Tavanelli an Leontin

[367] Ich habe sie gesehen, gesprochen. Ich war bei ihr. Ueber eine Stunde durfte ich ihr zur Seite sitzen. Sie sah, wenn ich das Auge senkte und nichts wahrzunehmen schien, fragend zu mir auf. Ich empfand das Streifen ihres forschenden Blicks. Es war weder Mißtrauen, Unwillen noch Kälte darin. Gütig verweilten ihre Gedanken bei mir. Nicht mich, die Zeit, da ich auch neben ihr saß, die hingewelkte, versunkene Zeit betrachtete sie in mir. Selbst die peinvolle Vergangenheit rührt uns unbeschreiblich. Ist doch die Pein vorüber, und der dunkle Hintergrund zeigt zurück auf Gefühle, die jetzt etwas Geheimnißvolles haben.

»Sind Sie nunmehr mit sich einig?« fragte sie mich. Ich versicherte es ihr. »Und Ihr Glaube war es, der sie rettete?« fuhr sie, ernster werdend, fort.

»Was ist auch der Mensch ohne Glauben?«[367] entgegnete ich. Sie erröthete. »Wie kam es denn,« fiel sie schnell ein, »daß sich der Ihrige nicht besser bewährte?«

»Mich irrten Zweifel,« bekannte ich mit gesenktem Blick.

»Und darum,« sagte sie, klug und scharf in sich hineinsehend, »erzwangen Sie die rauhe, spröde Stimmung, den wilden Sinn, die harte Abgeschlossenheit, und zerrissen Ihre gute Seele, die den Himmel so nicht finden konnte!«

Ich wollte etwas erwiedern. »Lassen wir das jetzt,« bat sie. Sie legte die Hand an die Stirn. »Ich begreife das Zuviel und das Zuwenig, und wie Eins das Andere erzeugt. Aber ich kann es nicht ausdrücken,« klagte sie. »Ein andermal! Ein andermal!« Ich stand auf. »Kommen Sie bald wieder,« bat sie, »und bringen Sie Leontin mit. Ich habe eine große Sehnsucht nach ihm.«

Ich ging, und schrieb Ihnen das.

Fragen Sie nun, wie es geschah, daß ich vorgelassen ward? wie ich es wagte, ihr zu nahen? Mein bester Herr Baron! Sie wissen, daß ich immer noch zögerte, das Kloster zu verlassen, daß ich mich nicht entschließen konnte, den vielfachen Aufforderungen des Herrn Präsidenten, in Betreff des Amts, welches er mir zudachte, Folge zu[368] leisten. Sie wissen auch warum? Ich gestehe es Ihnen, ich habe die verehrte Frau nie aus den Augen verloren. In ihrer Krankheit gelang es mir, einmal Zutritt in dem Amthause zu erhalten. Ich glaubte sie sterbend, ich war entschlossen, sie in den letzten Augenblicken nicht zu verlassen. Die Angst um ihre Seele ließ mich jede anderweitige Rücksicht hintansetzen. Ich entdeckte mich der gütigen Madame Lindhof, ich erklärte ihr meinen festen Willen. Sie hörte mich gelassen an, beruhigte mich für den Augenblick, und versprach, bei wachsender Gefahr mir in Zeiten Nachricht zu geben.

Ich kehrte jeden Tag nach dem Amte zurück. Mein Gebet trug stündlich die theure Seele der Bewußtlosen zu dem Throne des Höchsten, ich flehte um ihre Rettung. Sie genaß. Vermuthlich erfuhr sie späterhin, was während dem vorging. Diesen Morgen ließ sie mir sagen, zu ihr zu kommen. Ich glaubte, es nicht recht zu verstehen. Ich folgte indeß augenblicklich ihrem Befehl. Sie will etwas. Dies ist mir nicht zweifelhaft. Ihr Gemüth ist in Unruhe. Sie möchte, was sie nicht kann, sie greift umher, sie denkt an mich. Als ich indeß nun kam, und sie mich sah, ward sie ungewiß. Sie vermochte es nicht, Vertrauen zu mir[369] zu gewinnen. Ein paarmal hub sie verlegen an: »Sie meinen es gewiß gut. Sie meinten es immer gut.« – Sie hielt dann inne. Weiter kam sie nicht. Ich meinerseits wagte kaum anders, als leidend hierbei zu bleiben. Es ist so schwer, weise zu sein, wenn es einem treibt, sich hülfreich und thäthig zu zeigen. Ich empfand auch, daß sie nur in der Angst des Augenblicks auf mich verfiel. Und dann – es ist etwas in der Art, in dem Blick, dem Ton der Dame, was mich lähmt. Fürchten Sie nicht, es könne mich dies aufs Neue unsicher machen. Im Gegentheil, es zwingt mich, zu denken. Aber ich brauche Zeit, dem Moment habe ich nicht sogleich Besonnenheit entgegenzusetzen. Deshalb säumen Sie, verehrter Herr Baron! doch nicht, sie aufzusuchen.

Ach, wenn wir diesem schönen Herzen Frieden erflehen könnten!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 367-370.
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