[O welch ängstliches Betrüben]

[325] [325] Als er im Lieben unglücklich war.


Den 8. Aug. A. 1722.


O welch ängstliches Betrüben

Bringt ein Lieben

Sonder Hofnung schöner Gunst;

O wie taumeln Wiz und Sinnen,

Wenn die Seufzer stummer Pein

Keinen holden Blick gewinnen

Und vergebens Feuer schreyn.


Amaranthis, schau die Thränen

Und das Sehnen

Einer dir geweihten Brust,

Schau die Bläße meiner Wangen

Und die heßliche Gestalt;

Deine Flucht und mein Verlangen

Macht mich vor den Jahren alt.


Nächtlich seh ich tausend Sterne

In der Ferne,

Die mein Geist zu Hülfe ruft;

Alle sehn mich, alle lachen,

Und nicht einer will noch kan

Mein Verhängnüß beßer machen.

Ach, wen ruf ich sonst mehr an?


Hartes Kind, gedencke weiter,

Jezt ists heiter,

Bald versteckt die Sonn ihr Licht;

Nimm dies Gleichnüß wohl zu Herzen,

Lege doch den hohen Geist,

Eh des falschen Glückes Scherzen

Etwan seinen Grund zerschmeist.


Aus dem blumenreichen Prangen

Junger Wangen[326]

Stiehlt ein jeder Tag ein Blat;

O wie bald sind Blut und Farben

Durch ein schleunig Gift verzehrt!

Hat der Spiegel einmahl Narben,

So verringert sich der Werth.


Leichtlich wirstu keinen finden

Noch entzünden,

Der es beßer meint als ich.

Koste doch nur meine Küße,

Prüfe die Beständigkeit;

Jene schmecken rein und süße,

Diese trozt den Sturm der Zeit.


Meine Liebe, meine Jahre

Bis zur Baare

Sind ein Opfer deiner Lust.

Himmel, hastu ein Erbarmen,

So beweis es meiner Noth;

Blos in Amaranthis Armen

Wüntsch ich Leben oder Tod.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 325-327.
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