Sophie an den Comthur

[335] Sie erwarten in jedem Augenblick Hugo? schreiben Sie mir! Sie denken, er werde endlich von Wehrheim zu Ihnen herüber kommen, und wollen ihn nicht verfehlen. Sie besuchen uns deshalb heute nicht, und möchten doch wissen, ob Elise ihre feste, klare Stimmung bewahrt? ob sie noch so einverstanden mit ihrem Geschick, es ruhig trägt? ob sie auch nicht körperlich leidet?

Nun, ich kann Ihnen sagen, daß wir bis jetzt nichts für sie zu fürchten haben. Ja, ich finde sie freier, mehr sie selbst, als in der ganzen letzten Zeit. Ich äußerte ihr dies vorlängst beim[335] Frühstück. Sie sann einen Augenblick nach. »Ich glaube, Sie haben recht,« sagte sie darauf. »Wenn der Schlag gefallen ist, so weiß man, ob man lebt, oder man weiß nichts mehr. – Aber die Angst vorher macht uns kindisch, oft verächtlich. Ich fürchte,« setzte sie nach einer langen, stummen Pause hinzu, »Hugo's größte Plage hebt von meiner Krankheit an. Er hat mich so schwach gesehen, und Gott weiß es, diese Schwäche wollte nicht weichen. Ich hatte das Gefühl davon, ich schämte mich vor mir selbst, vor Hugo, aber es blieb vergeblich, ich kann nicht drüber weg. Und es ist doch keine Frage, daß nur in meiner Hand sein Glück lag.«

Ich konnte das nur zur Hälfte zugeben. Ich führte sie auf die Unfähigkeit bei Hugo zurück, sich irgend eines ruhigen Besitzes freuen zu können, auf den raschen Wechsel seiner Stimmung, auf das schnelle Ermatten jedes Gefühls in ihm.

»So ist er nun aber einmal!« unterbrach sie mich. »Ich wußte es. Er war mir über Alles lieb, gerade in seiner Eigenthümlichkeit. Weshalb hörte ich auf, diese zu ehren, da es nichts mehr galt, als äußere Rücksichten geltend zu machen?«

»Wie,« fragte ich unangenehm überrascht, »Sie bereuen den ganz natürlichen Wunsch, auf[336] die einfachste Weise von der Welt einer ungehörigen Verbindung, sittliche Gültigkeit und göttliche Weihe geben zu dürfen?«

»Ja,« erwiederte sie, »das bereue ich.«

Mir stieg das Blut ins Gesicht.

»Mißverstehen Sie mich nicht,« fuhr sie schnell fort. »Das bereue ich, überhaupt an die Dauer dieser Verbindung gedacht zu haben, seit ich sie zerriß, indem ich ihr Dasein aussprach. Hugo's tiefste Seele war in dem Augenblick verletzt, unheilbar verletzt! und die wunde Stelle blutete, so oft er mich wieder sah. Ich war ihm eine Andere geworden, die Welt, die Zeit, die Liebe, von der er nichts, als den Vorwurf empfand, sie so platt in die breite Gewohnheit des Lebens hineingeworfen zu sehen.«

»Sie raisonniren über Hugo,« lächelte ich. »Sie sind kälter, und begreifen jetzt, was Ihnen früher die Leidenschaft verbarg.«

»Leidenschaft!« seufzte sie gedankenvoll. »Ich möchte sie niemals gekannt haben. Es ist ein taumelnder, unbewußter Rausch, in dem man weder sich, noch den Gegenstand des heißen Wahnsinns besitzt. Doch das Feuer muß auch erst ungleich flackern und flammen, ehe die stille Gluth sich bildet.«[337]

Wir waren während dem im Garten auf- und abgegangen, dann hatten wir unter den Kastanien gesessen und uns später im Gespräch nach dem Rasenplatz gewendet, um den unser Spatziergang führte. Die Sonne schien hell. Elise sah hinauf zu ihr. »Das ist auch Gluth!« sagte sie. »Ewige. Sie dringt bis in den Kern der Dinge. Meinen Sie, die Hitze thäte es allein? Das Licht! das Licht!« wiederholte sie mehreremale. »Wir vergessen immer das Beste bei Allem, auch bei der Liebe.«

