Der Comthur an Sophie

[293] Ich war bei Ihnen, Liebe! Sie sind in der Messe, sagte man mir. Ich wollte Ihnen sagen, was ich mich nun genöthigt sehe, Ihnen zu schreiben. Es ist mir leid. Sie hätten mich wohl beruhigt, und wären sich selbst dadurch klarer geworden, statt daß ich Ihnen nun alles Unangenehme so über den Hals schicken und es dem Himmel überlassen muß, wie Sie damit fertig werden.

Sie brauchen in Ihren Muthmaßungen nicht weit zu gehen, um sogleich auf Hugo zu stoßen. Ich weiß wohl, daß Sie längst seinetwegen Besorgnisse hegten, ohne diese eingestehen zu wollen. Es konnte Ihnen, so wenig wie Elisen, die Spannung seines verstörten, unstäten Wesens entgehen. Er selbst glaubt sich krank. Der Arzt fand sein Blut aufgeregt, doch sonst keine Spur gestörter Gesundheit. Sein Kammerdiener Birkner sagte uns darauf, sein Herr bringe alle Nächte außer dem Bette, beim Schreibtisch, zu; soviel[293] er bemerkt, bleibe er indeß müßig vor demselben sitzen, halte die Feder in der Hand, sehe angestrengt bald auf dieses, bald auf jenes beschriebene Blatt, scheine aber nichts zu lesen. Wenn ihm endlich die Augen zufielen, dann fahre er in die Höhe, stürze aus Fenster, oder laufe auch hinunter in den Garten, von wo er häufig erst beim Anbruch des Tages mit allen Zeichen innerer Erschütterung zurückkomme.

Dies nun, und Mehreres, was ich sonst noch im Hause erfuhr, bewies mir, daß etwas Fremdes, nicht in sein früheres Geschick Verflochtenes, ihn in unnatürliche Kämpfe verstrickt halte. Ich wollte dem auf die Spur kommen, deshalb ging ich zu ihm auf's Zimmer. Er mochte eine Ahndung meiner Absicht haben. Verschlossen, und mit einer Eisrinde überzogen, trat er mir entgegen. Wir hatten eine seltsame Unterredung, während welcher er in dem Maße zurückgezogener ward, als ich mich in meinem Eifer fortgerissen fühlte. So sagte ich zu viel und er zu wenig, was mich verdroß, weil ich ihn eigentlich stacheln und zu Eröffnungen zwingen wollte. Ich wäre zu weit gegangen, hätte ich mich nicht gefaßt, hätte ich nicht dem Verlaufe nachgedacht. Da konnte es denn nicht fehlen, daß mir Eins und das Andere in Hugo's[294] Worten besonders auffiel, und ich eine fremde Härte, eine Sprödigkeit darin wahrnahm, die mich auf gänzliches Verlieren an einen neuen, ihn durchaus beherrschenden Gegenstand seines Herzens, oder seiner Phantasie schließen ließ.

Ich erschrack, und warf ihm noch eine ernste Warnung ins Gewissen, ehe ich ging. Er that nichts, mich eines Bessern zu überzeugen. So stolz stand er mir niemals gegenüber. Ich war sehr geneigt, dies hochfahrende Benehmen auf Rechnung eines beunruhigten Gewissens zu schieben, und ward hierin bestärkt, als ich erfuhr, Hugo habe den schlauen Walter in geheimen Aufträgen versandt. Nehmen Sie hierzu, das Umherschweifen bei Nacht, rechnen Sie den plötzlichen Aufschub seiner Heirath, mit vielen andern Nebenumständen zusammen, und sagen Sie selbst, ob der Verdacht, daß eine neue Liebe, eine heimliche Verbindung ihn von Elisen abziehe, wie diese ihn früher von Emma abzog, etwas Undenkbares sei?

Aber wo den Gegenstand dieser finstern, unseligen Leidenschaft suchen? Ich verlor mich in Muthmaßungen.

Jetzt, Sophie! ist der Graf seit zwei Tagen fort, mit Post abgereist, ohne vorhergegangene[295] Anstalten, ohne hinterlassene Befehle, ohne irgend eine Maßregel, die auf besonnenen Entschluß deutet, und – kaum getraue ich mir's zu denken, geschweige denn auszusprechen. Doch auffallend muß es sein, daß auch die Fremde in unserer Nachbarschaft mit einemmale verschwunden ist. Ich wage keine bestimmte Beziehung hier festzustellen, allein – wenn es wäre, wenn Alles verabredet, wenn die Intrigue vollkommen zu machen, der Schein der Gemüthskrankheit eine Komödie wäre? – Liebe! ich überlasse Ihrem Scharfsinn das Uebrige.

Was meinen Sie aber, daß wir Elisen sagen? Ich wollte das an diesem Morgen mit Ihnen verabreden. Es war zu einer Stunde, in der ich Sie allein zu finden hoffen durfte, da unsere Freundin lange schläft, oder doch wenigstens das Bett erst spät verläßt. Es muß ihr auffallen, nichts von Hugo zu sehen und zu hören. Was können wir aber gescheuter Weise ersinnen, das ihr genügen würde? Das Herz ist in solchen Fällen klüger als der Kopf, wenn Verstand verstehen heißt. Ich fürchte, die Arme ist nicht lange mehr zu täuschen!

Bestimmen Sie, liebe Sophie! über mich. Ich versichere Sie, wie immer, meines Gehorsams.[296]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 293-297.
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