XXXVII.


Der Vorbot deß Unglücks.

[385] Man lieset beym Apulejo / der Heide Socrates habe seinen Leib- oder Natur-Engel (oder Geburts-Geist) welchen die Lateiner Genium, und sonst auch dæmonem nennen / stets um sich gehabt: der Alles zuvor gewusst.1 Und alle Platonisten waren der Meynung /solche Geister wären ein Mittel-Geschlecht / zwischen GOtt und Menschen; nemlich so man diesen Namen /in sonderbarer Bedeutung / nimt. Denn sonst verstunden sie dadurch mehr als einerley: nemlich bald denjenigen Gott / der Alles erzeugte; bald den Geist / oder die Seele / oder das Gemüt deß Menschen; als welche Seele / ihrem Wahn nach / ein Dæmon, oder Geist /nach dem Tode / und Lar, genannt würde / so ferrn sie ein tugendhafftes Leben geführt; hingegen aber Larva hiesse / so sie übel gewandelt bey Leibes Leben. Wovon neben Andren / Augustinus / im eylfften Capitel deß IXten Buchs von der Stadt GOttes /und dessen Glossirer / der gelehrte Vives, zu lesen.2

In dem sonderbarem und eigendlichstem Verstande aber / achteten sie den Genium, für deß Menschen Natur- und Schutz-Geist / der Alles vorher sehe / was ihm werde begegnen / ihn auch[386] regiere / ihn / von seiner Geburt an / in seiner Hut unn Pflege halte. Solche Genios meynet Censorinus, wann er spricht: Genius est Deus, cujus in tutela, ut quisque natus est, vivit. Der Genius (oder Geburts-Geist) ist ein Gott / in dessen Hut und Schutz / Einer / so bald er geboren ist / lebet.3

Daher die Heiden auch / an ihrem Geburts-Tage /diesen ihren vermeynten Geburts-Geist verehreten.4

Wir gedencken uns / in Erklährung der vielfältigen und unterschiedlichen Bedeutungen deß Genii, allhie nicht weiter auszubreiten; sondern allein nur dieses noch dabey zu erinnern / daß etliche unter den heidnischen Secten / zweyerley Genios, oder Geburts-Geister / einen guten und bösen / oder glück- und unglücklichen / setzten / deren Jener dem Menschen / in seiner Wolfahrt mit seiner Fürsichtigkeit / beywohnete: dieser aber ein Begleiter und Anzeiger seines Unfalls / sonderlich deß Todes / wäre. Wiewol Andre beydes / nemlich so wol das Unglück / als das Wolergehn der Regierung eines einigen Genii heimstelleten.

Für einen solchen Genium nun / oder Geburts- und Schutz-Geist / achteten sie diejenige Gespenster /welche manchen Leuten / so wol fürnehmen als schlechten / bißweilen / kurtz vor ihrem Ende / zu erscheinen pflegen. Keyser Pertinax soll / wenig Tage vor seinem Untergange / erzehlt haben / er hette / als er in einen Fisch-Teich geschaut / im Wasser ein Schatten-Bild erblickt / welches ihm /[387] mit geblösstem Schwert / den Tod gedrauet. Wie Sabellicus berichtet.5

Julius Capitolinus aber / welcher / als ein älterer Beschreiber der Historiæ Augustæ, oder alten Römischen Keyser / hierinn billig mehr gelten soll / sagt nicht / wie Sabellicus / daß Pertinax in den Fisch-Teich schauend / ein solches Schatten-Bild erblickt habe; gleich als wann drunten / im Wasser / der Schatten eine solche Gestalt abgebildet hette; wie zwar solches aus diesen Worten Sabellici, cum in vivarium inspiceret, in aqua umbram conspexisse, quæ gladio stricto mortem minabatur, mögte geschlossen werden: sondern / den Keyser Pertinax habe bedunckt / als sehe er / auff dem Fisch-Teiche / einen Kerl / der mit dem Schwert über ihn her wollte; und dasselbe sey / drey Tage vorher geschehen / ehe dann die Kriegs-Knechte ihn umgebracht.6

Dem Keyser Tacito ist seiner verstorbenen Mutter Gestalt erschienen / und hernach / an einem andren Ort / auch der Geist seines todten Bruders: Denen er hierauff bald ist nachgefahren. Wie / nechst Andren /Fulgosus gedenckt.7

Durch solche Erscheinung ihrer verstorbenen Bluts-Freunde / seynd manche Heiden überredet worden / die Seele deß Absterbenden würde zu einem dæmone, und entweder zu einem guten oder bösen Geist / der hernach also erschiene / wenn der Mensch sterben sollte. Wiewol / vorgesagter Massen / Andre solche erscheinende Gestalt[388] vor dem Tode / für einen bösen Genium, oder Unglücks-Geist deß Menschen geschätzt.

