Rosalie an Agathe

[148] Warum Du auch gerade in den Paar Tagen, die wir in der Stadt zubringen wollen, den fatalen rothen Fleck auf die Backe kriegen mußtest! Er entstellt Dich eigentlich gar nicht, und wer es nicht wüßte, hätte es kaum bemerkt. Aber Mama sagte noch unterweges: Eine junge Person könne nicht ängstlich genug sein, sich jeden Augenblick auf das Vortheilhafteste zu zeigen. Oft[148] reiche ein einziger, ungünstiger Eindruck hin, ihre ganze Zukunft zu untergraben. Und darum sei es recht gut, daß Du zurückbleiben, und Dich auf dem Lande verstecken könntest. Mama hat in so etwas sehr viel Erfahrung! Ueberhaupt ist sie unglaublich klug. Denke Dir, sie hat es richtig dahin gebracht, daß ihr gestern der neue englische Gesandte und seine Frau die erste Visite machen mußten. Es war übrigens einmal wieder so voll in unserem Salon, wie mitten im Carnaval. Ich hatte das neue Pariser Linonkleid an, und die Haare von Charles arrangirt, Du kennst seine einzige Art. Curd sagte, ich sähe gerade aus, als hätte man mich aus dem hübschen Wiener Modejournal herausgeschnitten. Ich fand, daß er Recht hatte. Meine Toilette war äusserst modern, und sehr gelungen, denn der Lord und die Lady fixirten mich mehrmals, und sagten dann zur Mama: ob ich in Paris erzogen sei? Mama lächelte geschmeichelt, mußte aber die Wahrheit bekennen, was ihr, denke ich, sehr zur Ehre gereicht, da wir doch allein durch sie sind, was wir sind.

Stelle Dir vor, der Nachbar der Tante, Baron Wildenau, ließ sich mit seinem Sohne melden, gerade als die ganze elegante Welt bei uns[149] versammelt war. Ich hatte bald den Tod vor Schreck. Erinnerst Du Dich wohl noch den langen, dünnen, ungelenken, verdrießlichen Leontin, der so oft, während unsers langweiligen Aufenthalts bei der guten Tante, auf einem abscheulich häßlichen Schimmel geritten kam, einen schiefen Diener machte, an der Thüre stehen blieb, und kein Wort sagte? Mir war die Figur unvergeßlich geblieben. Es sind vier Jahre her, wir waren beide ziemlich klein, aber ich sah uns noch verstohlen hinter der Gardine, so oft die Visite im Anzuge war. Nun mache Dir einen Begriff von Mama's Verlegenheit, wie der Name Wildenau genannt ward! Sie behielt keine Zeit, etwas zu erwiedern, die Thüren gingen auf, Vater und Sohn standen vor uns. Es ging aber Gottlob besser, als ich dachte. Der Baron sieht am Ende aus, wie viele Leute seines Alters, und Leontin hat sich ziemlich ausgebildet, seit er von seinen Reisen zurück ist. Mama sagt auch, er sei allenfalls zu produciren, ob er gleich außerordentlich zurückhaltend ist, auch viel steifes Wesen behalten hat. Ob er sprechen kann? weiß ich nicht, ich glaube aber, damit ist es noch so, wie sonst. Im Ganzen nimmt er sich aber, ich versichere Dich, ganz leidlich aus, und wenn er nur einen ordentlichen[150] Contretanz in Paris einstudirte, so werde ich es auf dem nächsten Balle nicht ausschlagen, mit ihm zu tanzen, denn, wirst Du es glauben? die Lady betheuerte, sie habe den Herrn für einen Engländer gehalten. Ich mußte beinahe laut auflachen, dachte ich an unsere frühere Bekanntschaft zurück.