Mit großer Lebhaftigkeit faßte hier die bewegte Frau meine Hand. »Glauben Sie mir,« sagte sie, »es ist ein falscher Schluß, wenn man die Gewalt eines Gefühls von dessen enger Zusammenziehung herleitet. Das Leben macht nicht eng. Je weiter der Umfang, je kräftiger das Wesen. Die Liebe, die ihren Gegenstand denken kann, ist göttlicher Art, sie erleuchtet, was sie berührt.«

Ich empfand wohl, sie vertheidigte sich gegen den Vorwurf des Kälterwerdens. Ich ließ das auf sich beruhen. Mich freute es, sie so aufgerichtet, so ganz die Alte zu sehen. Ihr Auge hatte einen besondern Glanz, es verweilte mit stillem Blick auf der entfalteten, blühenden Natur.[338] Sie wissen, wie sie Blumen liebt. Die Rosen sind jetzt in ihrer vollen Pracht. Unser Stiftsgarten hat deren viel und von seltener Schönheit. Elise brach einen vollen Strauß davon. »Diese Jahreszeit,« lächelte sie anmuthig, wie im Wetteifer mit den Blumen, »diese Jahreszeit erinnert mich immer zumeist an das entflohene Glück. Sehen Sie, Sophie! so streut der Himmel seinen farbigen Putz auf unsere Gräber!«

Ich sah gerührt in ihr weiches, liebes Gesicht. »Wissen Sie noch,« fuhr sie fort, »wie es auch überall so schimmerte und duftete, als ich mit der seligen Amtmannsfrau zu der Tannenhäuserin ging, Sie uns nicht begleiten wollten und Er – das erstemal! Ich sehe ihn noch zwischen den Büschen stehen, auf seine Flinte gelehnt, halb lächelnd, halb ernsthaft, und in sich gekehrt. Damals! Mein Gott! wie hell, wie leicht war das Leben!«

»O bitte,« rief sie rasch zu mir gewendet, »haben Sie noch meine Briefe von damals?«

Ich bejahte es. »Sophie,« sagte sie mit ihrer flehenden Stimme, »geben Sie mir nur auf eine Stunde diese Briefe.«

Ich zögerte. »Was ist Ihnen dabei bedenklich?« fragte sie. »Halten Sie die Wehmuth,[339] die uns der Frühling giebt, für so störend? Gute Sophie! schelten Sie mir die Wehmuth nicht!« – Lieber Freund! sie sagte das so sonderbar, so bedeutungsvoll. Ich ging, und brachte ihr die Briefe.

Sie setzte sich damit unter die Bäume an den Tisch, vor welchem wir gefrühstückt hatten. Ich mußte ihr eine Schaale mit Wasser schicken, in welche sie die vielen gepflückten Rosen stellte. War es das dunkle Kastanienlaub, was sie so blaß machte? oder das frische Roth der Blumen? genug, sie fiel mir in ihrem weißen Morgenanzuge, zwischen dichten Laubschatten hineingedrückt, außerordentlich auf. Ich wandte mich mehrmals nach ihr um, als ich ins Haus zurückging. Doch sie sah mich nicht. Sie war in die Briefe vertieft. Einmal, da sie unter dem Lesen in Gedanken eine der vor ihr stehenden Rosen zerpflückte, und die Blüthen auf das Papier fielen, kamen mir ihre eigene Worte wieder in den Sinn. »Sehen Sie, Sophie!« hatte sie vor wenigen Minuten gesagt, »so streut der Himmel seinen farbigen Putz auf unsre Gräber.« Sie selbst sah aus, wie die bleiche Vergangenheit.

