42.
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