Weißt Du, Agathe, ich wäre rasend gern eine Lady. Es klingt so erstaunt appart. Diese hier ist zwar gar nicht auffallend. Ich hätte es ihr nicht angemerkt, daß sie übers Meer kam. Ja, um aufrichtig zu sein, ich würde sie eher für eine Dame aus der Provinz gehalten haben. Sie zieht sich geschmacklos und doch übertrieben kostbar an, sitzt ganz grade, und bewegt sich nur selten, wenn sie spricht. Es klingt immer, als wenn sie blöde und unsicher wäre; das schadet ihr aber alles nicht, sie wird doch ausgezeichnet, da sie eine Fremde ist. Das thut gar zu viel in der Welt. Mein Gott, warum kann ich nicht für einen Winter nur, eine Fremde sein!

Der Baron hat Mama gebeten, Leontin in der Gesellschaft Zutritt zu verschaffen. Mama warf einen ihrer prüfenden Blicke auf den jungen Menschen, als wenn sie sehen wollte, ob es sich der Mühe verlohne? Er stand vor ihr, ließ den[151] Vater für sich sprechen, setzte nicht eine Sylbe hinzu, und wandte sich, mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt, wieder ab, als beide aufhörten, von der Sache zu reden. Mich betrachtete er ein paarmal, ohne indeß eine Miene zu verziehen. Curd lachte mich darüber aus, ich mußte wohl oder übel, mit lachen, unser stumme Gast ging eben vorüber. Ich hörte, wie ihn Curd ziemlich spöttisch fragte, weshalb er nicht die alte Bekanntschaft mit der Tochter des Hauses erneuere? Leontin sah ihn verwundert an, indem er kurz und trocken erwiederte: »ich fand noch keine Veranlassung dazu!« Findest Du das nicht höchst sonderbar? Mir scheint es unhöflich.

Stelle Dir vor, alle Leute sind hier voll von der Schönheit unserer neuen Nachbarin. Man übertreibt wieder einmal auf das Lächerlichste. Mama sagt, es thue ihr leid um die kleine Frau. Wenn sie erscheinen werde, dann sei es Jeder schon müde, von ihr zu sprechen, und sie werde damit enden, gar nicht zu gefallen. Hugo hat ganz den Ruf eines interessanten Sonderlings. Ich werde von aller Welt über ihn befragt. Es ist wahr, er ist der schönste Mann, den ich kenne.

Morgen sind wir auf ein Dejeuner beim russischen Gesandten. Der Hof wird auch da sein.[152] Die himmlische Meierei an der Burgwiese ist neu dazu eingerichtet. Ich freue mich unmenschlich darauf. Arme Agathe, wenn Du doch auch hier wärest!

Ich schicke Dir diesen Boten, um Dich zu bitten, daß Du mir Deinen allerliebsten Basthut mit den Veilchen leihen möchtest. Thue mir den einzigen Gefallen, liebe Schwester. Siehst Du, meiner hat auf dem Transport einen Kniff in der Krempe gekriegt, und seit ihn die Nettencourt in die Hände genommen hat, um ihn wieder zurecht zu machen, ist er total verdorben. Mama schwört, daß sie es absichtlich gethan hat, aus Aerger über die französische Waare. Nicht wahr, Du leihst mir Deinen? Ich rechne bestimmt darauf. Es wäre auch unglaublich unfreundlich, wenn Du mirs abschlügst. Jetzt kannst Du ihn ja doch nicht gebrauchen. Mit dem enormen Fleck auf der Backe, würdest Du doch nicht erscheinen können, und Mama gäbe es auch gar nicht zu, könnte es um Deinetwillen nicht zugeben. Siehst Du, und im Winter ist er aus der Mode, dann schenke ich Dir einen neuen. Ich spare schon Geld dazu. Vielleicht brauche ich das nicht einmal zu thun. Es kann sich wohl bis dahin Vieles ändern! – Weißt Du, die Tante ist sehr[153] krank, Baron Wildenau sagte es gestern. Wenn sie stirbt, sind wir die reichsten Parthien im Lande. Dann kriegen wir auch Zobelpelze zu Weihnachten! Das Dümmste wäre nur, wenn sich die Krankheit noch lange hinzöge, und der Tod uns die Trauer mitten im Carnaval auflegte. Wer will aber so weit vorausdenken? Und nicht wahr, Agathe! Du schickst mir den Hut?

Adieu, liebe Schwester! Ich umarme Dich tausend mal.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 148-154.
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