Nach England

[149] 1846.


Als ich her von Frankreich fuhr,

Sprach das Meer: »Treib sie zu Paaren!

Gleiche dem Erobrer nur,

Den ich trug vor tausend Jahren!

In derselben Furch' einher

Schwimmst du, die sein Kiel geschnitten:

Kühnen Sprunges drum, wie er,

Wirf dich wider diese Briten!


Spring ans Land und fall ans Land!

Nur auch decke mit der Hand es!

Rufe: Mein dies Engelland!

Mein! Denn meine Hand umspannt es!

Dann empor und in den Streit!

Vorgeeilt auf rüst'gen Füßen!

Und es wird zu rechter Zeit

Hastings dich als Sieger grüßen!


Hastingsfeld ist allerwärts,

Hastingsschlacht ist allerwegen,

Wo ein mutig Männerherz

Kühn sich stell des Lebens Schlägen![149]

Wer da keinen Thron begehrt,

Hat um ander Gut zu rechten:

Du willst Brot und einen Herd –

Und auch die mußt du erfechten!


Wider dich, weil froh du sangst,

Das Gebell von tausend Hunden!

Wider dich die blöde Angst

Vor dem Dichter-Vagabunden!

Wider dich und deinen Trutz

Alle Waffen des Gemeinen:

Kälte, Dünkel, Eigennutz –

Alles wider dich, den einen!


Doch du bist dir selbst ein Heer!

Dir voraus mit hellem Taillefer,

Mut und Freude dir zu bringen!

Dann der Wille, dann der Fleiß,

Dann, die alles kann, die Liebe –

Keine Schlacht so grimm und heiß,

Daß die Schar nicht Meister bliebe!


Wärst du einzeln, ernster Mann,

Sagt' ich dir: Bleib auf der Welle!

Meide Liliput fortan,

Sei des Elements Geselle!

Eintagsunruh', Eintagsstreit,

Woll' auf meinen Grund sie tauchen!

Odem der Unendlichkeit,

Laß mich in die Brust dir hauchen!


Aber nicht bei Mast und Tau,

Nicht auf Planken, sturmdurchnäßten –

Zarte Kinder, müde Frau

Wollen wandeln auf dem Festen!

Darum, wo die Ernte wallt,

Willst du sä'n und willst du pflanzen;

Wo der Lärm der Städte schallt,

Mit im Gliede willst du schanzen:


Auch ein Mann, der Steine bricht:

Auch ein Mann in Eisenhütten! –

Lasse nur den Alltag nicht

Deine Dichtung dir verschütten![150]

Sei, der zwiefach reisig steht

Auf der frisch erkämpften Grenze:

Tagelöhner und Poet,

Eine beider Würden Kränze!


Sieh, da liegt die Küste schon!« –

Ja, da lag sie! Nah zum Greifen,

Trotzig hob sich Albion

Aus der Flut, ein weißer Streifen.

Alles still und morgengrau!

Felsenripp' um Felsenrippe

Flog vorbei zu flücht'ger Schau:

Dover-Schloß und Shakespeares Klippe!


Hier und da ein Fischerboot!

Auf und ab geschwenkte Baken!

Kap Nord-Vorland! Brennendrot

Jetzt das Nore-Schiff! – Segellaken,

Dämpfersäulen – hui das ging!

Alle keuchten, alle flogen,

Wie von jenem Fabelding,

Dem Magnetberg, angezogen!


Ein Magnet auch sie zog an:

London! – Und in hellen Haufen

Mit der Flut sind wir sodann

In die Themse eingelaufen!

Näher trat des Landes Kern,

Herz und Adern fühlt' ich schlagen –

Östlich stand der Morgenstern,

Westlich senkte sich der Wagen.


Quelle:
Ferdinand Freiligrath: Werke in sechs Teilen. Band 2, Berlin u.a. [1909], S. 149-151.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.

298 Seiten, 15.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon