Elise an Sophie

[26] Warum Sie nicht dennoch auf einen Augenblick herüber kommen, um Abschied von mir zu nehmen, das liegt am Tage. Sie fürchteten, trotz aller schönen Worte, mich unbescheiden zu finden, und wollten Ihr Geheimniß keiner Gefahr aussetzen. Ach! Sie hätten immer kommen können. Ich bin nicht begierig, das Verborgene zu enthüllen. Wie vieles ist doch über den Menschen[26] verhängt, wovon er keine Ahndung hat. Diese Familie! – vor acht Tagen noch so glücklich, und nun – Ja, es ist vorbei! Sie ist todt! Ich habe sie in den letzten Tagen nicht mehr gesehen. Seit Eduard wieder hier ist, durfte ich nicht das Haus verlassen. Er mag recht haben, nach seiner Art. Ich hatte es nach der meinigen auch. Es ist wahr, die Krankheit theilt sich mit. Die Magd und der älteste Knabe klagen sich seitdem auch.

Wir sollten erst alle nach der Stadt zurück. Allein, dort ist es noch viel schlimmer, die große Hitze hat da mehr als eine Gattung von Uebeln erzeugt. Kinder und Erwachsene sind dort gleich bedroht.

Zu meinem Trost hat der Arzt entschieden, daß nur das Leben in freier Luft ein Gegenmittel gegen Ansteckung sei.

Seitdem treibt mich Eduard schon früh am Morgen zu Fuß oder zu Wagen mit Georg hinaus. Ich lasse mich auch nicht lange dazu nöthigen. Mir ist wohler im Freien. Sonst fühle ich mich matt, und so betrübt, daß ich noch zur Zeit an nichts in der Welt Theil nehmen kann.

Die schönen Buchen am See zogen mich[27] zuerst in ihre Schatten. Hier suchte ich die letzten Spuren der Verstorbenen. Wie ich die dunklen Reihen der Bäume entlang ging, glaubte ich die leise, etwas schüchterne Frau, mit ihren kurzen, eiligen Schritten neben mir gehen zu hören. Ich stand still und sah betrübt umher. »Weißt du wohl?« sagte Georg, indem er wichtig mit dem Köpfchen nickte. Er machte eine so gerührte Miene dazu, daß ich mich der Thränen nicht enthalten konnte. Nun fing er auch an zu weinen. Ich suchte gar nicht ihn zu beruhigen. Warum soll er nicht frühe das Traurige traurig nehmen. Man findet sich nur zu leicht darin.

Nach einer Weile tröstete er sich ganz von selbst. Er sprang umher, machte die erste beste Gerte zum Reitpferd, und sagte nur noch einmal, während er sein hölzernes Pferdchen anhielt, und flüchtige Erinnerungen in sich zusammen suchte: »Hier haben wir so hübsch gespielt!«

Diese Betrachtung hinderte ihn aber nicht, gleich wieder recht hübsch zu spielen; das Vergangene war nun vergangen!

Wir machen es Alle nicht anders, liebe Sophie. Kinder sind kleine Menschen. Der ganze Unterschied zwischen ihnen und den größern[28] liegt im Bewußtsein der Wandelbarkeit des Innern und der Schaam darüber.

Warum schämen wir uns aber? Da das Festhalten der Gefühle uns doch nur elend macht. Denken Sie selbst, was käme dabei heraus, wollte man bei dem verweilen, was Einem völlig mit der Gegenwart entzweien müßte? In den meisten Fällen ist es besser, mit dem Leben zu gehen, als stehen zu bleiben, und seinen Lauf anzuhalten.

Und denn, wie jeder kann!

Es ist wahr, wir ärgern uns, wenn gewisse, mit der Seele eins geglaubte Stimmungen uns plötzlich verklungen scheinen, und oft kein Ton mehr davon zu finden ist. Ich glaube, wir verwechseln den Beruf zur Ewigkeit, mit der Fähigkeit des Herzens, ihr schon diesseits angehören zu können.

Aus der einen Täuschung, welche fortgeerbter Wahn heilig spricht, geht das ganze Heer gezierter Selbstbetrügereien hervor, die das wahre Gefühl mehr entweihen als in Ehren halten.

Ich war erst böse, als ich gestern den Amtmann zu Pferde bei seinen Arbeitern sah. Ich hatte unrecht. Das Leben tritt nach jeder Unterbrechung wieder in seine alte Ordnung. Man muß da mit hinein.[29]

So lange ein Gefürchtetes noch dunkel herannaht, stehen wir in lähmender Spannung auf der Folter der Angst, unfähig etwas Anderes zu empfinden. Ist der Schlag geschehen, so fallen wir entweder mit, oder wir werfen einen wehmüthigen Blick in den Abgrund, der das Liebste verschlang, verschütten ihn, und säen in der aufgelockerten Erde neue Saaten.

