Buonaparte in Egypten

Aus dem Schoos der Nacht entwindet mühesam die Dämmerung sich,

Und der Dämmerung Gebilde löset einst des Tages Licht.

Endlich fliehet die Nacht! und herrlicher Morgen

Golden entsteigst du dem bläulichten Bette der Tiefe

Und erleuchtest das dunkle Land wo der Vorzeit

Erster Funke geglüht, wo Licht dem Dunkel entwunden

Früh gelodert im Schutze mystischer Schleier

Dann auf lange entfloh und ferne Zonen erleuchtet. –[40]

Ewig weicht sie doch nicht vom heimischen Lande

Die Flamme, sie kehret mit hochaufloderndem Glanz hin.

Alle Bande der Knechtschaft löset die Freiheit,

Der Begeisterung Funke erwekt die Söhne Egyptens. –

Wer bewirkt die Erscheinung? Wer ruft der Vorwelt

Tage zurük? Wer reiset Hüll und Ketten vom Bilde

Jener Isis, die der Vergangenheit Räthsel

Dasteht, ein Denkmal vergessener Weisheit der Urwelt?

Bonaparte ist's. Italiens Erobrer,

Frankreichs Liebling, die Säule der würdigeren Freiheit

Rufet er der Vorzeit Begeisterung zurüke

Zeiget dem erschlaften Jahrhunderte römische Kraft. –

Möge dem Helden das Werk gelingen Völker

Zu beglücken, möge der schöne Morgen der Freiheit

Sich entwinden der Dämmerung finsterem Schoose.

Möge der späte Enkel sich freuen der labenden

Der gereiften Frucht, die mit Todesgefahren

In dem schreklichen Kampf mit finsterem Wahn, der Menge

Irrthum, der großen Härte, des Volks Verblendung

Blutige Thränen vergiesend die leidende Menschheit

Zitternd in dieses Jahrhunderts Laufe gepflanzt.

Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 3, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 27-28,40-41.
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