Die wahre Liebe

[44] Eine Nachahmung.


Auf einer alten Mauer saßen

Zwei junge treue Turteltauben,

Die, voll von innerlicher Liebe,

Die Augen auf einander wandten,

Und dann und wann die Flügel zuckten.


Ein Sperling auf dem nächsten Dache

Voll buhlerischer Brunst und Schalkheit,

Hieß dieses Paars verliebte Ruhe,

Frost, Schläfrigkeit und Unvermögen.


Da sprach der Taüber, doch mit Sanfmuth:

Sprich nicht so schlimm von unsrer Liebe.

Horch! deine junge Gattin seufzet.[44]

Sie heißt dich einen Ungetreuen.

Sie, die du gestern erst geehlicht,

Wird heute schon von dir verlaßen!

Du liebest freylich stark und feurig:

Wir lieben sittsam, aber ewig.

Quelle:
Johann Nikolaus Götz: Gedichte. Stuttgart 1893, S. 44-45.
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