Sophie an den Comthur

[182] Ich konnte Ihnen gestern Abend nichts mehr über meine Unterredung mit Ihrem Neffen sagen. Sie waren zu eilig, die Gräfin zu geschwätzig, ich, weder aufgelegt noch unbefangen genug, Gelegenheit zu besonderer Mittheilung zu suchen. Sie erfahren ohnehin nicht viel Erwünschtes. Es blieb ein verfehltes Unternehmen. Hugo, einsilbig und unzugängig, wie Sie ihn kennen, wenn er etwas anders im Sinn hat, hörte mich nicht kommen, und ich durfte mich durch nichts verrathen.

Daß er bei mir war in Ihrem Auftrage, mit der Einladung: Sie Abends in Ulmenstein zu treffen, gab mir Veranlassung, von Ihnen zu sprechen. Ich freute mich Ihres Wohlseins, und daß er so liebevoll die Pflege des Oheims übernommen habe. Er lächelte mit halbem Munde, ließ mich reden, und hub, während einer sehr natürlich eintretenden Pause, an: »Sagen Sie[182] mir doch, wissen Sie nichts Näheres von den Leuten drüben, die in des Präsidenten Hause wohnen?«

»Nicht ein Wort,« entgegnete ich. Er versank in stummes Nachsinnen. »Wie kommen Sie hierauf?« fragte ich, überzeugt, hier unmittelbar an seine Gedankenreihe anknüpfen, und das Gespräch auf Elise führen zu können.

»Durch eine Zufälligkeit,« versetzte er gleichgültig. Ich sah ihn ungewiß an. »Ach mein Gott!« fuhr er in seiner matten Lauheit fort: »Es ist in der Welt Gottes nichts, als der flüchtige Zufall, daß ich kürzlich auf ziemlich besondere Weise jenen Unbekannten begegnet sein könnte.«

Er vermied, sich deutlicher zu erklären, indem er eilig hinzusetzte. »Es war während dem letzten großen Sturm, wo ich Gelegenheit fand, Reisenden einen Dienst zu leisten, Ausländer, einer vornehmen, geistlichen Dame, die durch den Schreck des mißlichen Augenblicks oder durch Krankheit, in fast abwesender Gemüthsverfassung zu sein schien.

Heute hörte ich, drüben sei eine menschenscheue Italienerin eingezogen, welche Nachts, und nur bei Mondenlicht, ihr Zimmer verlasse, und auch dann nur verschleiert umher gehe. Man[183] habe sie nach nördlichen Climaten geschickt, und mit einem Aufenthalte in hiesiger Gegend angefangen, um sie nach und nach an rauhere Uebergänge zu gewöhnen. Vor wenigen Tagen sei ein alter Geistlicher dort gewesen, der hierauf zu den Remonstratensern ging, mit denen die Dame wohl auch in Verkehr stehe. Ich kombinirte Manches aus der Erinnerung des Reiseabentheuers und –« er zog die Schultern mit einigem Selbstbespötteln in die Höhe. »Und,« lächelte er, »ward neugierig auf die fremden Gäste.« Er schwieg hier, ein wenig düster vor sich hinsehend.

Diese kleine Episode hatte mich völlig von dem eingeschlagenen Wege abgebracht, ich weiß nicht, weshalb mir Hugo heute überall finsterer und befangener, als seit langer Zeit vorkam. Ist es Elise, die ihn beschäftigt? dachte ich, so wird er mich verstehen, wo nicht, so läßt er es gut sein und denkt nicht weiter daran.

»Das Schloß in Wehrheim,« hub ich deshalb ohne sonstige Einleitung an, »es ist nun vollkommen fertig?« »Bis auf einige Kleinigkeiten im Innern, ja,« entgegnete er. »Wissen Sie,« sagte ich lachend, »daß man Sie schon mit einer zweiten Gattin dort einziehen sieht?« Eine unwillige Falte flog auf seine Stirne, als[184] er mit der Antwort zögernd, durch ein kurzes, abstoßendes »Hm!« die Aeußerung bei Seite warf.

»Halten Sie das für so unmöglich?« fragte ich hierauf. »Unmöglich! ganz unmöglich!« entgegnete er bestimmt. Er sagte das mit mehr Wärme und Heftigkeit, als er sonst in das gesellige Gespräch hineinträgt. Die Ungeduld hatte ihn von seinem bisherigen Platze aufgejagt. Er ging einigemale durch das Zimmer, dann wandte er sich, blieb vor mir stehen, und meine Hand ergreifend, lächelte er ein wenig scharf, wie mich dünkte, indem er äußerte: Er wolle nicht forschen, wie ich zu der Frage komme! doch hätte ich unrecht, das möchte ich glauben.

Er ging. Ich rief ihm nach, sich deutlicher zu erklären, ich verstehe ihn nicht. Schon in der Thüre trat er ein Paar Schritte zurück. »Liebe!« bat er, »verhüten Sie, daß irgend Jemand an dies verschobene Geschick rühre. Ich bin nicht glücklich zu machen,« setzte er ernsthaft hinzu. »Wie ich es sein könnte, begreift Niemand, darum bleibt es ein Ideal! Und Ideale,« lachte er, »das ist ja schon oft gesagt, die passen nicht in die Wirklichkeit.«

Es lag Bitterkeit in seiner Miene, wie in[185] dem Ton der Stimme. Darum hielt ich ihn auch nicht länger, als er mich ziemlich eilend verließ.

Sie sehen, lieber Freund! ich bin nicht glücklich in meinem Versuch gewesen. Ich fürchte auch, wir dürfen ihn nicht wiederholen, wenn wir uns nicht um alles Vertrauen bei Ihrem Neffen bringen wollen. Und ehrlich gesprochen, was hoffen Sie im Grunde Ihrer Seele? Ich weiß nicht, die Zukunft kann mir bei Hugo niemals einfallen. Es ist, als wenn er keine hätte. Wenigstens suche ich den Faden vergebens, durch den sich Fortgang und Reife im Leben entwickeln.

Sie wollen hier die Eigenthümlichkeit nicht berücksichtigt wissen. Nothwendig nennen Sie den Schritt, den die voreilige Störung wieder mit gesetzlicher Ordnung ausgleicht. Hugo sei Elisen ein Opfer schuldig. Er müsse sich durch sie vor der Welt herstellen.

Lieber! anders denkt der Mann, anders fühlt die Frau. Glauben Sie mir, Elise paßt noch weniger, als Emma für ihn; und leicht könnte das zweite Aergerniß durch die Leidenschaftliche schlimmer werden, als das erste. Ich mag hierin irren. Doch lassen wir der Zeit ihren[186] Lauf. Zudem ist für jetzt in der Sache um so weniger etwas zu thun, als ich Ihrem Neffen eine gewisse, geheimnißvolle Unruhe anfühle, die ich nicht zu erklären weiß. Elise ist es nicht, die ihn beschäftigt. Ueber sie scheint er in sich uneins. Er vermeidet, von ihr zu reden, vielleicht deutlich über sie zu denken. Wir könnten ihn wohl gar von ihr entfernen, indem wir Beide zu vereinen streben.

Wenn ihm aber die augenscheinliche Unruhe nicht durch sie kommt, was hat er denn?

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 182-187.
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