Georgs Wünschelruthe hilft einem Jeden über die Trauer hinaus. Irgend wo schlägt sie immer ein, wo man Gold, oder doch diesem ähnliches Metall findet.

Mir ist, Sophie, als schüttelten Sie hier zweifelhaft den Kopf. Sie freilich wollen es nicht Wort haben, daß man verschmerzen könne, was das Herz brach. Nun, und dennoch gehen Sie ihren Weg wie alle Menschen, und haben noch überdies etwas, das Sie stets auf das Angenehmste begleitet. Sehen Sie, so verwandelt sich alles, auch der Kummer in sich selbst, und nimmt von der Farbe und dem Lichte der Welt, in der wir leben, unwillkührlich mehr und mehr an. Wir schaffen uns das Verlorne noch einmal, und söhnen uns auf diese Weise mit dem Geschiedenen aus.[30]

Ich lasse diese Blätter unabgeschickt liegen. Sie enthalten zur Zeit wenig, das der Mühe verlohnte, sie einen weiten Weg machen zu lassen. Ich bin gewöhnt, jeden flüchtigen Gedanken zu Ihnen hinüber zu schicken; ich bin jetzt so allein, – Sie fehlen mir an jeder Stelle, ich schreibe also, wie ich schreiben würde, wären Sie in Ihrem Stift, oder wie ich Ihnen gegenüber sprechen würde.

Mit dem Letztern ist es indeß doch etwas anders. Es schreibt niemand wie er redet; schon deshalb nicht, weil das Alleinsprechen eine weit besonnenere Verbindung der Sätze, ja, eine consequentere Gedanken-und Wortfolge heischt, als die mündliche Mittheilung, welche unwillkührlicher und schöpferischer ihre lose Fäden auf gut Glück auswirft, und ein Ganzes, mehr durch die Harmonie des Zusammenklingens, als durch Entwickelung und Abrundung des Einzelnen hervorbringt.

Mein Gott! Sophie, wie gelehrt klingt das! – Ich glaube, das Alleinsein taugt mir nicht. Ich werde eine ganz andere Person. So grübelnd und motivirend. Versicherte mich der Arzt nicht, ich sei gesund, so würde ich mich krank glauben. Es ist mir viel schwerer als sonst.[31] Man sagt von gewissen Gegenden und Orten, sie hätten Einfluß auf die Gemüthsstimmung. Fast möchte ich denken, das Plätzchen unten am See, in dem melancholischen Schatten der Buchen, so voll dunkeln, geheimen Lebens, rege allzu ernste Gedanken in mir auf. Ich horche Stunden lang auf das sonderbare Rauschen über mir in dem hohen Blätterdach, und sehe die grau gestreiften Wellen in immer tieferm Farbenton zwischen den Bäumen hinfließen, ohne daß ich Lust hätte, andere Gesellschaft, als die der einsamen Natur, aufzusuchen. So etwas ist mir fremd. Ich bin nicht für sentimentale Spiele der Einbildungskraft. Sie entzweien mit der Wirklichkeit. Auch scheue ich das wehmüthige Dämmerlicht, was sie den Gegenständen zurücklassen. Und dennoch übt der Platz unwiderstehliche Gewalt über mich aus. Ich werde ihn meiden müssen. Mir taugt das allzu tiefe Hineinsehen in die Verknüpfungen des Daseins nicht. Man sieht doch nur bis auf einen gewissen Punkt, und wird unsicher.

Ueberdies bin ich dort nicht mehr völlig allein. Ich habe, glaube ich, vergessen, Ihnen zu sagen, daß der Fremde zuweilen hier umher streift. Entweder er fährt in einem kleinen Kahne pfeilschnell vorüber, oder seine Gestalt erschreckt mich plötzlich[32] zwischen der Umbüschung am Ufer. Die Eile, mit welcher er sich entfernt, scheint seine unberufene Dazwischenkunft entschuldigen zu sollen, indeß fällt mir die Störung immer unbequem; um so mehr, da Georg jedesmal ganz verschüchtert zu mir gelaufen kommt, und mich mit Fragen quält, wer der unartige Mann sei, der so nahe an das Wasser gehe?

Ob ich denselben auch nie anders als aus einer gewissen Ferne sah, so scheint er mir doch für einen gewöhnlichen Sekretär oder Geschäftsführer eine allzu edle Haltung zu haben, ja, eine zu vornehme Art, die Dinge anzufassen und zu nehmen. So steht er oft so auf gewisse Weise hoch und gebieterisch, die Arme über einander geschlagen, den Kopf gehoben, in dem Kahn, wenn er diesen, durch ein Paar gewaltsame Ruderschläge, in das Getriebe der Fluth gebracht hat, und ihn nun läßig auf dieser fortschwimmen läßt. Die Arme liegen auf dem ruhenden Holze, das er wie einen Stab gegen den Boden des Schiffchens gestemmt, aufwärts hält, als gebiete er den Wellen.

Neulich hatte er im Vorüberfahren, auf solche Weise stehend, das Ruder weggeworfen, und die Jagdflinte auf einen Zug Wasservögel angelegt.[33] Er drückte indeß nicht ab. Auch sah ich ihn das Gewehr bei Seite legen. Vielleicht hatte er das Kind bemerkt, und wollte es nicht erschrecken. Ich nahm bei dieser Gelegenheit indeß wahr, daß er das Weidwerk weder wie ein Laie noch wie ein Mann von Metier trieb, vielmehr den Anstand vornehmer Spielerei dabei entwickelte. Und trotz alledem, wird es doch wohl mit dem subordinirten Sekretärposten seine Richtigkeit haben. Er kennt seine Stellung, und sucht mit Leuten gleichen Standes Bekanntschaft zu machen. Den Tag nach der Beerdigung der Amtmännin kam er spät Abends, der Familie einen Besuch zu machen. Er trat unerwartet ins Haus, klopfte an die erste beste Thüre, und eilte, als der betrübte Hausherr sein gastliches »Herein« gesprochen hatte, mit so bekümmerter Miene auf diesen zu, als habe er eine nahe Anverwandtin in der Todten zu beweinen. Ich bin hier fremd, sagte er, indem er des Amtmanns Hand ergriff, und sie schüttelte, aber ich habe von Ihrem Unglück gehört und kann Ihnen meine Theilnahme nicht länger verbergen.

Er schwieg darauf, ohne weiter etwas über sich, seinen Namen, Stand und Aufenthalt hinzuzusetzen. Der Amtmann bat ihn, niederzusitzen.[34] Er lehnte es höflich ab. Seine Augen suchten die Kinder. Der älteste Knabe war nur gegenwärtig. Er legte ihm die Hand, mit dem Ausdruck zärtlichen Mitleids auf den krausen Lockenkopf, und sah ihm eine Weile schweigend, aber tief in die Augen. Gleicht er der Mutter? fragte er darauf. Der Vater schüttelte den Kopf. Hervorstürzende Thränen hinderten ihn, sogleich Worte zu finden.

»Sie war die Tochter des Hofpredigers S–? hub der Fremde nach einer Weile an. Ich bin dem Manne viel schuldig,« setzte er hinzu. Um seine Lippen zuckte es schmerzlich. Er zog die Hand von des Kindes Stirne zurück, und ging einigemal in sichtbarer Bewegung auf und ab. Sein ganzes Wesen, wie auffallend auch immer sein Erscheinen sein mochte, drückte tiefsinnigen Ernst und weiches Mitempfinden aus.

Wie er gekommen war, so ging er. Unvorbereitet, schnell. Er war fort, ehe man es dachte. »Nun, wir sehen uns bald wieder,« sagte er, leichthin grüßend. Und damit war er zur Stube hinaus.

Ich weiß dies Alles von unserm Arzt, der unter die Zahl meiner Freunde gehört, und mich oft besucht. Er war bei dem seltsamen Auftritte zugegen,[35] und konnte mir den Unbekannten nicht interessant genug beschreiben.

Sophie, das Prädicat als Sekretär thut ihm doch einigen Schaden bei mir. Dies klingt schlimmer als es ist. Denn, wahr bleibt es einmal, was hat man von der Nachbarschaft eines Menschen, der nie zu unserer Gesellschaft gehören wird. So lieb mir der Arzt ist, so fatal wird mir ein gewisser lauter und roher Justizrath, der mit Eduard Geschäfte hat, und mich sehr langweilt. Der Mensch giebt so viel zu verstehen, und plaudert so gern aus der Schule, daß ich ihm, fast wider meinen Willen, aus dem Wege gehen muß, um nur keinen Antheil an einer Indiscretion zu haben, die Eduard weder ihm noch mir verzeihen würde. Gewiß aber ist es, er hat die Hände mit im Spiele, was auf des Comthurs Heerde geschmiedet wird.

Nun werde ich bald mehr erfahren. Die Gräfin kommt mit ihrer Familie aus dem Bade zurück, und bezieht noch für die Sommermonate ihren Landsitz. Die gewandte Frau weiß sicher in vier und zwanzig Stunden mehr von dem, was hier vorgeht, als wir in einem halben Jahre.[36]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 26-37.
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