XLI.


Der gerührte Epicurer.

[402] Wer sich nicht / durch den Finger GOttes / den Heiligen Geist / rühren und bewegen lässt; den rührt zuletzt die Faust / oder Klau / deß bösen Geistes: welche nicht heilsam / wie jener / ist; sondern schädlich und tödtlich. Solcher Tödtlichkeit wird zwar ein Gotts-vergeßner Mensch gemeinlich erst / nach dem Tode / da seine Seele in völliger Gewalt deß Satans ist / innen: aber doch verhengt GOTT / daß die Satans-Faust bißweilen auch / noch wol vor dem Tode /einen verruchten Menschen leiblich rührt / und zwar so unsanfft / daß er darüber in solchen Stand verfällt /darinn sich weder Puls / noch Odem / noch Glied mehr rührt. Sihe hievon dieses Muster an!

Ein Schlesischer Edelmann lebte gar unordentlich /und liebte den Trunck sehr. Die meiste Zeit pflag er /deß Tags über / zu schlaffen; hingegen die gantze Nacht durch / nach Art derer Kinder / welche nicht deß Lichts / sondern von der Nacht / seynd / mit Fressen und Sauffen zuzubringen. Darüber geriet seine Gesundheit in Unrichtigkeit: wie solches die üble Farbe gnugsam zu erkennen gab / und gemeinlich diejenige / welche / mit dem[402] Bacchus / gar zu vertraulich umgehen / sich auch endlich mit dem Æsculapio bekandt machen müssen: Wann ihnen anderst solche Kundschafft nicht / durch unverhoffte Anmeldung deß Stygischen Fährmanns / Charontis, abgeschnitten wird / und sie / durch eine plötzliche Hinfahrt / ein Ende nehmen mit Schrecken.

Dieser / von Sitten und Wandel so unedle / Edelmann hatte / vor etlichen Jahren / einen Ableib gethan. Denn wie der Trunck ein Vater vieler Laster ist /und / aus dem Uberfluß deß Weins / gerne Blut fliesst: also hatte auch diesem edlen Truncken-Bold seine bestialische Säufferey eine andre Blutschuld ausgeheckt / nemlich den Todschlag. Ein Säuffer und Besoffener gleicht mehrmaln dem wütenden Vieh /das gern diejenige / so ihm nicht aus dem Wege gehn / zu Bodem stosst. So machte es dieser viehischer Mensch auch: Er schwärmete / in der Nacht / einsmals / bey vollem Rausch / herum / mit blossem Degen / ging auf Jedweden / der ihm begegnete / loß /wie ein Unsinniger / und stieß zuletzt Einen übern Hauffen.

Solche Thaten lassen dem Gewissen schwerlich Ruhe / so lange es annoch nicht recht geheilt ist /durch ernstliche Busse; sondern treiben es immer an /zu grösserer Ruchlosigkeit / und zwar sonderlich zur stetigen Säufferey: gleich als ob / durch so nasse Unruhe / die wahre innerliche Hertzens-Ruhe wieder herbey gebracht / oder der nägende Gewissens-Wurm / in Bier und Wein ersäufft / und nicht vielmehr nur ein wenig einschläffet / unterdessen aber gemäßet / vergrössert /[403] und vergrausamet würde. Ob unsern Edelmann dieser sein Todschlag nicht gleichfalls hernach beunruhigt / und bewogen habe / das bellende Zitzen-Hündlein / durch ein vorgesetztes frisches Glas zu stillen und beschwigtigen / kann ich eben nicht versichern: so viel aber ist gewiß / daß er alle Sorgen deß vergossenen Bluts / wann je seine Ruchlosigkeit einiger Empfindung derselben sollte Raum gegeben haben / mit Reben-Blut täglich abgewaschen / und ertränckt habe: Denn der Trunck war hinfort sein Alltägliches; da ihm doch das unschuldige Blut / so er im Trunck gestürtzt / denselben vielmehr hette vereckeln und verhasst machen sollen.

Gleichwie aber solche verruchte Epicurus-Gesellen das letzte Ende wenig bedencken: also kommt es ihnen gemeinlich auch / wann sie daran am allerwenigsten gedencken. Und so gings auch diesem edlen Epicurer. Als er / nach begangnem frevelhafftem Todschlage / noch etliche Jahre / in vollem Sause / so fort lebte / geschahe es endlich / im Jahr 1624 / daß er /zu Mitternacht / ein grosses Gerassel von Wagen und Pferden hörte. Es schien / als ob die Thüren seines Hauses geöffnet würden: dadurch er in die Einbildung geführt ward / es würden etwan fremde Gäste kommen; als die sich auch nicht selten bey ihm einzufinden pflagen. Derwegen stund er auf vom Bette / und schauete zum Fenster hinaus: da er dann nicht anders meynte / als es käme ein Gast zu ihm daher geritten ans Fenster / der auf einem hohen und langem Pferde saß / und von Person nicht kleiner war / als das Pferd. Derselbe ritte zu ihm hin[404] ans Fenster / und rührte ihm sein Haupt an. Darüber lieff ihm ein Schauder durch den gantzen Leib / von gählingem Schrecken.

