Sophie an Madame Lindhof

[360] Gute, treffliche Frau! wie sanft haben Sie uns bisher auf rauher Bahn begleitet, die wir[360] zu gehen hatten. Ich drücke Ihre Hand, und sage Ihnen mit Wehmuth Lebewohl!

Alles scheidet von hier! Wie öde wird das Alter! Doch, es ist nicht an mir, zu klagen. Das verblichne Band, Liebe! ist schon in meinem Besitz; Birkner brachte es mir, ganz so wie es gefunden ward, in die Blumen verwickelt, um die es die Wellen geschlungen hatten.

Wie es dahin kam –? Lassen wir es auf sich beruhen. Es liegt ein Dunkel darauf, was wir auch sagen mögen!

Von Elisen wußte ich Ihnen bis jetzt nichts zu schreiben. Sie blieb während zwei Tagen in ihrem Zimmer eingeschlossen, ohne Nahrung zu nehmen, noch Kleider zu wechseln. Ich hatte ihr von dem, was nur aus Vermuthungen zu entnehmen war, nichts mitgetheilt. Doch muß ich fürchten, Johanna ist nicht so behutsam gewesen. Ich befragte sie deshalb, brachte aber nur Unzusammenhängendes heraus. Mein Bemühen, zu Elisen zu dringen, blieb ebenfalls vergeblich. Ich gerieth in immer größere Besorgniß. Stunden reihten sich an Stunden; so durfte es nicht länger fortgehen, das Leben der Unglücklichen schien mir gefährdet, und doch scheute ich, sie durch einen Gewaltschritt zu verletzen.[361]

In dieser Nacht nun, zog hier, und wohl auch bei Ihnen, ein starkes Gewitter herauf. Der Sturm, welcher es begleitete, heulte zwischen dem Donner hindurch, und schien dessen prasselndes Knattern mit wildem Geheul zu unterbrechen.

Die freie Seite nach dem Wasser zu, war seinem ängstigenden Andringen besonders ausgesetzt. Die Läden vor dem Fenster zitterten, als rüttle sie eine starke Hand. Ich ließ deshalb die meines Schlafzimmers öffnen, wodurch die volle Gluth der Blitze blendend herein fiel.

Ich besitze gerade soviel von weiblicher Zaghaftigkeit, um Naturerschütterungen der Art nicht ohne inneres Bangen sehen zu können. Vielleicht strenge ich mich aber deshalb jedesmal um so mehr an, den Zug der Wolken zu beobachten, den Grad der Gefahr darnach abmessend. Vom Fenster kann ich nicht lange wegbleiben. Ich trete immer wieder hinzu, wenn mich auch das starke Wetterleuchten zurückschreckt. So stand ich denn auch, mit dem Rücken gegen die Thür, das Auge auf einen weißlichen Streif gerichtet, von dem ich im Augenblick nicht wußte, ob es der Saum des heller werdenden Horizonts, oder der unruhig gepeitschte Fluß war, der höher als sonst[362] zwischen den Gartenhecken durchschimmerte? »Hier kann ich es nicht länger aushalten!« sagte Jemand hinter mir. Ich wandte mich schnell um. Elise, ein Licht in der Hand, mehr einem Schatten, als sich selbst ähnlich, schwankte nach meinem Bette. Sie setzte sich auf dessen Rand, und das Licht noch immer vor sich haltend, als könne sie es nicht hell genug um sich haben, sagte sie, mit sehr matter Stimme: »Wie die Wellen brausen! Wie das Wasser rauscht!«

»Es ist der Regen,« erwiederte ich, indem ich das Fenster ein wenig öffnete, um sie diesen deutlicher hören zu lassen.

»O Gott bewahre!« rief sie empfindlich. »Ich kann das wohl unterscheiden.« Sie horchte jetzt gespannt. In ihrer Stimme lag etwas Verwildertes und Scheues, was mir tödtlichen Schreck einjagte. Unglücklicherweise trieb der Sturm die herabfallenden Güsse immer dichter zusammen, so daß die starke Wassermasse in ihrer heftigen Bewegung wirklich den schäumenden Wogen der Fluth ähnlich ward.

Elise war wieder aufgestanden. Sie hatte das Licht auf den Boden gestellt, und ging, die Hände ringend, stumm, mit allen Zeichen unaussprechlicher Angst, im Zimmer auf und ab.[363]

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte? wie ihr beizukommen sei? die Pein dieses Augenblicks war schrecklich.

»O, wie die Wellen brausen! wie die Wellen brausen!« wimmerte sie jetzt, »liege still, liege still, armes Herz!« flüsterte sie darauf ganz leise.

Ich zitterte an allen Gliedern. »Beste,« sagte ich, zu ihr herantretend, »denken Sie an Gott! beten Sie, für ihn! für ihn! Hören Sie wohl?«

Sie sah mich erst starr an. Ich nahm ihre kalten Hände in die meinigen. Das Ungewisse ihrer Gedanken zuckte hin und wieder auf dem schönen, entstellten Gesicht. »O Sophie!« brach sie jetzt schluchzend aus, und stürzte mir an die Brust. »Ist es denn wahr? Ist es nun ganz gewiß? Liegt er da unten?« –

»Nichts ist gewiß,« entgegnete ich schnell, »Vermuthungen! voreilige Vermuthungen! sonst in der Welt keine nähere Bestätigung. Beste Elise, warum fragten Sie denn nicht mich!« setzte ich in der Hoffnung hinzu, sie beruhigen zu können. Aber sie sah und hörte nicht. Es war als habe ihre erstarrte Seele nur die Stimme liebender Theilnahme erwartet, um sich in Thränen aufzulösen.[364]

Das Gewitter tobte fort. Die Nacht ging so in entsetzlicher Bangigkeit hin. »Ich habe es wohl, wie im Vorübergehen, zuweilen gedacht,« sagte sie, nachdem sie stiller geworden, und in dumpfem Ermatten eine Weile vor sich hinstarrte. »Ich habe es gedacht und auch nicht, denn zu fassen ist so etwas nicht.«

»Nein,« unterbrach ich sie. Und darum haben wir auch kein Recht, es zu glauben.« Sie schien achtsam auf meine Worte.

»Weshalb,« fuhr ich fort, »sollen äußere Zufälligkeiten hier allein eine Stimme haben? Dürfen wir ihnen die innere Ueberzeugung nicht entgegen stellen?«

Elise seufzte. »Also ist nichts erwiesen?« fragte sie. Ich versicherte es ihr. »Was wissen Sie denn?« hub sie nach einer Pause leise und schüchtern an. Ich theilte ihr jetzt Alles mit, überzeugt, daß ihr die volle Wahrheit nöthig sei, um mit sich und dem, was sie glauben dürfe oder müsse, einig zu werden.

Sie verlangte das Band zu sehen. Ich brachte es ihr. Sie starrte es lange an. »Er hat es zerrissen!« lächelte sie, dann steckte sie es in den Busen. Ich fand sie in diesen Augenblicken mehr dumpf als gefaßt. Sehr ermattet schlief sie auf[365] meinem Bett ein Paar Stunden, trotz des anhaltenden Gewitters. Als sie am Morgen erwachte, es wieder still in der Natur und diese beruhigt war, setzte ich mich zu ihr. Wir sprachen lange mit einander. Ihre Kenntniß von Hugo's Charakter läßt sie weniger ungewiß über den letzten, zweifelhaften Schritt, als uns; die erste große Erschütterung abgerechnet, glaube ich, weiß sie ihn lieber in dem kühlen Bett, als unstät auf der Erde.

Bei allem dem erklärte sie, hier nicht bleiben zu können. Ich begriff das ohne Weiteres. Wir wollten gleichwohl beide jetzt noch nicht an eine neue Trennung denken. Wir fühlten die Nothwendigkeit, uns gegenseitig schonen zu müssen, und schwiegen. Es entstand eine lange Pause. »Arme Emma!« – seufzte jetzt Elise. »Nun hat ihn Keine, oder es haben ihn Beide!«

»Ist sie noch in ihrem Waldkloster?« fragte sie darauf. Ich bejahte dies.

Sie versank wieder in tiefes Sinnen. Ich ließ sie so, und ging, Ihnen, beste Madame Lindhof! alles das zu schreiben, einen Theil von Elisens Dankbarkeit gegen Sie mit übernehmend, indem ich diese gleichsam zu Ihnen sprechen und Sie in das Innere des beklagenswerthesten Herzens blicken lasse.[366]

Sie werden uns nicht vergessen, wenn auch für lange alle Beziehungen zwischen uns zerrissen sein sollten.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 360-367.
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