Cassius Severus / von Parma / war ein Poet / der manchen guten Vers geschrieben / und deßwegen auch / in diesem Horatianischem Verse / gelobt wird:


Scribere, quod CassI Parmensis opuscula vincat.


Es werden auch / vom Plinio und Suetonio / seine Send-Schreiben angezogen. Dieser hat als Brutus und Cassius / wider den Augustum und Antonium / ins Feld geruckt / die Apollinische Lauten nider gelegt /und den Bogen ergriffen / und sich wider dieselbe mit eingemengt / also / daß nach Porphyrii Bericht / er unter ihnen ein Oberster zu Fuß worden. Allein der gute Mann hat sich auch Jener ihres Unglücks / so wol / als ihrer bösen Sache / theilhafft gemacht. Denn nachdem sie im Kriege untengelegen / und sich selbst umgebracht; ist Quinctilius Varus / vom Augusto /beordret worden / diesem Cassio Severo / welcher sich / nach der Niderlage / gen Athen begeben hatte /den Rest zu geben. Der ihn auch daselbst / ohnangesehn er ihn nicht mehr in martialischen Gedancken /sondern über den Büchern / angetroffen / getödtet.

Wenig Tage aber zuvor / ehe denn solches geschahe / lag dieser Severus / auf seinem Lager / zu Mitternacht / gantz schlafflos / betrübt und bekümmert / um den traurigen Ausgang deß See-Treffens / bey Actio, durch welchen Streich alle seine Hoffnung war zu Bodem gangen / und sein danider gelegtes Hertz jetzo bedruckt von schweren Sorgen / der feindliche Zorn-Stachel deß Obsiegers / dörffte[389] es gleichfalls / erster Tagen / durchstechen. Indem ihm solcher Kummer die Augen offen hält / sihet er / einen Kerl von ungeheurer Grösse zu ihm treten / der / im Angesicht / Moren-schwartz / mit einem wühsten wild-verworrenem Bart / und langem Haar. Welcher / als Severus fragte / wer bist du? antwortete: Ich bin ein böser Geist (oder Engel.)

Er / der nicht weniger / über einen so schrecklichen Namen / als abscheuliche Gestalt / sich zum hefftigsten entsetzte / schrie zur Stunde seinen Knechten /und forschte / ob sie Jemanden von solcher Bildung /in sein Schlaff-Zimmer / hetten ein- oder ausgehn gesehn? Und weil sie versicherten / es wäre Niemand hinein getreten; begab er sich zur Ruhe / und schlummerte ein wenig ein. Aber das wühste Bild kam ihm aber mal vor. Weil ihn solcher Anblick dann gantz verunruhigte / und alles Schlaffs gäntzlich beraubte: befahl er / Licht herein zu bringen / und daß die Jünglinge nicht von ihm weichen sollten.

Es hat ihm Augustus / über dieses Gesicht / gar bald eine Auslegung gemacht / und / uber eine kleine Zeit hernach / das Leben nehmen lassen.

Wir / als Christen / glauben keine gute und böse Natur-Geister / wie die abergläubige Heiden; gestehen doch unterdessen gern / daß fürnehmen / zumal regierenden / Personen ihr Tod / durch gewisse Vorzeichen / gemeinlich vorbedeutet werde / und solche Vorzeichen / durch Erscheinung gewisser Gestalten / ihnen bißweilen auch wol selbsten zu Gesichte kommen.[390]

Als der Türckische Suldan / Mahomet der Zweyte /welcher Constantinopel eingenommen / von Rhodis ritterlich abgewiesen / und mit Schanden heimzuziehen / bemüssigt worden; hat er hernach beschlossen /solchen Hohn zu rächen / und noch eins davor zu gehen: ist aber unvermutlich / mit einer tödtlichen Kranckheit überfallen / und erstickt. Kurtz zuvor soll ihm / (wie Cuspinianus erzehlt /) indem er einen lustigen Wald vorüber geritten / zwischen den Zweigen eines Baums / ein herrlicher und majestetisch-gebildeter Jüngling / in übermenschlicher Länge und weisser Kleidung / erschienen seyn / der ein Schwert geblösset / und ihm den Tod gedrauet / mit diesen Worten: Sihe! mit diesem Schwert / will ich dich erwürgen.


Uber solches Gesicht ist er dermassen erschrocken /daß er zu Bodem gefallen / gleich von Sinnen / und bald hernach auch vom Leben / gekommen.8

Fußnoten

1 Vid. Apulejus de Deo Socrat. & Max. Tyrius Dissert. Phil. 20. 27.


2 Vid. Augustin. de C.D.c. 11. p.m. 841.


3 Censorin. c. 3. de Die natali.


4 Vid. Turnebus lib. 16. adversar. c. 18.


5 Sabellic. l. 1. c. 4.


6 Jul. Capitolin. in Pertinace, c. 5.


7 Lib. 1. c. 4.


8 Cuspinian. in Mahomete secundo, fol. 679.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 385-391.
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