Zu Morgens / da er aufstund / fand und fühlte er /daß ihm der Kopff unmenschlich geschwollen: und solches erblickten auch die Umstehende / mit Verwundrung. Man schickt hin ins nechste Dorff / zum Bader: der ihm ein erweichendes Pflaster auflegt. Endlich dringt / durch Ohren / und Nase / und durch zwey / in dem lincken Backen aufgebrochene / Löcher / ja auch gar in den Schlund und in die Lunge / die Materi häuffig heraus. Zuletzt wird auch der Medicus, Doctor Daniel Winckler / geholt. Derselbe traff ihn gar schwach an / und sahe / daß der Eyter-Wuhst nicht in dem unterm / sondern obern Backen / einen Ausgang hette / die Mäuslein selbst (musculi) weiß /und gleichwie gesotten / sahen / die gantze Haut aber als wie abgesondert wäre: weßwegen er / zu dem Patienten / ein schlechtes Hertz gewann.

In folgender Nacht / ist die Materi ihm / mit grossem Ungestüm / auf die Lufft-Röhr gefallen / und hat ihn erstickt.

Diese Geschicht erzehlt benamsten Fürstlich-Lignitzischen Doctoris leiblicher Sohn / Doctor Gottfried Winckler / und stellt hernach die Frage an / ob behertzte und tapffre Leute auch wol Gespenster zu sehen bekommen? Weil Theodorus Byzantinus der Meynung gewest /1 daß solche Personen / die resolvirtes Muts seynd / niemals / oder wunderselten / ein Gespenst erblicken; und zwar darum / weil sie ihnen /ihrer angebornen[405] Standhafftigkeit wegen / dergleichen nichts einbilden? Ruhm-gedachter Doctor Winckler vermeynt / solches sey nur / von falschen Gespenstern / zu verstehn / die in einer / durch Furcht gefälschten /Einbildung / bestehn. Ich halte aber dafür / und weiß Exempel / daß zwar behertzte Leute so leicht ihnen kein Gespenst einbilden / als furchtsame; dennoch aber bißweilen auch wol meynen / daß sie ein Gespenst sehen / oder hören / da doch würcklich keines ist: wiewol sie dafür so nicht erschrecken / wie andre Leute.

Folgends stellt er die Frage vor: Ob der Teufel /aus natürlicher Krafft / einen solchen Geschwulst deß Haupts habe können zuwegbringen? Welche er /durch das angeführte Zeugniß Wieri, beantwortet: der Teufel könne die Humores (oder Feuchtigkeiten) und die Geister (oder Spiritus) der inner- und äusserlichen Sinnen erregen.2 Hernach dieses deß berühmten Sennerti Urtheil: Der Satan richte / rege und bewege die /im Leibe verborgene / böse Feuchtigkeiten / oder verderbe auch wol die guten / verleite dieselbe in mancherley Theile deß Leibes / und ändre also die natürliche Constitution oder Beschaffenheit derselben / ja verkehre etliche derselben / auf GOttes Zulassung / in dem menschlichem Leibe / mit Gewalt; überdas errege er / nach Bewegung der Geister (oder Spirituum) und Humoren / mancherley Affecten; und könne / auf diese Weise / Kranckheiten verursachen.3[406]

Solches bequemt wolgemeldter Doctor, Gottfried Winckler / endlich auf beschriebenen Fall dieses Schlesischen Edelmanns / und spricht / wtil derselbe ein Cachecticus gewest / das ist / weil er voll böser ungesunder Feuchtigkeiten gesteckt / und einen corrumpirten Leib gehabt / habe der Teufel / durch natürliche Krafft / oder auch nur / mittelst deß Schreckens /die schlimme Materi / und ungesunde Feuchtigkeiten /leichtlich aufregen / und nachdem er sie bewegt / ins Haupe hinauf führen können: woselbst solches / zu Verursachung einer noch grösseren Corruption oder Verschlimmerung / nicht wenig geholffen: Zuletzt habe er die Materi allda flüssig gemacht / und dermassen getrieben / daß sie dem Edelmann in die Lufft-Röhre fliessen / und ihn also ersticken müssen. Welches auch / mit der Vernunfft / sehr wol übereinkommt.4

Fußnoten

1 Referente Wiero de Præst. Dæm. l. 2. c. 25.


2 Wierus d.l.


3 Vid. Sennerti Prax. lib. 6. P. 9. c. 5. p. 408.


4 Vid. Observat. 28. Anni sexti Ephemeridum German. p.m. 60. seq.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 402-407.
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