Der erste Pilger

Ich bin erkranket

An Liebespein,

Mögt' nur genesen,

Wollst du mein seyn.


Dein lieblich Wesen,

Dein Lippenroth,

Hält mich gefangen

Bis an den Tod.


Mein Aug' ist trübe,

Mein' Jugend verdorrt,

Doch kenn' ich noch Heilung,

Wohl weiß ich den Port.


Zu dem will ich wallen

Ob Länder und Meer,

Die Brust ist beklommen,

Das Herz ist mir schwer.


Ich greife zum Stabe,

Ich walle zum Meer;

Es brausen die Winde,

Es tobet das Meer.
[117]

Die Vöglein fliegen

So lustig voran,

Sie suchen den Frühling

Und treffen ihn an.


Es hält mich die Liebe,

Ich bliebe so gern,

Doch ziehet mich Sehnsucht

Zum Grabe des Herrn.


Lebt wohl dann ihr Augen

Von freundlichem Schein,

Mein Blick soll zum Himmel

Gerichtet nur seyn.


Mich sehnet, o süße

Geliebte, nach dir!

Doch wähl' ich das Grab mir,

Des Heilands dafür.


Da kniee ich nieder

Voll bitterem Schmerz;

Da kann ich dich lassen,

Da bricht mir das Herz.


Die Heilung ist bitter,

Der Weg ist wohl weit;

Doch greif' ich zum Stabe

Und ende mein Leid.
[118]

Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 1, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 115-119.
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