Als ich nach einer Weile wiederkam, fand ich sie, die Briefe weit von sich geschoben, beide[340] Arme auf den Tisch gestemmt, und das Gesicht in die gefaltenen Hände gedrückt. An der Bewegung ihrer Brust sah ich, daß sie heftig weinte. Ich wollte mich entfernen. Sie hatte mich aber bemerkt. »Sophie,« rief sie, »o Beste, nehmen Sie, nehmen Sie alles das wieder zurück. Nein, man glaubt wahnsinnig zu werden, wenn man sich lachen hört, während die geängstigte Seele um ein Paar lindernde Thränen fleht!« Sie wandte das Gesicht ab und trocknete die nassen Augen. Ich packte die zerstreut umher liegenden Heftchen zusammen. Sie ergriff meine Hände. »Gott,« sagte sie, »was haben die Menschen aus der harmlosesten, unbefangensten Zuneigung gemacht! Wenn ich so das fröhliche, heitere Leben wieder überblicke, wenn ich mich so ohne alles Vorgefühl von Gefahr, mit leichtem, sorglosem Schritt vorwärts gehen sehe, und Hugo's Wohlgefallen an meinem Umgang, das freie Zusammenkommen, die nachbarliche Theilnahme, Emma's später gewonnene Freundschaft, wenn ich das wiederfinde, fühle, und keinen Schatten der Unwahrheit, keine Selbsttäuschung darin entdecke, dann empört sich doch mit einigem Recht meine Seele gegen die harte und rohe Hand der Welt, die das Mißverstandene so mißgestaltete! Wie hat diese Hand[341] nicht auf uns gedrückt, was hat sie nicht Alles zerrissen!«

Ich machte sie aufmerksam auf die Arglosigkeit jeder entstehenden Neigung, und erinnerte sie, daß stets die Liebenden zu spät bemerkten, was Andere längst vor ihnen gewußt.

Sie nahm das ohne Widerspruch auf, und blieb eine Weile still. »Hören Sie,« hub sie darauf an, »ich will Ihnen einmal etwas sagen. Ich glaube, Hugo hätte niemals den Einfall gehabt, eine Leidenschaft für mich zu hegen, wenn es ihm Eifersucht und häusliche Häkeleien nicht überredeten.«

Ich sah sie überrascht an. Sie stand in großer Erschütterung von ihrem Platze auf. »Sie hatten recht,« erinnerte sie sich später, »ich wünschte, ich hätte die Briefe nicht gelesen! Sie thun mir wehe. Es sieht mir darin ganz nach einer ungeheuren Mistification des Geschicks aus. Und ich bin die Angeführte. Denn,« rief sie, die Hände heftig zusammenschlagend, »ich liebe ihn, das weiß Gott! mit unsäglichem Schmerz!«

Sie war ein Paar Schritte vorwärts gegangen. Ich folgte ihr. Das Wetter war den ganzen Tag so leicht, so schön gewesen. Ich schlug ihr vor, ein wenig außerhalb des Gartens, im[342] angränzenden Waldbruch, spatzieren zu gehen. »Nein,« erwiederte sie, »lassen Sie uns nicht jenseits dieses Bezirks den Fuß setzen. Ich bin nur hier ruhig. Ich sehe es wohl, ich darf, selbst in Gedanken, nicht das Ferne heranziehen.«

Es that mir leid, sie so erschüttert zu finden. Wir gingen lange umher. Wir sprachen Allerlei. Sie war aus dem Gleichgewicht heraus. Es faßte nichts. Wir setzten uns zuletzt, müde und matt, ganz im Freien, auf die kleine Erhöhung, von wo man den Strom sieht. Ich bemerkte, daß sie das Auge unsicher umherschickte, und es mit Bangigkeit senkte. »Ist Ihnen nicht wohl?« fragte ich besorgt. »Ich gestehe Ihnen,« sagte sie beklommen, »die sonnenhelle Gegend, der blinkende Wasserspiegel bildet heute einen sonderbaren Contrast mit meiner Stimmung. Ich kann mich nicht damit vertragen. Mir wird nicht wohl hier. Kommen Sie, wir wollen nach Hause gehen!«

Ich war ihr gern gefällig. Unterwegs äußerte sie plötzlich, und ohne nachher weiter daran zu denken: Wenn ihr nur nicht ein neues Unglück drohe! Ich ließ das gänzlich fallen. Sie gewann auch späterhin ihre frühere Fassung wieder, so daß ich mich überzeugt hatte, ohne meine Unvorsichtigkeit, sie jene Briefe lesen zu lassen, wäre[343] ihr der Morgen in stillen Betrachtungen ruhig vergangen. Wenn Ihr Neffe wirklich noch heute zu Ihnen kommt, so sagen Sie mir doch, wie Sie ihn fanden.

Ich gestehe Ihnen aber, ich zweifle, daß er die Burg wieder betritt. Man sagte mir, er verlasse die kleine Insel, rechts, unterhalb des neuen Schlosses in Wehrheim, nur selten. Er hatte früher einmal den Gedanken, Emma hier ein Denkmal setzen zu lassen.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 335-344.
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